EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht den vor einem Jahr besiegelten Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei trotz wiederholter Drohungen aus Ankara nicht in Gefahr.
„Die Türkei wird dieses Abkommen nicht aufkündigen, auch wenn mir Erdogan mehrfach damit gedroht hat“, sagte Juncker der „Bild am Sonntag“. In Athen demonstrierten derweil rund 2000 Menschen gegen das Abkommen.
Juncker begründete seine Zuversicht hinsichtlich des Fortbestands des Abkommens mit dem Eigeninteresse der Türkei: Dem Land könne nicht daran gelegen sein, dass vor seiner Küste „Schmugglergangs und Banditen das Heft des Handelns in die Hand bekommen“.
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht vom Tisch
Juncker sprach sich auch gegen einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei aus. „Es macht keinen Sinn, unser Mütchen zu kühlen, indem wir Verhandlungen stoppen, die es gerade ohnehin nicht gibt.“ Der Beitritt werde nicht am mangelnden Willen der EU scheitern, sondern „an der Lustlosigkeit der Türken, europäische Standards einzuführen“.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und andere Regierungsmitglieder hatten mehrfach damit gedroht, das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen. Vorausgegangen war eine diplomatische Eskalation mit Deutschland und den Niederlanden, wo Wahlveranstaltungen türkischer Minister untersagt worden waren.
Das im März 2016 zwischen der EU und Türkei vereinbarte Flüchtlingsabkommen sieht vor, dass Ankara Flüchtlingen die Weiterreise nach Griechenland verwehrt und alle auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge zurücknimmt. Die EU sagte unter anderem Milliarden-Zahlungen für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu. Die Vereinbarung wurde am 18. März 2016 geschlossen und trat zwei Tage später in Kraft.
Griechische Bevölkerung macht mobil gegen den Deal
In Athen demonstrierten am Samstag mehr als 2.000 Menschen gegen den Flüchtlingspakt. An der Spitze des Zuges, der durch die griechische Hauptstadt zum Sitz der Büros der EU-Kommission führte, trugen die Demonstranten ein Banner mit der Aufschrift „Annullierung des Vertrags der Schande zwischen der EU und der Türkei“.
Die Demonstranten in Athen, darunter viele Syrer und Afghanen mit ihren Familien, skandierten „Asyl und Unterkunft für Flüchtlinge“ oder „Nein zu Abschiebungen“. Zu der Demonstration hatten unter anderem linksgerichtete Gruppen aufgerufen.
Auch Menschenrechtsaktivisten in Deutschland kritisierten das EU-Türkei-Abkommen angesichts des Jahrestags. „Beide Seiten eint, dass sie Flüchtlinge nur noch zynisch als Manövriermasse sehen und sie für wechselseitige Erpressungsversuche missbrauchen“, erklärte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt.
Deutsch-italienisches Tandem für die EU-Flüchtlingspolitik
EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans rief derweil Deutschland und Italien auf, in der Frage einer abgestimmten europäischen Flüchtlingspolitik die Initiative zu ergreifen. Bislang sei in der EU-Geschichte vor allem das deutsch-französische Tandem der Antrieb gewesen, sagte Timmermans der italienischen Zeitung „La Stampa“.
„Ich bin überzeugt davon, dass wir in der Flüchtlingsfrage eine deutsch-italienische Einigung brauchen“, fügte der Niederländer hinzu. „Wenn Deutschland und Italien gemeinsame Lösungen finden, wird der Rest Europas folgen.“ Italien ist besonders vom Flüchtlingszuzug nach Europa betroffen, weil dort viele Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer ankommen.