Die Wallonie wird beim kommenden EU-Gipfel vom 20. und 21. Oktober im Zentrum der Debatten stehen, denn die französischsprachige Region Belgiens wehrt sich noch immer gegen CETA. Europas Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel, warnt Cecilia Malmström. EURACTIV Brüssel berichtet.
EU-Vertreter werden nicht müde zu erwähnen, wie wichtig der Abschluss des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) ist – gerade jetzt in einer Zeit, in der die Gemeinschaft ihre neuen Beziehungen zu Großbritannien auslotet und weitere Handelsdeals zum Beispiel mit Japan im Blick hat.
Rumänien und Bulgarien erwarten noch immer, dass Kanada ihren Bürgern Visafreiheit gewährt und blockieren den CETA-Abschluss. Der größte Widerstand jedoch kommt aus dem französischsprachigen Teil Belgiens. „Wir arbeiten an einer Lösung für die Wallonie“, versprach ein hochrangiger EU-Vertreter am 18. Oktober.
Laut EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström geht es in dieser Angelegenheit jedoch nicht nur um CETA selbst, sondern um viel mehr. „Es stehen noch viel größere Dinge auf dem Spiel als dieses Abkommen“, betonte sie beim gestrigen Treffen in Luxemburg. „Es geht um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union beim Abschließen zukünftiger Handelsabkommen.“ Mit diesen Worten gab sie das heiße Eisen an die führenden EU-Politiker in Brüssel weiter.
EU-Ratspräsident Donald Tusk, der die Gespräche leitete, geht davon aus, beim kommenden Gipfel in Brüssel eine Lösung zu finden. Die einzige Deadline, die es einzuhalten gelte, sei der EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober, erklärte ein EU-Vertreter. Dann eigentlich soll der kanadische Premierminister Justin Trudeau in Brüssel seine Unterschrift unter das Abkommen setzen. Wenn das Problem bis dahin nicht geklärt wird, „müssen wir die Tickets zurückerstatten“, witzelt ein Vertreter.
Trotz der wallonischen CETA-Absage hält Belgiens Regierung die Tür für einen Kompromiss offen, der die Unterzeichnung des Deals beim EU-Kanada-Gipfel ermöglichen könnte.
Letzte Woche schon blockierten wallonische Abgeordnete den Ratifizierungsprozess. Sie sorgen sich um die Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf öffentliche Dienste und Landwirte. Am gestrigen Dienstag fanden schließlich intensive Debatten zwischen Belgiens föderaler Regierung, wallonischen Politikern und der EU-Kommission statt. „Wir sind uns alle einig, wie wichtig dieses Abkommen für Kanada und die EU ist“, kommentiert ein hochrangiger EU-Vertreter. Die EU sei zugegebenermaßen nicht der einfachste Verhandlungspartner. „Wir sorgen für einige Probleme, die unsere Partner manchmal überraschen“, gesteht er. Auch Malmström lobt Ottawas Standhaftigkeit: „Die Kanadier sind sehr geduldig mit uns. Es ist wirklich nicht einfach. Wir sind 28 [Mitgliedsstaaten] und unsere Verfahren dauern eine Weile.“
In Europa sind die Stimmen gegen Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA (TTIP) in den vergangenen Monaten immer zahlreicher geworden. Insbesondere Bürgerrechtsorganisationen und linksgerichtete Politiker warnen, die Deals könnten Europas sicherheitspolitische, ökologische, und verbraucherschutzrechtliche Standards aufweichen. Außerdem befürchten sie, dass der CETA-Entwurf die Rechte der Regierungen schwächen könnte, im öffentlichen Interesse zu regulieren.
Ein Beispiel für Großbritannien?
CETA gilt als erste Feuerprobe für die zukünftigen Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Das Abkommen mit Kanada müsse als Beispiel für die Brexit-Verhandlungen gelten, betonte Spaniens amtierender Außenminister José Manuel García-Margallo am 17. Oktober.
Großbritannien könne einen ähnlichen Deal mit der EU abschließen wie die Kanadier und so die Zollschranken beseitigen, hatte auch Boris Johnson, Brexit-Befürworter und inzwischen britischer Außenminister, im März 2016 gesagt. „Ich sehe eine wirklich strahlende Zukunft vor uns“, versprach er.
Malmström hingegen zeigte sich diesbezüglich weniger optimistisch: „Wenn wir es mit Kanada nicht auf die Reihe kriegen, dann glaube ich nicht, dass wir es mit Großbritannien schaffen werden.“ Jedwede Art von Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich muss von allen 28 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, inklusive der belgischen Wallonie.
Ein neuer Handelskonsens
Angesichts des breiten Widerstandes gegen Freihandelsabkommen in der Öffentlichkeit, möchte Tusk den handelspolitischen Konsens innerhalb der EU erneuern. Er nimmt die Bedenken der Mitgliedsstaaten ernst, plant jedoch gleichzeitig, die Vorzüge des Außenhandels stärker hervorzuheben. Ziel sei es, das Vertrauen der Bürger wiederzugewinnen, erklärt ein EU-Vertreter.
Dem aktuellen Entwurf der Gipfelschlussfolgerungen nach will sich die EU auch weiterhin den Sorgen der Bürger widmen. „Die EU-Handelsinteressen umfassen die vollständige Verteidigung und Förderung von Sozial-, Umwelt-, und Verbraucherstandards, welche die europäische Lebensart bestimmen, ebenso wie das Regulierungsrecht der Regierungen“, heißt es in dem von EURACTIV eingesehenen Text.
Über die Freihandelsabkommen hinaus werden die führenden EU-Politiker in den kommenden Tagen auch über handelspolitische Schutzinstrumente sprechen, insbesondere die Regel des niedrigen Zolls. Letztere schränkt die EU stark in ihrer Fähigkeit ein, Antidumpingzölle auf Produkte wie chinesischen Stahl zu erheben. EU-weit konnten keine strikteren Antidumpingmaßnahmen eingeführt werden, weil sich die Mitgliedsstaaten seit der Kommissionsverordnung von 2013 nicht auf einen Kompromiss einigen konnten.
Auch wenn beim anstehenden Gipfel noch niemand wirkliche Entscheidungen in dieser Hinsich erwartet, soll doch bis Ende dieses Jahres ein entsprechendes Abkommen beschlossen werden. Der handelspolitische Zeitdruck ist umso größer, da die EU China bis Dezember 2016 erwartungsgemäß den Marktwirtschaftsstatus übertragen wird.
Am kommenden Freitag stehen also vor allem Handelsthemen auf der Agenda. Während des ersten Gipfeltages werden die Politiker vor allem über die Flüchtlingskrise und Russland diskutieren. Auch zum Thema Syrien sollen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Und noch ein weiteres Highlight steht an: Die britische Premierministerin Theresa May wird mit großer Wahrscheinlichkeit offiziell bestätigen, dass sie sich kommenden März auf Artikel 50 des EU-Vertrags berufen wird.
Der niederländische Premierminister Mark Rutte wird seine Kollegen darüber informieren, wie er die Ratifizierung des EU-Freihandelsabkommens mit der Ukraine fortzusetzen plant, nachdem die Niederlande im vergangenen April gegen den Deal gestimmt hatten.