NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat am Montag gegenüber dem EU-Parlament erklärt, er habe „ernste Bedenken“ angesichts des Vorgehens des NATO-Mitglieds Türkei. Gleichzeitig hoffe er, dass eine verstärkte EU-NATO-Zusammenarbeit ein Gegengewicht gegen ein aufstrebendes China schaffen könne.
In Bezug auf Ankara sagte Stoltenberg in einer gemeinsamen Sitzung des Außen- und Verteidigungsausschusses im Europäischen Parlament: „Ich habe meine ernsthaften Bedenken geäußert. Wir alle wissen, dass es ernste Differenzen und einige kontroverse Themen gibt – angefangen vom östlichen Mittelmeer, der türkischen Entscheidung, das russische Luftabwehrsystem S-400 zu kaufen, oder im Zusammenhang mit den demokratischen Rechten in der Türkei.“
Er sei jedoch zuversichtlich, dass diese Streitigkeiten mit der türkischen Führung per Dialog gelöst werden könnten: „Ich glaube, dass die NATO zumindest eine wichtige Plattform bieten kann, um diese Fragen zu diskutieren, diese Themen anzusprechen und ernsthafte Debatten und Diskussionen über verschiedene Anliegen zu führen.“
Die Türkei hatte in den vergangenen Monaten die meisten ihrer NATO-Verbündeten, insbesondere Frankreich, wegen ihrer Haltung in einem Seegebietsstreit mit dem NATO-Mitglied Griechenland sowie ihrer Rolle in den Konflikten in Syrien, Libyen und Berg-Karabach irritiert.
Im vergangenen Jahr hatte die NATO ihrerseits einen „Konfliktvermeidungsmechanismus“ eingerichtet, um möglicherweise sogar gewaltvolle Zusammenstöße zwischen der Türkei und Griechenland zu vermeiden. Seither hat sich die Lage im östlichen Mittelmeer etwas beruhigt.
Die türkische Führung selbst schien in den letzten Monaten auf einer diplomatischen Mission, die Beziehungen zur EU und zu regionalen Konkurrenten wie Ägypten wieder zu verbessern – unter anderem, da man sich in Ankara unsicher angesichts der Haltung der neuen US-Regierung unter Joe Biden ist. Bereits im Dezember, noch unter Bidens Vorgänger Donald Trump, verhängte Washington Sanktionen gegen die türkische militärische Beschaffungsbehörde wegen Ankaras Entscheidung, das Raketenabwehrsystem S-400 von Russland zu kaufen.
Der neue US-Präsident führt die harte Linie in Bezug auf Einkäufe russischer Waffen fort. Wie sich die amerikanischen Beziehungen zum türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan entwickeln, scheint noch weitgehend unklar.
EU-NATO-Kooperation
Die Außenministerinnen und Außenminister der NATO-Staaten wollen in der kommenden Woche in Brüssel zum ersten persönlichen Treffen seit Pandemieausbruch zusammenkommen. An diesem Treffen wird auch Bidens Team teilnehmen. Unter anderem will man erneut über Reformvorschläge der NATO und eine mögliche „stärkere politische Rolle“ für das transatlantische Bündnis diskutieren.
Zu den jüngsten Empfehlungen gehört außerdem eine engere Abstimmung zwischen der NATO und der EU – mit der Idee gemeinsamer Gipfeltreffen zur „Wiederherstellung des Vertrauens“ auf höchster Ebene und direkten Verbindungsoffizieren im Militärstab.
„Es ist klar, dass das starke transatlantische Band in der NATO der Eckpfeiler der europäischen Sicherheit jetzt und in der Zukunft bleibt,“ sagte Stoltenberg den EU-Parlamentsabgeordneten in Brüssel diesbezüglich. Er forderte die Abgeordneten auf, sich für „ehrgeizigere und praktischere“ Wege der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO einzusetzen.
Gleichzeitig forderte Stoltenberg, die USA und die EU sollten ihre Beziehungen schnellstmöglich „reparieren“, wenn sie dem Aufstieg eines „aggressiveren“ und „bedrohlichen“ Chinas angemessen begegnen wollen.
Die NATO sollte mit weiteren Partnern in der asiatisch-pazifischen Region zusammenarbeiten, wenn sie verhindern will, dass China „Länder auf der ganzen Welt tyrannisiert“, sagte er weiter. „Wenn man über den Aufstieg Chinas besorgt ist, über die militärische und wirtschaftliche Stärke Chinas, dann macht es das noch wichtiger, dass wir – Europa und Nordamerika – in der NATO zusammenstehen.“
Auf die Frage einiger EU-Abgeordneter, ob er eine Bedrohung einzelner NATO-Länder durch Russland oder gar China sehe, machte Stoltenberg deutlich: „Nein, ich sehe keine unmittelbare Bedrohung eines militärischen Angriffs gegen einen NATO-Verbündeten.“
Ein Grund dafür sei aber, „dass wir die NATO haben, die auf der Idee basiert, dass, wenn ein Verbündeter angegriffen wird, dies eine Reaktion der gesamten Allianz auslöst.“ Seiner Ansicht nach sei dies bisher der Garant dafür gewesen, „dass wir in der Lage waren, den Frieden in Europa seit mehr als 70 Jahren zu bewahren“.