China hat die internationale Wirtschaftskrise genutzt, um seine Stellung auf dem Weltmarkt zu verbessern. Die „Neue Seidenstraße“ wird als Versuch gesehen, eine massive, multinationale Zone wirtschaftlichen und politischen Einflusses zu schaffen – auch in Mitteleuropa. Ein gemeinsamer Bericht von EURACTIV Polen/Tschechien/Slowakei und Political Capital.
In diesem Zusammenhang ist es logisch, dass die mitteleuropäische Region ein wichtiger Teil der globalen Perspektive Pekings sein soll: Sie wird als „Seiteneingang“ zu den reicheren westeuropäischen Märkten angesehen. Doch die Initiative Pekings hat in den Visegrad-Ländern bisher keine große Aufmerksamkeit erregt. Analysten glauben dennoch, dass ihre Attraktivität bald steigen könnte.
Im Jahr 2012 startete China den so genannten 16+1-Rahmen – eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen China und den mittelosteuropäischen Staaten, und eine der letzten Entscheidungen des damals scheidenden Premierministers Wen Jiabao. Die Gruppe umfasst 16 osteuropäische Länder, darunter alle vier Visegrad-Staaten (Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei) und insgesamt 11 EU-Mitgliedstaaten.
Seit der aktuelle chinesische Präsident Xi Jinping im Jahr 2013 die Flaggschiff-Initiative One Belt, One Road (OBOR, auch bekannt als Neue Seidenstraße) angekündigt hat, konzentriert sich die 16+1-Gruppe hauptsächlich auf Infrastrukturprojekte, um die Zusammenarbeit mit der grundsätzlichen globalen Strategie Pekings in Einklang zu bringen.
Die Visegrad-Gruppe (V4) versucht derweil, sich mit dem bekannten „chinesischen Dilemma“ auseinanderzusetzen und es zu lösen: Ist die Öffnung für eine chinesische Präsenz in der Region eine einzigartige wirtschaftliche Chance – oder eine Bedrohung?
Ein Dach für chinesische Aktivitäten
Das grundlegende Ziel der OBOR, mit 16+1 als einem ihrer Elemente, ist es, „die gesamte Wirtschaft Afro-Eurasiens auf China als sein Zentrum auszurichten. Aber die harten Wirtschaftsfakten zeigen, dass es bei OBOR für die V4 bisher nicht viel zu holen gibt,“ kommentiert Salvatore Babones, Professor an der Universität Sydney. China sei immer noch ärmer als alle vier Visegrad-Länder, und die eher bescheidenen Ausgaben für OBOR gehen unter Dutzenden anderen investitionshungrigen Partnern in Mitteleuropa bisher unter.
Ivana Karásková, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Association for International Affairs (AMO), einem in Prag ansässigen Think-Tank, erläutert, das Hauptziel der Initiative sei der Export der chinesischen Überproduktion nach Übersee.
„Die Neue Seidenstraße ist nur ein Dach für chinesische Aktivitäten in Europa, Asien und Afrika. Bisher hat sie keine konkreten Merkmale,“ so Karásková gegenüber EURACTIV. Die AMO hat eine Website, Chinfluence, ins Leben gerufen, die sich der Analyse des chinesischen Einflusses in Mitteleuropa widmet.
Trotz des raschen und deutlichen Anstiegs der chinesischen Direktinvestitionen in den Visegrad-Ländern bleibt ihr Gesamtvolumen ebenfalls gering und konzentriert sich auf Fusionen und Übernahmen. Wirklich bedeutende Infrastrukturprojekte fehlen bis jetzt.
Was die Infrastrukturinvestitionen in den 11 EU-Mitgliedstaaten der 16+1 betrifft, „bleibt die Zusammenarbeit im Infrastrukturbereich trotz intensiver politischer Kontakte mit China nahezu gleich Null. Dies liegt an der Unvereinbarkeit des chinesischen Angebots mit dem EU-Recht [in Bezug auf staatliche Beihilfen und offene Ausschreibungen],“ wie Jakub Jakóbowski und Marcin Kaczmarski vom Zentrum für Oststudien (OSW) erklären.
Die einzige Ausnahme bildet ein Vorzeigeprojekt: Die 336 Kilometer lange Bahnlinie zwischen Belgrad und Budapest. Doch auch dieses Projekt zog eine Untersuchung des ungarischen Teils des Projekts durch die EU und im Endeffekt eine Änderung der Kooperationsbedingungen von Seiten Budapest nach sich.
