Millionen junger Menschen in Entwicklungsländern werden in den kommenden Jahrzehnten in die Städte migrieren, um der Armut auf dem Lande zu entgehen. Das geht aus einem neuen Bericht der Food and Agriculture Organization (FAO) hervor, der am heutigen Montag vorgestellt wird, und in den EURACTIV.com bereits Einsicht hatte.
Eigentlich haben ländliche Gebiete dank der Nahrungsmittelproduktion und anderer mit ihr verbundenen Wirtschaftssektoren großes Wachstumspotenzial, so der Bericht The State of Food and Agriculture 2017. Da die Mehrheit der Armen und Hungrigen der Welt nach wie vor in diesen Gebieten lebe, müsse zur Erreichung der Entwicklungsziele 2030 dieses Potenzial erschlossen werden.
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— FAO Newsroom (@FAOnews) October 8, 2017
Man müsse die problematische Kombination aus niedriger Produktivität in der Subsistenzlandwirtschaft, begrenzten Möglichkeiten für Industrialisierung in vielen Gebieten, großem Bevölkerungswachstum und Verstädterung bekämpfen. Es gebe eindeutige Belege, dass Veränderungen in der ländlichen Wirtschaft große Auswirkungen auf Ernährung und Arbeitsbeschaffung haben.
Tatsächlich hätten wirtschaftliche Entwicklungen in ländlichen Gebieten seit 1990 dazu beigetragen, hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu befreien, heißt es im FAO-Bericht. Allerdings seien die Erfolge ungleichmäßig verteilt und lückenhaft – und das Bevölkerungswachstum erhöhe den Druck weiter.
Afrika wird jünger
Zwischen 2015 und 2030 wird der Anteil der 15- bis 24-Jährigen an der gesamten Weltbevölkerung um 100 Millionen auf 1,3 Milliarden Menschen steigen. Dabei wird ein Großteil dieses Wachstums in Subsahara-Afrika erwartet, und dort wiederum vor allem in ländlichen Gebieten.
In vielen Entwicklungsländern – insbesondere in Südasien und in Subsahara-Afrika – stagniert das Wachstum in den Industrie- und Dienstleistungssektoren allerdings. Diese Bereiche werden nicht fähig sein, die große Anzahl neuer Jobsuchender zu integrieren. Das gleiche gilt für die Landwirtschaft – zumindest in ihrer derzeitigen Form.
Mit diesen Aussichten ist es wahrscheinlich, dass junge Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte ziehen und dort Teil der urbanen Armen werden, statt auf dem Land einen Weg aus der Armut zu finden. Auch saisonale und permanente Migration wird zunehmen.
Es sei daher eine wichtige strategische Maßnahme, die Politik und Investitionen in ländliche Gebiete zu fördern, um so dabei zu helfen, dass in diesen Gebieten Lebensmittelsysteme und Agroindustrie mit Verbindungen in die Städte aufgebaut werden, so der heutige Bericht. Dadurch würden Jobs geschaffen und die Menschen könnten auf dem Land bleiben und ihr Leben dort verbessern.
Umstrukturierungen in ländlichen Wirtschaften seien kein Allheilmittel gegen den Druck, der Menschen zur Migration zwingt, aber sie können dazu beitragen, die dringend benötigten Arbeitsplätze zu schaffen und den Umzug in die Städte so vermehrt zu einer freiwilligen Entscheidung machen.
Im Bericht wird daher vorgeschlagen, man müsse Veränderungen in ländlichen Gebieten durch eine Diversifizierung der Lebensmittelsysteme und die Schaffung neuer landwirtschaftlicher Tätigkeiten forcieren, die auch der steigenden Nachfrage aus den Städten gerecht würde.
Darunter würden alle Firmen fallen, die Lebensmittel verarbeiten oder veredeln, verpacken oder transportieren und lagern, vermarkten und verkaufen, sowie Unternehmen, die Produktionsmittel wie Saatgut, Düngemittel, Werkzeug und Ausrüstung oder Bewässerungs- und andere Dienstleistungen zur Verfügung stellen.
Auch in Staaten mit relativ hohem Bevölkerungsanteil in den ländlichen Gebieten mache die Nachfrage nach Lebensmitteln aus den Städten bereits 70 Prozent der insgesamt verfügbaren Nahrungsmittelressourcen der Länder aus, heißt es im FAO-Bericht.
Keine Wunderwaffe
Während die zunehmende Urbanisierung also eine einmalige Chance für die Landwirtschaft bietet, sei sie auch eine Herausforderung für die Millionen Klein- und Kleinstbauern weltweit.
Wenn die Märkte profitabler werden, kann dies zur Konzentrierung der Lebensmittelproduktion in den Händen großer kommerzieller Farmen führen und dazu, dass die Wertschöpfungsketten von großen Verarbeitern und Einzelhändlern dominiert und die Kleinbauern ausgeschlossen werden.
Daher seien unterstützende Maßnahmen der Politik notwendig, um die steigende Nachfrage der Städte in nachhaltiges Wachstum sowie guten Marktzugang für Kleinbauern umzuwandeln.
Familienbetriebe, Infrastruktur, Kleinstädte und Dörfer
Die Studie schlägt daher drei Ansätze für unterstützende Maßnahmen vor: Erstens müsse sichergestellt werden, dass Kleinproduzenten aktiv teil daran haben können, die Bedürfnisse der Städte nach Nahrungsmitteln zu befriedigen. Einige Optionen wären beispielsweise eine Stärkung der Land- und Nutzungsrechte, gerechtere Zuliefererverträge und verbesserter Zugang zu Krediten.
Zweitens müsse die notwendige Infrastruktur aufgebaut werden, um die ländlichen Produktionsgebiete besser mit den urbanen Märkten zu verbinden. In vielen Ländern sei des Fehlen von guten Landstraßen, elektrischen Netzen, Lagermöglichkeiten und Kühltransporten ein Haupthindernis für Landwirte, die den städtischen Bedarf an frischem Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukten decken wollen.
Drittens sei es jedoch wichtig, nicht nur die Großstädte mit dem Land zu verbinden, sondern auch ein Netz zu dünner besiedelten städtischen Gebieten und Dörfern aufzubauen. Tatsächlich seien Kleinstädte und größere Dörfer ein vernachlässigter potenzieller Absatzmarkt für Lebensmittel, so der Bericht.
Im Jahr 1960 hätten 22 Prozent der Einwohner von Entwicklungsländern (460 Millionen Menschen) in Kleinstädten gewohnt. Im Jahr 2015 lag der Wert bereits bei 49 Prozent (3 Milliarden Menschen). In Entwicklungsländern sind städtische Gebiete relativ klein: Ungefähr 50 Prozent der Stadtbevölkerung, oder 1,45 Milliarden Menschen, leben nicht in Mega-Cities, sondern in Städten mit 500.000 Einwohnern oder weniger.
Es wird geschätzt, dass sich die Wertschöpfung auf städtischen Lebensmittelmärkten in Subsahara-Afrika zwischen 2010 und 2030 vervierfachen wird; von 313 Milliarden US-Dollar auf eine Billion Dollar.