This article is part of our special report Mit Volldampf in den Herbst? So geht’s in der EU nach der Sommerpause weiter.
Einige Staaten auf dem Westbalkan könnten diesen Herbst möglicherweise Fortschritte beim Thema EU-Beitritt erzielen. Im Rahmen der Östlichen Partnerschaft sorgt sich die EU derweil um Belarus sowie die weiterhin kritische Lage in der (Ost-) Ukraine.
Nach einem „Erweiterungsgipfel“ im Mai, bei dem das Wort „Erweiterung“ gänzlich unerwähnt blieb, wird die Westbalkanregion auch in diesem Herbst ganz oben auf der Brüsseler Agenda stehen – und möglicherweise sogar den einen oder anderen Fortschritt in den langwierigen Beitrittsprozessen verzeichnen.
Die Kommission – die inzwischen eine neue Methodik für den Beitritt zum Block zur Hand hat – wird voraussichtlich im Herbst ihr mehrfach aufgeschobenes „Erweiterungspaket“ veröffentlichen, das den gesamten Prozess analysieren soll und detaillierte länderspezifische Berichte über die Fortschritte der Beitrittskandidaten (und der potenziellen Anwärter auf den Kandidatenstatus) enthält.
Die EU-Exekutive wird voraussichtlich auch ihr ursprünglich für Mai vorgesehenes Investitionsprogramm für den Westbalkan vorlegen, das sich auf die Bereiche Energie, Verkehr sowie grüne und digitale Themen konzentrieren wird. Damit soll unter anderem die Abwanderung von Fachkräften aus den Balkanstaaten gemindert und die Region so nah wie möglich an die EU-Wirtschaft herangeführt werden.
Die Kommission wird allerdings weniger finanziellen Handlungsspielraum haben, nachdem der EU-Rat die vorgeschlagene Aufstockung des Nachbarschafts-, Entwicklungs- und internationalen Kooperationsinstruments (NDICI) um 10,5 Milliarden Euro abgeblasen hat. Die Gesamtfinanzierung für das Instrument reduziert sich auf 70,8 Milliarden.
Auf der anderen Seite haben sich die Staats- und Regierungschefs allerdings auf einen Finanzrahmen von 12,6 Milliarden Euro für die Heranführungshilfe im nächsten siebenjährigen Haushaltszeitraum geeinigt. Der Budget-Vorschlag muss noch vom Europäischen Parlament gebilligt werden.
Beitrittskandidaten Nordmazedonien und Albanien
Die Parlamentswahlen in Nordmazedonien, die aus Sicht einiger Beobachter den Beitrittsprozess beschleunigen könnten, führten zu einer weiteren Amtszeit des sozialdemokratischen Premierministers Zoran Zaev. Dieser hatte zuvor den im Inland heftig umstrittenen Namens-Deal mit Griechenland eingefädelt und somit die Tür zur EU-Mitgliedschaft deutlich weiter aufgestoßen.
Zaevs Bildung einer neuen Koalition unter wichtiger Beteiligung der albanischen Minderheit im Land (unter anderem sollen die letzten 100 Tage der Amtszeit von einem Vertreter der albanischen Parteien als Premier übernommen werden) bedeutet, dass Nordmazedonien noch unter der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft, vermutlich zum Ende des Jahres hin, tatsächlich die Beitrittsverhandlungen aufnehmen könnte.
Ein Risiko für die Aufnahme der Gespräche besteht derweil noch im Streitfall mit Bulgarien bezüglich der mazedonisch-bulgarischen Geschichte.
Schwieriger dürfte es für den Nachbarstaat Albanien werden. Nach anfänglichem Lob für Albanien für dessen Verabschiedung von Wahlreformen – eine der Vorbedingungen für die Aufnahme von Gesprächen – zeigte sich die EU kürzlich alles andere als begeistert über die von den regierenden Sozialdemokraten durchgesetzten Verfassungsänderungen, die nach Ansicht der Opposition politisch motiviert waren.
Weitere Verzögerungen beim Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen scheinen sich somit anzubahnen.
Montenegro und Serbien (und Kosovo)
Unterdessen rückt Montenegro mit der Öffnung des letzten Verhandlungskapitels (Wettbewerb) bei der Umsetzung des EU-Rechts in diesem Sommer näher an den Beitritt zum Club heran. Der Weg ist jedoch noch lange nicht zu Ende: Bisher wurden lediglich drei der insgesamt 35 Verhandlungskapitel vorläufig abgeschlossen.
