Reichere Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) haben am Mittwoch einen Vorstoß von über 80 Entwicklungsländern blockiert. Diese fordern, dass Unternehmen auf Patentrechte verzichten, um so die Produktion von COVID-Impfstoffen anzukurbeln.
Südafrika und Indien hatten erneut einen Antrag eingebracht: In der aktuellen, speziellen Situation müsse auf die Regeln des WTO-Abkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) verzichtet werden. Dadurch werde es Generika- oder anderen Pharmaherstellern ermöglicht, mehr Impfstoffe herzustellen als es die Patenteigentümer derzeit können.
Die südafrikanische Regierung argumentiert, das derzeitige TRIPS-System funktioniere offensichtlich nicht. Sie erinnerte an ähnliches Versagen bei der Sicherung lebensrettender Medikamente während der HIV/AIDS-Pandemie, das mindestens elf Millionen Menschen in Afrika das Leben gekostet hat.
Die NGO Ärzte ohne Grenzen hatte ihrerseits im Oktober einen Brief verfasst, der von über 375 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichnet wurde. In diesem wird mit Blick auf die globale Pandemie ebenfalls eine Ausnahmeregelung für Impfstoffe gefordert.
Westen gegen Freigabe
Der Vorschlag Südafrikas und Indiens wurde gestern von zahlreichen überwiegend ärmeren Staaten in der WTO unterstützt, aber von westlichen Ländern abgelehnt, die über große heimische Pharmaindustrien verfügen – darunter das Vereinigte Königreich, die Schweiz, die EU-Staaten und die USA.
Die westlichen Nationen argumentieren, der Schutz geistiger Eigentumsrechte würde Forschung und Innovation fördern. Eine Aussetzung dieser Rechte werde darüber hinaus nicht zu einem plötzlichen Anstieg des Impfstoffangebots führen, so die – durchaus streitbare – Einschätzung.
Einige Kritiker gehen davon aus, man wolle im Westen vielmehr die Umsätze der heimischen Unternehmen sichern.
Allerdings dürften auch westliche Firmen von einer Patentfreigabe profitieren: Zwar ist Indien einer der wichtigsten Produzenten von Generika, doch viele andere große Hersteller sind in Industrienationen ansässig, darunter beispielsweise Viatris, Sandoz und Teva.
Weitere Verhandlungen
In seiner nunmehr achten Diskussionsrunde über das Thema hat der TRIPS-Rat der WTO gestern drei Stunden lang debattiert, konnte aber letztendlich keine Einigung erzielen.
Vorschläge müssen mit einer Konsensentscheidung der 164 WTO-Mitglieder angenommen werden.
Immerhin einigte man sich darauf, das Thema vor der nächsten offiziellen Sitzung des TRIPS-Rates am 8. und 9. Juni noch zwei weitere Male zu diskutieren.
Ngozi Okonjo-Iweala, die am 1. März Generaldirektorin der WTO wurde, nannte die TRIPS-Diskussionen „lebenswichtig“ und betonte, dass Regierungen und Unternehmen jetzt handeln müssten, um die Produktion zu erhöhen, insbesondere in den Schwellenländern.
In einer Rede am Dienstag sagte sie, die Hersteller sollten sich mit Gremien wie der Weltgesundheitsorganisation und der Impfstoffallianz GAVI, deren Vorstand sie zuvor vorsaß, sowie mit Wirtschaftsverbänden zusammenschließen, um mögliche Optionen zu prüfen.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir am Ende etwas liefern können. Die Millionen von Menschen, die mit Spannung auf unsere Entscheidung warten, müssen wissen, dass wir an konkreten Lösungen arbeiten,“ forderte die ehemalige nigerianische Finanz- und Außenministerin.
[Bearbeitet von Tim Steins]