Der Hohe EU-Außenvertreter Josep Borrell hat am Dienstag angekündigt, in den kommenden Wochen die Ukraine zu besuchen. Dabei wolle er auch in die umkämpfte Region Donbas reisen, die nach wie vor von prorussischen Separatisten kontrolliert wird.
Borrell machte diese Ankündigung auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Oleksij Hontscharuk in Brüssel. Anlass war ein vorheriges Treffen des Assoziationsrates EU-Ukraine.
Der 2014 ausgebrochene Konflikt in der Ostukraine hat bereits mehr als 13.000 Menschenleben gekostet, einen Teil der Ukraine de facto unter die Kontrolle der von Moskau unterstützten Separatisten gebracht und den vermutlich tiefgehendsten Ost-West-Konflikt seit dem Kalten Krieg geschaffen.
Auf Nachfrage nach einem möglicherweise größeren persönlichen Engagement bei der Lösung der Krise im Donbas sagte Borrell, er plane einen Besuch in der Region, um sich aus erster Hand ein Bild von der Situation vor Ort zu machen.
„Ich beabsichtige, die Ukraine in den kommenden Wochen zu besuchen“, so der spanische Diplomat. Er fügte hinzu, das Land sei nicht nur ein naher Nachbar, sondern ein wichtiger Partner für die EU. Wörtlich fuhr er fort: „Ich würde auch gerne einen Teil des Landes besuchen, der für die Außenbeziehungen noch relevanter ist. Ich möchte den Donbas, die Grenze – wo, wie man weiß, ein gewisses Maß an militärischen Aktivitäten stattfindet – besuchen, um mir selbst ein Bild von der Lage dort zu machen. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen getötet werden.“
Überraschende Ankündigung
Borrells Ankündigung eines möglichen Besuchs im Donbas dürfte einige europäische Diplomatinnen und Diplomaten überrascht haben. Bisher wurde die Konfliktlösung in der umstrittenen Region zwischenstaatlich im sogenannten Normandie-Format behandelt, wobei neben den Konfliktparteien auch die EU-Staaten Frankreich und Deutschland einbezogen wurden.
Darüber hinaus ist unklar, ob die Sicherheitslage vor Ort einen derartigen Besuch überhaupt erlaubt, beziehungsweise ob die prorussischen Separatisten zulassen, dass Borrell auch nur einen Fuß in das umstrittene Gebiet setzt.
Trotz der daher recht überraschenden Erklärung betonte der EU-Außenvertreter seine „volle Unterstützung“ für das Normandie-Format: „Das Ergebnis des Treffens in Paris muss nun vor Ort umgesetzt werden,“ sagte er mit Bezug auf den letzten Gipfel des Normandie-Formats am 9. November in der französischen Hauptstadt.
Angesprochen auf die weiterhin drohenden Konflikte in der Meerenge von Kertsch, die Russland als Teil seines „Binnenmeeres“ betrachtet, sagte Borrell, die EU fordere Russland weiterhin auf, die ungehinderte und freie Durchfahrt zum und vom Asowschen Meer zu gewährleisten.
Er erinnerte auch daran, dass die EU kürzlich eine Reihe von Maßnahmen ergriffen habe, darunter die Eröffnung eines Büros in Mariupol.
Das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine nannte Borrell derweil „das umfassendste, das die EU mit irgendeinem Land hat“. Tatsächlich wurde das gut 1.000 Seiten umfassende Dokument bereits gelegentlich als potenzielle Blaupause für ein Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit gehandelt.
Als weitere wichtige innenpolitische Maßnahmen in der Ukraine nannte Borrell die weitere Arbeit für die Rechtsstaatlichkeit sowie die Betrugs- und Korruptionsbekämpfung.
Ukrainischer Dank
Der ukrainische Premierminister Hontscharuk dankte der EU für ihre „systemische Unterstützung“ zugunsten seines Landes. „Unsere aktuelle Priorität ist Frieden auf unserem Land“, fügte er hinzu.
Mit Blick auf die mögliche weitere West-Integration seines Landes sagte er, dass nun ein „großes Team junger, verantwortungsbewusster Fachleute“ für eine „ehrgeizige Reformagenda auf der Grundlage europäischer Werte, die auf die europäische Integration abzielt“, verantwortlich sei.
Beim Thema Finanzen wies Hontscharuk daraufhin, dass inzwischen alle Bedingungen für die Freigabe einer nächsten Kredit-Tranche in Höhe von 500 Millionen Dollar des IWF erfüllt seien: „Das einzige, worauf wir noch warten, ist der Abschluss der Verhandlungen mit dem IWF.“
In der gemeinsamen Erklärung nach der Tagung des Assoziationsrates EU-Ukraine wird derweil allerdings auch festgestellt, dass es weiterhin essenziell wichtig sei, die Verantwortlichen für den groß angelegten Betrug bei der ukrainischen PrivatBank vor Gericht zu bringen und die Rückerstattung von Vermögenswerten zu erreichen.
Weiter heißt es in der Erklärung, dass sich beide Seiten über die Notwendigkeit einer raschen und gründlichen Untersuchung einer Reihe von Angriffen auf zivilgesellschaftliche Aktivisten sowie Journalistinnen und Journalisten einig seien.
Erst kürzlich hatte ein Gesetz zur Regelung der Medientätigkeit in der Ukraine für Aufregung gesorgt.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]