Privilegierte Partnerschaft anstelle einer Vollmitgliedschaft lautete schon vor Jahren ein alternatives Angebot an die Türkei. Nun wird ein „Nachbarschaftsvertrag“ in die Diskussion gebracht.
Die verbalen Attacken aus der Türkei gegen einzelne EU-Staaten nehmen kein Ende. Die offizielle Reaktion der EU hält sich in Grenzen, zumal es in Bezug auf die Rolle der Türkei sehr unterschiedliche Positionen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten gibt. Nebst Wirtschaftsinteressen spielt auch die Scharnierfunktion des Landes zwischen Europa einerseits sowie dem Nahen Osten und der islamischen Welt andererseits eine Rolle.
Hinzu kommt, dass eine Achsenbildung von Ankara mit Moskau alles andere als im Interesse Brüssels liegt. Nicht zuletzt will man vor allem den Flüchtlingsdeal nicht gefährden und auch die Mitgliedschaft bei der NATO spielt da eine erhebliche Rolle.
Daraus resultiert, dass auch mit dem Abbruch der Beitrittsverhandlungen sehr vorsichtig umgegangen wird. Unklar ist, ob die EU tatsächlich bereit sein wird, Ankara die Verhandlungstür zuzuschlagen, sollte das Referendum eine Mehrheit für die Schaffung eines Präsidialsystem und nebst anderem auch für die Einführung der Todesstrafe zustande bringen.
Türkei wäre bald größter Staat innerhalb der EU
Wenngleich im Oktober 2005 offiziell die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei offiziell eröffnet wurden, so hat es von Anfang an Bedenken gegeben, dass dieses Land, das nur zu drei Prozent am europäischen Kontinent liegt, Vollmitglied werden könnte. Zudem könnte es angesichts des Bevölkerungszuwachses (Ende 2016 zählte das Land 79.8 Millionen Einwohner und liegt nur noch ganz knapp hinter Deutschland mit 80,6 Millionen) schon in wenigen Jahren der größte Einzelstaat innerhalb der Union werden.
Bereits seit 2004 wurde daher die so genannte „privilegierte Partnerschaft“ von CDU, insbesondere von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble als eine Alternative zur Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union vorgeschlagen. Rechtlich könnte sie – vergleichbar mit dem Europäischen Wirtschaftsraum – als Assoziation ausgestaltet werden. Eine Idee, die von Recep Tayyip Erdogan von allem Anfang an vehement abgelehnt wurde. Mit der Begründung, dass schon jetzt die Türkei in einem sehr engen Kooperationsverhältnis steht und eine solche Partnerschaft keine Weiterentwicklung wäre.
Kurz-Ministerium arbeitet an einem EU-Reformpapier
Im Zuge der Vorbereitungen der österreichischen EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 wird im Außenministerium (BMEIA) an einem umfassenden Reformkatalog gearbeitet. Ein Kapitel wird sich dabei auch dem Verhältnis zur Türkei widmen. Und es wird, wie man dies gern in Wien nennt, „Tacheles gesprochen“. Man spricht also klare Worte.
So heißt es darin, dass „es Zeit wird, dass Europa das Verhältnis zur Türkei klärt“, zumal sich die Türkei „seit Jahren weg von der EU“ bewege. Der gescheiterte Putschversuch habe diesen Prozess noch beschleunigt. Das hätte vor allem „dramatische Auswirkungen auf Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ zur Folge. Die Auswirkungen würden sich mittlerweile in Folge der „inakzeptablen Provokationen im Zusammenhang mit Wahlkampfauftritten im Vorfeld des türkischen Verfassungsreferendums“ bis in einzelne EU-Mitgliedsstaaten zeigen.
„Der Beitritt dieser Türkei zur EU ist daher undenkbar“, heißt es in dem nun bekannt gewordenen Entwurf des BMEIA. Allerdings hält er auch unmissverständlich fest, dass die Türkei ein bedeutender politischer und wirtschaftlicher Akteur sei. Daher liegen „möglichst enge sowie konstruktive Beziehungen auf Augenhöhe“ und das auf allen Ebenen im beiderseitigen Interesse. Um nicht weiterhin an einer Beitrittsfiktion festzuhalten wird ein neuer Vorschlag zur Diskussion gestellt, nämlich ein „Europäisch-Türkischer Nachbarschaftsvertrag“. Basis für den Vertrag sollte eine modernisierte Zollunion sein. Es könnte auch Kooperation in den Bereichen Außen-und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Inneres umfassen, einschließlich Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung.
Klare Beitrittsperspektive für Westbalkanstaaten
Interessant in Zusammenhang mit diesem Positionspapier, das im Auftrag von Außenminister Sebastian Kurz erstellt wird, ist die Perspektive für die Länder von Serbien bis Mazedonien. So wird klipp und klar festgehalten, dass der „EU-Beitritt für die sechs Staaten im Westbalkan aufrechterhalten bleiben muss. Diese Option ist und bleibt der wesentliche Ansporn für Reformen“ in diesen Regionen.
Gerade die Migrationskrise hätte gezeigt, dass Stabilität und Sicherheit am Westbalkan unerlässlich ist für die Stabilität und Sicherheit Zentraleuropas. Österreich will damit auch deutlich machen, dass es in Bezug auf die mittel-osteuropäischen Staaten innerhalb der EU eine spezielle Funktion als Brückenbauer wahrnehmen will.