Die Europäische Union wird Montenegro wohl grünes Licht für die Eröffnung des letzten Kapitels der EU-Beitrittsverhandlungen geben. Das erklärte der Premierminister des Balkanstaats, Duško Marković, am Dienstag.
„Dies ist ein großer Tag für Montenegro, das damit das erste Kandidatenland sein wird, das alle Verhandlungskapitel geöffnet hat,“ betonte Marković mit Blick auf die sechs Staaten auf dem Westbalkan, von denen aktuell vier als offizielle Kandidaten für eine EU-Mitgliedschaft geführt werden: Montenegro, Serbien, Albanien und Nordmazedonien.
PV @DuskoMarkovicCG se obratio javnosti povodom odluke @EU_Commission da dâ zeleno svijetlo za otvaranje posljednjeg pregovaračkog poglavlja: Ovo je veliki dan za Crnu Goru! @me4eu https://t.co/qgyytca89U
(1/2) pic.twitter.com/SKsQh7FKj8— Vlada Crne Gore (@VladaCG) June 23, 2020
Die formelle Zusage der EU-Mitgliedsstaaten steht noch aus, wird aber beim Ratstreffen am Freitag erwartet.
Der kroatische Europaabgeordnete Tonino Picula (S&D), der im parlamentarischen Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten für den Westbalkan zuständig ist, gratulierte Montenegro bereits. „Sie sind der Vollmitgliedschaft in der EU am nächsten,“ so Picula auf Twitter. Er erinnerte allerdings auch daran, dass die Mitgliedschaft unter anderem „von der Erfüllung aller festgelegten Kriterien abhängt“.
Verhandlungen gehen weiter
Montenegro hatte 2012 Beitrittsgespräche mit der EU aufgenommen und bisher drei der 35 Verhandlungskapitel vorläufig abgeschlossen. Das kleine Land an der Adria mit rund 620.000 Einwohnern hat zudem angekündigt, freiwillig die neue „Erweiterungsmethodik“ der EU akzeptieren zu wollen, die dem stockenden Erweiterungsprozess neues Leben einhauchen soll.
Obwohl dies für Montenegro keine wesentlichen technischen Änderungen mit sich bringt, spiegele diese Zusage „politisch gesehen die Bereitschaft wider […] unser System und unsere Gesellschaft während des EU-Beitrittsprozesses effektiver weiter zu entwickeln,“ sagte der stellvertretende Chefunterhändler des Landes, Marko Mrdak, in einem Interview mit European Western Balkans.
Politische Spannungen in Montenegro
Derweil nehmen in Montenegro im Vorfeld der Parlamentswahlen im August die politischen Spannungen zu, insbesondere seit der Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes zur Religionsfreiheit im vergangenen Jahr. Nach Ansicht der einflussreichen serbisch-orthodoxen Kirche ist dieses Gesetz diskriminierend und zielt auf die Verstaatlichung kirchlichen Vermögens ab.
Seitdem haben immer wieder Proteste das Land erschüttert. Nach der Aufhebung vieler Maßnahmen gegen das Coronavirus sind sie nun wieder aufgeflammt.
Das Gesetz erregt auch im weiteren regionalen Kontext Aufsehen, unter anderem in Serbien und Bosnien-Herzegowina, wo bosnisch-serbische Gesetzgeber am heutigen Donnerstag eine Erklärung verabschieden wollen, in der das montenegrinische Gesetz kritisiert wird, berichtet Balkan Insight.
Weitere politische Spannungen sind derweil in der Küstenstadt Budva eskaliert, nachdem ein Gemeinderatsmitglied zur Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) gewechselt war, die Montenegro in den letzten drei Jahrzehnten regiert hat. Die dadurch entstandene neue DPS-Mehrheit im Gemeinderat entließ den oppositionellen Bürgermeister Marko Carević und den Stadtratschef Krsto Radović unter Verweis auf Korruptionsvorwürfe. Carević und Radović weigerten sich jedoch, ihre Macht abzugeben.
Daraufhin stürmte die Polizei in der vergangenen Woche die Stadtverwaltung und verhaftete Carević, Radović sowie weitere Stadträte. Die Opposition kritisierte „exzessive Gewaltanwendung“ bei dem Einsatz.
Am Montag teilten Lokalpolitikerinnen und -politiker mit, der Dialog zur Lösung der Krise in Budva sei gescheitert. Gegebenenfalls sei sogar eine Vermittlung durch EU-Vertreter notwendig.
Ana Pisonero, eine Sprecherin der Europäischen Kommission, hatte mit Blick auf Budva vergangene Woche betont, die EU rufe alle Menschen in Montenegro dazu auf, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Prinzipien zu respektieren, „und politische Reife zu demonstrieren, um allein durch Dialog und gegenseitigen Respekt eine tragfähige Lösung für die gegenwärtige Situation in Budva zu finden“.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]