Kontroverse Parlamentswahlen, die für diesen Sonntag (30. August) angesetzt sind, und anhaltende Sorgen bezüglich der Rechtsstaatlichkeit könnten den aktuellen „Erweiterungs-Spitzenreiter“ noch einmal ausbremsen.
Nach der Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Serbien und dem Kosovo in diesem Sommer könnten derweil Belgrad und Pristina dem Abschluss eines umfassenden rechtsverbindlichen Abkommens zur Normalisierung ihrer Beziehungen in diesem Jahr näher rücken. Das hätte sicherlich auch positive Auswirkungen auf die Beitrittsverhandlungen Serbiens sowie die Aussichten des Kosovos, künftig auch als Kandidat gehandelt zu werden.
Allerdings ist auf diesem schwierigen Weg hin zur Normalisierung der Beziehungen nach wie vor nichts sicher und die Gesprächen könnten jederzeit erneut scheitern.
Somit werden Montenegro und Serbien weiterhin als aussichtsreichste Kandidaten und „Vorreiter“ beim Thema Erweiterung auf dem Balkan angesehen. Montenegro liegt dabei noch vor Serbien. Es bleibt abzuwarten, ob das Land gegebenenfalls allein vorankommen und sogar der EU beitreten darf – oder ob Podgorica auf Belgrad „warten“ muss.
Östliche Partnerschaft
Weiter östlich sind aktuell alle Augen auf die Entwicklungen in Belarus gerichtet. Ansonsten ist in Bezug auf die Östliche Partnerschaft wohl in diesem Jahr nicht mehr viel zu erwarten: Nach einem eher unauffälligen Gipfeltreffen zwischen Staats- und Regierungschefs der ÖP-Länder sowie führenden Vertretern der EU-Institutionen im Juni und trotz früherer Versprechen, den östlichen Nachbarn der EU wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, stehen in dieser Hinsicht keine größeren Initiativen auf der Tagesordnung.
Im Südkaukasus steht Georgien nach der Einigung über die Wahlreform vor einer hitzigen Wahlkampfphase im Vorfeld der Parlamentswahlen Ende Oktober.
Nachdem die Spannungen zwischen den Erzfeinden Aserbaidschan und Armenien im Juli wieder aufgeflammt waren, scheint die Lage in den beiden Staaten sowie in der umstrittenen Region Bergkarabach nun stabil zu sein.
Näher an den EU-Grenzen scheint der fragile Waffenstillstand in der Donbas-Region im Osten der Ukraine mehr oder weniger zu halten.
Die deutsche Ratspräsidentschaft dürfte auf weitere Gespräche im sogenannten „Normandie-Format“ mit Vertretern der Ukraine, Russlands, Frankreichs und eben Deutschlands drängen, möglicherweise bereits Ende September. Ziel Berlins ist es nach wie vor, die Umsetzung des Minsker Abkommens sicherzustellen. Ob es zu weiteren Gesprächen kommt, dürfte vor allem von der Haltung des Kremls abhängen.
Kiew hofft derweil, auf dem EU-Ukraine-Gipfel am 1. Oktober endlich das Abkommen über einen gemeinsamen Luftverkehrsraum zu unterzeichnen, das den Zugang zum EU-Binnenmarkt liberalisieren und gemeinsame Standards festlegen würde. Während die ukrainischen Vertreter des Weiteren wahrscheinlich auf eine Überprüfung der Quoten im Rahmen des Handelsabkommens mit dem Block drängen werden, dürfte die EU-Seite vor allem darauf hinweisen, dass der Pakt, wenn er vollständig umgesetzt wird, auch die Umsetzung eines Großteils des EU-Rechts vorsieht.
Die Europäische Kommission wird auch die innenpolitischen Entwicklungen in der Ukraine aufmerksam verfolgen. Personal-Umbildungen in Regierung und Justiz auf hoher Ebene, die Besorgnis über angeblich politisch motivierte Strafverfolgung, der Vorwurf des „systemischen politischen Drucks“ auf unabhängige Institutionen und die Angst um die Pressefreiheit treiben Brüssel weiterhin um.
Bleibt noch Moldawien als letztes Mitglied der Östlichen Partnerschaft: Dort dürfte sich in Bezug auf die Kooperation mit der EU allerdings in naher Zukunft wenig tun – unter anderem, weil das Land aktuell von einer pro-russischen Regierung geführt wird.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic, Georgi Gotev und Tim Steins]