Diversifizierung der Exportmärkte
Die Visegrad-Regierungen sehen in OBOR trotzdem eine große Chance, die Handelsströme auf beiden Seiten zu stärken. Derzeit weisen die relativ kleinen V4-Volkswirtschaften ein drastisches Defizit gegenüber China auf.
„Wenn wir nach Möglichkeiten suchen, unser Handelsportfolio zu diversifizieren und unsere Abhängigkeit vom europäischen Markt zu verringern, könnte dies eine der Lösungen sein – wenn auch nicht die einzige,“ sagte der tschechische Europaabgeordnete Jan Zahradil (EKR) gegenüber EURACTIV.
Als im vergangenen Jahr der erste Test-Güterzug mit Containern aus Dalian – dem größten Hafen Ostchinas – in Bratislava eintraf, bezeichnete die Stellvertreterin der slowakischen Regierung für das Projekt Seidenstraße, Dana Meager, dies als „eine der wichtigsten Säulen der weiteren Entwicklung unerer Volkswirtschaft“.
Alle V4-Regierungen wollen die gegenseitige Zusammenarbeit vertiefen und mehr ausländische Direktinvestitionen anziehen, um ihre Palette der Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten über die EU hinaus zu erweitern.
Sollte der neue mehrjährige Finanzrahmen der EU die Finanzierungsmöglichkeiten für die V4-Länder reduzieren – sei es durch Brexit und/oder die Neuordnung der finanziellen Prioritäten – „dann könnte das Angebot Chinas automatisch attraktiver werden,“ warnen Jakub Jakóbowski und Marcin Kaczmarski vom Zentrum für Oststudien (OSW).
In Wirklichkeit wachsen die chinesischen Direktinvestitionen in den V4-Ländern allerdings nach wie vor nicht wirklich und sind in einigen von ihnen sogar zurückgegangen.
„Das alte Modell der Globalisierung ist vorbei“
Der tschechische Europaabgeordnete Jiří Pospíšil (EVP) geht davon aus, dass das ganze Projekt eher ein Instrument der chinesischen Propaganda ist und der Stärkung des wahrgenommenen chinesischen Einflusses dienen soll: „Wenn eine Partei von der Zusammenarbeit profitieren soll, dann sind es China und chinesische Unternehmen.“
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán zeigte sich derweil beim Beitritt seines Landes zur OBOR-Initiative im Jahr 2015 relativ unbeeindruckt vom herrschenden politischen System in China und den europäischen Bedenken diesbezüglich: „Das alte Globalisierungsmodell ist vorbei, der Osten hat den Westen eingeholt. Und ein großer Teil der Welt hat es satt, von den Industrieländern Vorträge zu bekommen, beispielsweise über Menschenrechte und Marktwirtschaft,“ betonte er damals.
Darüber hinaus schätzt Peking sicherlich politische Gesten, wie die Blockade einer gemeinsamen Entschließung über Vorgänge im Südchinesischen Meer im Jahr 2016 durch Ungarn. Darüber hinaus hat Ungarn die EU auch daran gehindert, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der die Folterung von Anwälten und Menschenrechtsaktivisten in China angeprangert wird.
Die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen China und den europäischen Ländern könnte somit auch zu einem Problem für die gesamte EU werden, „weil viele EU-Mitglieder eine gemeinsame Position gegenüber China verhindern, z. B. bei Themen wie Menschenrechten, Investitionsprüfungen oder dem marktwirtschaftlichen Status des Landes,“ beobachtet Karásková.
Analysten weisen darauf hin, dass einige hochrangige Politiker – allen voran der tschechische Präsident Zeman – sowie europäische Beamte und Medien der chinesischen Regierung durchaus helfen, ihre Macht in Europa auszubauen.
Die meisten Analysten sind jedoch davon überzeugt, dass eine politische Destabilisierung in den V4-Ländern nicht im chinesischen Interesse und somit die Einheit der Europäischen Union nicht gefährdet sei.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass das Hauptziel der chinesischen Einflussnahme Westeuropa und nicht Mittel- und Osteuropa ist,“ sagt Tamás Matura, Chinaexperte und Professor an der Corvinus-Universität in Budapest.
Auch der ehemalige ungarische Premierminister Péter Medgyessy zeigte sich gegenüber Political Capital eher optimistisch: „Es besteht kein Zweifel, dass die 16+1-Initiative den chinesischen Einfluss in Mittel-Osteuropa erhöhen wird, aber sie schafft auch eine Win-Win-Situation und bringt neue Chancen für die Entwicklung der Region.“