Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in Davos die aktuelle Kritik und Infragestellung internationaler Systeme zurückgewiesen und sich stattdessen für den Multilateralismus stark gemacht. Auch die Ministerpräsidenten von Italien und Spanien präsentierten ihre Visionen und Ansätze.
Multilaterale Institutionen seien unverzichtbar, „wenn wir in der Welt von morgen gut leben wollen“, sagte Merkel gestern beim Jahreskongress des Weltwirtschaftsforums in Davos. „Wir haben populistische Herausforderungen, wir haben nationalistische Kräfte. Wir müssen dagegen antreten. Aber vielleicht macht das die Schlachtordnung auch klarer und stärker,“ so Merkel weiter. Die deutsche Regierung werde sich auch deswegen „sehr stark dafür einsetzen, dass unsere multilaterale Ordnung nicht bei der EU endet, sondern eine wird, die auch auf die neuen Herausforderungen wirklich gute Antworten gibt.“
Merkel forderte, die Führer der Welt sollten sich zwar an ihren nationalen Interessen orientieren, dabei aber berücksichtigen, dass andere Menschen ebenfalls Interessen haben. Auch diese müssten berücksichtigt und „mitgedacht“ werden, um globale „Win-Win-Situationen“ zu schaffen.
Die Kanzlerin sandte damit das genaue Gegenteil der Botschaft von US-Außenminister Mike Pompeo, der am Vortag in Davos eine Videoansprache hielt. Wörtlich sagte sie, eine „globale Architektur“ werde „nur funktionieren, wenn wir insgesamt fähig zum Kompromiss sind“.
Mit Multilateralismus gegen globale Bedrohungen
Merkel betonte die Herausforderungen, vor denen die Welt derzeit steht, und verwies dabei auf den Global Risk Report, der im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums veröffentlicht wurde. Cyber-Risiken – einschließlich Fake News, Datenklau und untergrabener Privatsphäre – oder sogar Cyberangriffe, die von künstlicher Intelligenz gesteuert werden, seien inzwischen in der Top-5 der größten Risiken für Unternehmen.
Neben solchen Cybergefahren und dem Klimawandel warnt der Report des Weltwirtschaftsforums außerdem vor der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaften, steigenden Einkommens- und Vermögensunterschieden und dem weit verbreiteten Anstieg nationalistischer Stimmungen auf der ganzen Welt.
Merkel betonte mehrfach die Notwendigkeit, die multilateralen Institutionen zu erhalten und zu modernisieren bzw. umzugestalten, anstatt sie durch neue Systeme zu ersetzen. Sie räumte ein, einige internationale Handels- und Finanzorganisationen wandelten sich zu langsam, um dem Entwicklungsbedarf und dem Tempo des Wirtschaftswachstums in Schwellen- und Entwicklungsländern zu entsprechen.
Es sei daher an der Zeit, „die Dinge beim Namen zu nennen“ und nicht „um den heißen Brei herumzureden“: Aus westlicher Sicht müsse man darüber hinaus bereit sein, „die bestehenden Institutionen so zu reformieren, dass sie die Kräfteverhältnisse auf der Welt wieder real widerspiegeln,“ bemerkte Merkel mit deutlichem Verweis auf die neuen Großmächte China und Indien.
Italiens und Spaniens Regierungschefs mit eigenen Ansätzen
In ihren Beiträgen betonten die drei Regierungschefs Deutschlands, Italiens und Spaniens die Dringlichkeit, die globale Ungleichheit zu bekämpfen. Allerdings setzten der Italiener Giuseppe Conte und der Spanier Pedro Sánchez dabei andere Akzente als Merkel.
Sánchez betonte, die grundlegende Trennlinie bei den fünf großen globalen Herausforderungen – technologischer Wandel, Wirtschaft, Globalisierung, Frauenrechte und Demokratie – liege im Sozialen. Es gebe zu große Unterschiede einerseits sowie Privilegien andererseits: „Unsere Gesellschaften schaffen weiterhin viele Ausgestoßene,“ warnte er.
Doch auch seiner Ansicht nach ist eine Reform und Stärkung der bestehenden Institutionen der Weg zum Erfolg: „Wir müssen die Welthandelsorganisation reformieren, um den freien Handel zu gewährleisten. Und wir müssen Europa schützen, wenn wir wollen, dass Europa unsere Bürger schützt.“
Mit Blick auf die bevorstehenden Europawahlen erklärte der spanische Ministerpräsident, der Brexit biete den EU-Mitgliedsstaaten zwar einige Herausforderungen, aber auch die Möglichkeit, ihren Integrationsprozess zu stärken.
Italiens Premier Guiseppe Conte unterstrich in seiner Rede indes, der traditionelle Unterschied zwischen politisch „links“ und „rechts“ sei nicht mehr ausreichend, um aktuelle Phänomene komplett zu erfassen. „Die Geschichte lehrt uns, dass alles passieren kann, wenn sich die Menschen getäuscht fühlen,“ warnte Conte außerdem und fügte hinzu, dass sich ein Gefühl der Verzweiflung ausgebreitet habe.
Er merkte an, die Italiener hätten „einst“ an das europäische Projekt und die liberal-demokratische Ordnung geglaubt, bevor sie erkannt hätten, dass die Realität eine ganz andere sei.
Conte sagte zwar auch, die aktuellen internationalen Herausforderungen – Protektionismus, Klimawandel und Migrationsströme – drängten dazu, „uns auf die komplexen Dynamiken in den Beziehungen zwischen den Global Playern zu konzentrieren“. Abschließend prophezeihte er dennoch: „Die italienische Erfahrung könnte ein Hinweis darauf sein, wie Europa zukünftig aussehen könnte.“
[Bearbeitet von Sam Morgan & Tim Steins]