Dieser Artikel ist Teil des special reports Sicherstellung des Gastransits durch die Ukraine
Die Ukraine setzt für den Eigenbedarf und die lukrativen Transitsteuern seit Jahrzehnten ausschließlich auf russisches Pipeline-Gas. Die anhaltenden Spannungen mit Russland nach 2014 und die niedrigen Preise für Flüssiggas könnten diese Strategie aber grundsätzlich verändern.
Der Import von Flüssiggas (LNG) aus den Vereinigten Staaten ist im Vergleich zu russischem Pipeline-Gas überaus wettbewerbsfähig geworden. Die „Gasrevolution“ in den USA wird die US-Wirtschaft und die Exportkapazitäten des Landes im Jahr 2020 auf 112 Milliarden Kubikmeter pro Jahr weiter steigern. Damit haben sich die Kapazitäten in nur 18 Monaten mehr als verdoppelt.
Laut der Internationalen Energieagentur hat Europa 2018 – auch durch den Import von US-LNG – rund acht Milliarden Dollar an Erdgaskosten eingespart. Dies ist aber auch das Ergebnis einer Neuverhandlung der Import-Verträge mit Russland, in denen die Preise ebenfalls nach unten korrigiert wurden.
Selbst Bulgarien, das als eines der am „süchtigsten“ Länder nach russischem Pipelinegas gilt, kaufte im vergangenen Mai das erste Mal LNG aus den USA. Dabei wurde nicht offengelegt, wie hoch die Preise waren. Energieministerin Temenujka Petkowa sagte allerdings, die LNG-Importkosten seien tatsächlich niedriger ausgefallen als die Preise, die Bulgarien sonst für russisches Gas zahlt.
Es wird erwartet, dass die Gas-Importe aus den USA noch deutlich zunehmen werden, sobald Bulgarien und Griechenland im kommenden Jahr die Gasverbindungsleitung Stara Zagora-Komotini fertiggestellt haben.
LNG ist Erdgas, das auf -161 Grad Celsius abgekühlt wird. Dadurch nimmt es einen flüssigen Zustand an und nur 1/600 seines ursprünglichen Volumens ein – was für den Transport per Schiff natürlich ein großer Vorteil ist. Der Prozess erfordert allerdings Verflüssigungsanlagen, speziell konstruierte Schiffe mit sogenannten kryogenen Kühltanks und Terminals für die Rückwandlung in Gasform an den Bestimmungsorten.
Von russischer Seite argumentiert man daher, der Prozess sei sehr teuer; Pipeline-Gas werde immer preiswerter sein. Andererseits hat Russland inzwischen auch auf der nördlichen Jamal-Halbinsel enorm viel Geld für die Gasentwicklung ausgegeben und kann seinen Preis kaum noch weiter nach unten drücken.
Da die Kunden nach immer flexibleren Handelsbedingungen verlangen, ist somit die gesamte russische Strategie, langfristige Verträge für Gas-Importe über Pipelines abzuschließen, gefährdet. So gilt es beispielsweise als undenkbar, dass der am 31. Dezember 2019 auslaufende zehnjährige Gastransitvertrag zwischen Russland und der Ukraine in ähnlicher Form verlängert werden kann, wie er im Jahr 2009 geschlossen wurde.
Riesige Gasspeicher in der Ukraine
Angesichts der politischen Spannungen mit Russland – und da es immer unwahrscheinlicher wird, dass ab 1. Januar ein Folgevertrag zur aktuellen Transiteinigung gilt – orientiert sich nun auch die Ukraine um: Man will nicht mehr alles auf nur eine Karte setzen.
Ein Pluspunkt – und einer der wichtigsten Vermögenswerte, die das Land von der ehemaligen Sowjetunion geerbt hat – sind die riesigen unterirdischen Gasspeicher der Ukraine. Diese sind die größten in Europa und liegen hauptsächlich in der Nähe der Grenzen zu den EU-Nachbarstaaten Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien.
Diese Lagerstätten könnten mit ihrer Kapazität von 31 Milliarden Kubikmetern beispielsweise Gas speichern, das über die baltische Pipeline geliefert wird – oder eben auch amerikanisches LNG, das am polnischen Hafen Świnoujście angelandet wird.
Darüber hinaus sind aktuell rund 10 Milliarden Kubikmeter Speicherkapazität im Westen der Ukraine wegen der von Gazprom erzeugten Engpässe ungenutzt. Die Freischaltung dieser Verbindungsleitungen zwischen der Ukraine und der EU würde Händlern diese 10 Milliarden Kubikmeter zusätzlichen „Speicherplatz“ zur Verfügung stellen.
Tatsächlich ist es die Strategie der Ukraine, Gas zu sammeln, wenn die Preise niedrig sind, und es bei Preiserhöhungen an die EU-Verbraucher zu verkaufen. Auf diese Weise können auch die allgemeinen Preissteigerungen abgemildert werden.
Und die Rolle der ukrainischen Speicheranlagen dürfte bei einem immer weiter wachsenden LNG-Zufluss nach Europa noch wichtiger werden.
Andrej Faworow, der Leiter der Abteilung integrierte Gaswirtschaft bei der ukrainischen Naftogaz, erklärt gegenüber EURACTIV.com, die Ukraine könne zukünftig auch als Gasspeicher für weiter entfernte Kunden dienen. Er erläutert, die globale Gasproduktion sei im Laufe des Jahres praktisch gleichbleibend, während der Verbrauch saisonal bedingt ist und normalerweise im ersten und letzten Quartal des Jahres seinen Höchststand erreicht.
„Der profitabelste Markt für Gaslieferungen ist Asien, vor allem Japan, Südkorea und China. Daher zielen die Gasproduzenten auf diese Märkte ab. Aber die asiatischen Länder haben keine Gasspeicher. Die weltweite Gasproduktion im Sommer muss irgendwo gespeichert werden… Die Ukraine hat somit viel Potenzial für die Kommerzialisierung ihrer Speicher. Wir sehen, dass es Nachfrage nach diesem Service gibt,“ sagt er.
Darüber hinaus würden unabhängige europäische Händler bereits erhebliche Mengen an Gas in der Ukraine lagern, die im Sommer eingespeist wurden und erst im Winter verwendet werden sollen.
Er ist sich daher sicher: „Alle Voraussetzungen für den Erfolg eines solchen Geschäftsmodells [der Ukraine] sind gegeben.“
Ein weiterer Grund, warum die Ukraine sich wohl auf ein völlig verändertes Gasgeschäft vorbereiten muss, ist die Unsicherheit über die beiden russischen Pipelines, die aktuell (noch) russisches Gas in die Ukraine bringen: Angeblich wurden diese in den letzten 30 Jahren nicht ordnungsgemäß gewartet und gepflegt.
Somit könnte die Gefahr bestehen, dass russisches Gas allein schon aus rein technischen Gründen bald nicht mehr in die Ukraine fließt.