Mahnende Worte aus der EU, trotzige Reaktion aus Ankara: In der Debatte über das Flüchtlingsabkommen und die Visa-Freiheit für die Türken ist der Ton am Wochenende wieder rauer geworden.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verteidigte die Anti-Terror-Gesetze seines
Landes und warf den EU-Staaten vor, selbst Demokratie und Freiheiten einzuschränken. Politiker in Berlin und Brüssel warnten vor Zugeständnissen an Ankara.
Die Rücktrittsankündigung des türkischen Regierungschefs Ahmet Dovutoglu hatte in der EU die Sorge vor einem Scheitern des Flüchtlingsabkommens geschürt. „Der Rückzug des türkischen Ministerpräsidenten darf nicht zur Destabilisierung führen“, sagte der CSU-Europapolitiker Manfred Weber der „Bild am Sonntag“.
„Wir erwarten ein eindeutiges Signal von Präsident Erdogan, dass er weiter voll und ganz zur Vereinbarung steht“, betonte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament.
Vorerst ging der türkische Staatschef aber auf Konfrontationskurs zur EU. Den von Anschlägen getroffenen EU-Staaten warf er vor, im Anti-Terror-Kampf mit zweierlei Maß zu messen. „Diejenigen, die uns kritisieren, haben die Demokratie und die Freiheiten zur Seite gelegt, als die Bomben auf ihrem Boden anfingen zu explodieren“, sagte Erdogan am Samstag in einer Rede im südöstlichen Malatya.
Am Freitag hatte Erdogan bereits erklärt, die Anti-Terror-Gesetzgebung der Türkei werde nicht nach den Vorstellungen der EU geändert. „Wir gehen unseren Weg – und Ihr geht Euren“, sagte der Präsident. Eine Gesetzesänderung ist eine der zentralen Forderungen der EU bei der Abschaffung der Visumspflicht. Insgesamt muss die Türkei für die Visa-Freiheit 72 Kriterien erfüllen.
Die weitreichenden Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei entsprechen nach Auffassung Brüssels nicht den europäischen rechtsstaatlichen Normen. Türkische Sicherheitskräfte liefern sich seit Monaten heftige Gefechte mit kurdischen Rebellen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Zugleich verfolgt Ankara Anhänger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) und mehrerer linksextremer Gruppen.
Die Visa-Freiheit war wiederum eine der Hauptforderungen Ankaras, damit der im März zwischen der EU und Ankara ausgehandelte Flüchtlingspakt zustande kam. Innerhalb der großen Koalition in Berlin wachsen angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Türkei die Bedenken.
Kritik und Besorgnis aus Berlin und Brüssel
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei auf den „halb garen Flüchtlings-Deal“ mit Ankara angewiesen und daher erpressbar, sagte der Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, der „Welt am Sonntag“. „Erdogan kann machen was er will – Merkel macht mit.“
CSU-Landesgruppenschefin Gerda Hasselfeldt betonte in der „WamS“, die EU-Bedingungen für eine Visa-Freiheit seien „weder verhandelbar noch beliebig interpretierbar“.
Auch der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok und der Vize-Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Knut Fleckenstein, bekräftigten, es dürfe „keinen Flüchtlingsrabatt“ für Ankara geben. Beide mahnten aber gleichzeitig zur Besonnenheit. „Wir dürfen jetzt nicht zu die Backen aufblasen, abgerechnet wird in solchen Verhandlungen immer erst am Ende“, sagte Fleckenstein der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Die Opposition warnte, das Abkommen mit der EU könne Erdogan ermutigen, seine Macht weiter auszubauen. Die Bundesregierung dürfe daher die Einschränkungen der Pressefreiheit und das militärische Vorgehen gegen die Kurden in der Türkei nicht länger hinnehmen, „nur um einen unmenschlichen Flüchtlings-Deal fortzuführen“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch der „WamS“.
Erdogan, der die Einführung eines Präsidialsystems anstrebt, wird vorgeworfen, zunehmend autoritär zu regieren und die Pressefreiheit einzuschränken. Für internationale Empörung sorgte am Wochenende die Verurteilung der regierungskritischen „Cumhuriyet“-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül zu langjährigen Haftstrafen wegen Geheimnisverrats.
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen bezeichnete das Urteil als „klares Signal der Einschüchterung“. Die Grünen sprachen von „Rachejustiz“, die Linken nannten den Schuldspruch einen „Skandal“. Das Auswärtige Amt erklärte, es habe das Urteil vom Freitag „mit erheblicher Sorge“ aufgenommen.