Äthiopische Diplomaten heizen eine diplomatische Fehde mit der Europäischen Union weiter an. Zuvor hatten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und sein Gesandter, der Finne Pekka Haavisto, den Umgang der Regierung mit dem Konflikt in der nordäthiopischen Provinz Tigray harsch kritisiert.
Nach einem Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der EU warnte Haavisto am Dienstag vergangener Woche, dass die Krise in Tigray „außer Kontrolle“ zu geraten scheine. Seiner Einschätzung nach „leugnet“ die äthiopische Regierung das Ausmaß des Problems. Haavisto war zuvor im Auftrag von Borrell als Gesandter nach Äthiopien geschickt worden.
Seine Äußerungen riefen eine wütende Reaktion äthiopischer Diplomaten hervor, die sich darüber beschwerten, dass Haavisto die Region Tigray nicht einmal besucht hatte, obwohl ihm die Möglichkeit dazu geboten wurde. Stattdessen besuchte er ein Geflüchtetenlager im Sudan. Der finnische Außenminister habe auch die Möglichkeit abgelehnt, sich mit Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed Ali und seinen jeweiligen Ministern zu treffen.
Bei einem Webinar mit Journalistinnen und Journalisten in der vergangenen Woche kündigte Äthiopiens EU-Botschafterin Hirut Zemene an, ihre Regierung werde eine formelle Beschwerde gegen Borrell einreichen. Am gestrigen Montag twitterte die Botschafterin darüber hinaus: „Es ist bedauerlich, dass die Aussagen und Fakten von Herrn Pekka Haavisto über die Situation in Äthiopien nicht die Realität vor Ort widerspiegeln, und stattdessen unbegründete Behauptungen enthalten.“
Borrell selbst forderte „vollen und sofortigen humanitären Zugang in Tigray“, sowie Aufklärung bezüglich potenzieller Menschenrechtsverletzungen.
Der Konflikt in Tigray
Äthiopiens Premier Abiy Ahmed hatte Anfang November Militäroperationen in der Region Tigray gestartet. Er beschuldigt die Tigrayan People’s Liberation Front, die ehemals sogar Mitglied der Zentralregierung war und jetzt die nördlichste Region des Landes kontrolliert, ein Militärlager angegriffen zu haben.
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben über mehrere Massaker, Gewalt gegen Geflüchtete sowie Massenvertreibungen berichtet. Der erschwerte Zugang zur Region Tigray macht es allerdings nahezu unmöglich, die Vorwürfe zu verifizieren.
Nach Borrells Intervention erklärte das Büro des äthiopischen Premierministers nun, dass „humanitäre Organisationen für ihre Hilfeleistungen inzwischen ungehinderten Zugang zur Region erhalten haben.“ Die Regierung begrüßte auch „die internationale technische Unterstützung bei den Ermittlungen und lädt zur Zusammenarbeit bei gemeinsamen Untersuchungen ein.“
Botschafterin Zemene kritisierte derweil die europäische Berichterstattung über den Konflikt und beschuldigte mehrere Medien, Falschinformationen und „Fake News“ zu veröffentlichen. Pressevertreter monierten ihrerseits, sie seien daran gehindert worden, die Region Tigray zu besuchen – was von äthiopischer Seite wiederum bestritten wird.
Klar ist in jedem Fall: Der Konflikt hat Abiy Ahmeds internationalem Ansehen geschadet – weniger als ein Jahr, nachdem er den Friedensnobelpreis gewonnen hatte und für sein Friedensabkommen mit Eritrea sowie seine innenpolitische Reformagenda weltweit gelobt worden war.
Die Beziehungen zwischen Addis Abeba und Brüssel sind in den vergangenen Monaten zunehmend angespannter geworden. Schon im November, als es bereits wochenlange Kämpfe in Tigray gab, sagte Botschafterin Zemene gegenüber EURACTIV.com, sie sei „überrascht und alarmiert“ über die Haltung der EU gegenüber der äthiopischen Regierung und des Konflikts an sich.
Kritik auch aus den USA
Abiy Ahmeds Regierung wird allerdings auch von der US-Regierung kritisiert. Außenminister Antony Blinken sagte am vergangenen Sonntag, er sei „ernsthaft besorgt über die berichteten Gräueltaten und die sich insgesamt verschlechternde Situation“. Er forderte die äthiopische Regierung auf, die Auseinandersetzungen in Tigray sofort zu beenden.
Allerdings hat die Biden-Administration in der vergangenen Woche auch eine Politikmaßnahme des Vorgängers Donald Trump rückgängig gemacht. Trump hatte die Unterstützungsgelder für Äthiopien im September 2020 um 100 Millionen US-Dollar gekürzt.
Umgekehrt sind einige EU-Mitgliedsstaaten der Meinung, dass die humanitären Mittel der EU für Äthiopien gekürzt werden sollten. Sie kritisieren vor allem, dass rund 80 Prozent der Vertriebenen keinerlei Gelder erhalten.
Mitiku Kassa, Äthiopiens Kommissar für Katastrophenschutz, betonte gegenüber der Presse am vergangenen Donnerstag hingegen, es habe keine Unterdrückung oder Misshandlung von Geflüchteten gegeben, und: Die Hilfe komme an. Darüber hinaus sei die tatsächliche Zahl der geflüchteten und vertriebenen Menschen weitaus geringer als bisher berichtet worden sei.
Gleichzeitig wurden Versuche von zivilgesellschaftlichen Gruppen, eine Debatte in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen über die sich verschlechternde Situation in Tigray zu erreichen, von Äthiopien barsch zurückgewiesen.
In einer Mitteilung von Abiy Ahmeds Büro hieß es erneut, die Regierung sei „ernsthaft besorgt über unbegründete und politisch motivierte Fehlinformationen“ von Akteuren, „deren einziges Ziel es offenbar ist, die souveränen Befugnisse und Verantwortlichkeiten der äthiopischen Regierung zu untergraben.“
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]