Europa müsse ein eigenständiger globaler Akteur sein und es wäre „ein schreckliches Zeichen“, wenn die EU ein kürzlich abgeschlossenes Investitionsabkommen mit China doch noch blockieren würde, um sich besser mit Washington abzustimmen, so der portugiesische Ministerpräsident António Costa in einem Exklusivinterview mit EURACTIVs Medienpartner Lusa.
Die EU und China hatten sich am Mittwoch vergangener Woche (30. Dezember) auf ein Investitionsabkommen verständigt, über das bereits seit sieben Jahren verhandelt worden war.
Das Abkommen könnte jedoch zu Spannungen mit den USA führen. Vor einigen Wochen hatte der designierte Präsident Joe Biden einen transatlantischen Dialog über „die strategische Herausforderung durch Chinas wachsendes internationales Selbstbewusstsein“ vorgeschlagen.
Der nun erreichte Deal mit China sei aber „ein Prozess, der bereits im Gange war. Es wäre ein schreckliches Signal, die weiteren Verhandlung zu blockieren oder sie an Bedingungen zu knüpfen,“ betonte Costa in Reaktion auf die Frage, ob die EU die China-Verhandlung besser mit der neuen US-Regierung hätte koordinieren sollen.
„Wenn Europa ein globaler Akteur sein will – was es sein muss – hängt seine strategische Autonomie davon ab, dass es mit jedem der anderen globalen Akteure sprechen kann. Es muss mit den Vereinigten Staaten, China, Australien und Neuseeland, Indien, Afrika in Beziehung treten. Die EU muss sich auf alle beziehen und nicht lediglich durch andere sprechen,“ fügte er hinzu.
Nach Ansicht des portugiesischen Regierungschefs, dessen Land am 1. Januar die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, garantiert das Abkommen zwischen Brüssel und Peking „die gegenseitige Sicherheit der Marktöffnung“ sowie „Investitionsbeziehungen, die alle Sicherheitsbestimmungen auf beiden Seiten gewährleisten und respektieren“.
Transatlantische Beziehungen
Mit Blick auf die neue US-Regierung sagte Costa, Portugal habe „jedes Interesse“ an einem „neuen Klima“ in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Washington sei neben dem Ex-EU-Mitglied Vereinigtes Königreich der wichtigste Verbündete der EU. Er verwies auf „positive und ermutigende Zeichen“, wie Bidens Absicht, dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten, sowie „seine multilaterale Vision“.
„Abgesehen davon wissen wir aber auch, dass die Schwierigkeiten nicht für immer verschwinden werden. In Bezug auf den Handel wird es sicherlich Probleme geben, ebenso in Bezug auf die Verteilung der Verteidigungsausgaben. Ich bin mir aber sicher, dass sich die Atmosphäre deutlich bessern wird: Die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wird sich radikal ändern, und das wird bessere Bedingungen für uns schaffen, um die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zu überwinden“, erklärte er weiter.
Afrika und Indien
In Bezug auf die afrikanischen Staaten, die ganz oben auf der außenpolitischen Agenda der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft stehen, äußerte der Ministerpräsident die Hoffnung, dass im Frühjahr ein Gipfeltreffen der EU mit der Afrikanischen Union „möglich sein wird“. Ein solches Treffen war im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie verschoben worden.
„Wir haben dem Präsidenten des [Europäischen] Rates, Charles Michel, bereits mitgeteilt, dass wir jedes Interesse und die Bereitschaft haben […], dass dieser Gipfel während unserer Präsidentschaft stattfinden kann, natürlich in Brüssel. Wir arbeiten daran. Ich hoffe, dass die Pandemie dies zulässt,“ so Costa.
Er betonte außerdem, dass „andere Wege“, wie Treffen mit einzelnen regionalen Organisationen des afrikanischen Kontinents, „nicht möglich“ seien.
Der Portugiese verwies weiter auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens auf dem afrikanischen Kontinent: Auch diesbezüglich sei ein hochrangiger Gipfel nun wichtig. „Das wäre ein fantastischer Zeitpunkt für ein Treffen zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union.“
Costa bezog sich auch auf Indien und teilte diesbezüglich mit, es gebe aktuell „alle Voraussetzungen“ für einen EU-Indien-Gipfel. Dieser könne ein „Meilenstein“ in den zukünftigen Beziehungen sein.
Probleme innerhalb der EU und das Thema Rechtsstaatlichkeit
Costa räumte des Weiteren ein, dass es Meinungsverschiedenheiten innerhalb der EU gebe, die akzeptiert und im Dialog gelöst werden müssten: „Ich denke, es wäre schlecht, so zu tun, als gäbe es keine solchen Differenzen. Probleme können nur gelöst werden, wenn sie akzeptiert und offen angesprochen werden.“ Diese Realität solle „ohne Dramen und in aller Gelassenheit“ akzeptiert werden.
„Man darf niemanden zwingen, Schritte zu machen, die er nicht machen will – und damit neue Risse schaffen. Der Brexit war ein ausreichend großer Bruch; niemand will noch mehr davon,“ warnte er weiter.
„Es ist offensichtlich, dass heute die 27 Mitgliedsstaaten weder alle die gleiche Vision davon haben, was Europa sein sollte, noch haben sie alle den gleichen Willen, dass Europa das ist, was es heute ist […] Vielleicht hatte die bisherige Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs viele dieser einzelnen nationalen Positionen etwas verdeckt. Diese sind dann mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aufgedeckt worden,“ mutmaßte der Premier unter Verweis auf Differenzen in Fragen wie Migration oder Haushalt.
Auch auf die Reibereien bezüglich der Achtung der Rechtsstaatlichkeit – die dazu führten, dass Ungarn und Polen die Genehmigung des EU-Budgets und des Recovery Funds zeitweise blockierten – ging Costa ein.
Das Thema sei für Portugal besonders heikel, „denn was Portugal motiviert hat, der EU beizutreten, war nicht der Euro, den es damals noch nicht gab, oder der Binnenmarkt, den es ebenfalls nicht gab“. Im Gegenteil seien gerade „die Werte, die es ermöglichten, Freiheit und Demokratie zu festigen“, ausschlaggebend für den portugiesischen EU-Beitritt gewesen.
Costa warb abschließend für Dialog und Kompromissfindung: „Wenn Einstimmigkeit erforderlich ist, gibt es nur einen Weg, und das ist der des Kompromisses. Das heißt: Versuchen zu verstehen, was die Standpunkte der anderen sind; andere dazu bringen, unsere Standpunkte zu verstehen; und schlussendlich herauszufinden, auf welche Punkte man sich einigen kann.“
[Bearbeitet von Sarantis Michalopoulos, Zoran Radosavljevic und Tim Steins]