Die Bundesregierung will sich von der Armenien-Resolution des Bundestags laut einem Medienbericht distanzieren – und erntet dafür heftige Kritik.
Lange hatte es gedauert – nun droht ein Rückschritt: Am 2. Juni hatte der Bundestag die Massaker osmanischer Truppen an Armeniern vor 100 Jahren offiziell als Völkermord bezeichnet – unterstützt auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Gabriel, die an der damaligen Abstimmung allerdings bewusst „wegen anderer Termine“ nicht teilnahmen.
Doch nun soll die Bundesregierung nach Informationen des „Spiegel“ planen, auf Distanz zur Armenier-Resolution des Bundestags zu gehen – als politische Geste an die türkische Regierung. Der Hintergrund: Deutschen Abgeordneten ist es seit der Resolution untersagt, die mehr als 200 in der türkischen Nato-Basis Incirlik stationierten Bundeswehr-Soldaten zu besuchen. Sie sollen mit sechs Tornado-Aufklärungsjets und einem Tankflugzeuge den Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) unterstützen.
Dem Besuchsverbot wolle Berlin nach einer Einigung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Kanzleramt ein Ende setzen, indem sich Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen der Bundesregierung dazu von der Armenien-Resolution des Bundestages distanzieren, so der „Spiegel“.
Was Distanzierung konkret heißt, ist laut „Spiegel“ schon beschlossen. Die Resolution des Bundestags soll künftig keinerlei bindende Wirkung für die deutsche Regierung haben, sondern wird als eine Erklärung des Bundestags ohne juristische Bedeutung eingestuft.
Etliche deutsche Politiker zeigten sich enttäuscht. Er sei gespannt, ob sich die Bundesregierung nun weiter von durch den Bundestag beschlossenen Gesetzen distanzieren werde, twitterte etwa der Grünen-Parlamentarier Tobias Lindner.
Bin gespannt, ob sich die Bundesregierung zukünftig auch von Gesetzen, die der Bundestag beschließt, distanzieren will. #Armenien
— Dr. Tobias Lindner (@tobiaslindner) September 2, 2016
Frage an @RegSprecher für Bundesregierung : welche Aussage der Resolution ist falsch und wird von ihr nicht geteilt? https://t.co/gVGgzGGZyu
— Volker Beck (@Volker_Beck) September 2, 2016
Auch von der FDP kam Kritik: Der Bundesvorsitzende der Freien Demokraten, Christian Lindner, kommentierte auf Twitter, die Entscheidung der Bundesregierung müsse „eine ‚Ente‘ sein. Ein solcher Kotau wäre würdelos für unser Land und respektlos gegenüber Bundestag.“
Spekulation zu #Armenien muss eine "Ente" sein. Ein solcher Kotau wäre würdelos für unser Land und respektlos gegenüber Bundestag. CL
— Christian Lindner (@c_lindner) September 2, 2016
Dem Schritt war ein großes Hin und Her vorweg gegangen: Noch am Montag hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die Forderung des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu zurückgewiesen, der die Beendigung des Streits um das Besuchsverbot mit einer Distanzierung von der Armenier-Resolution des Bundestags verknüpft hatte. Steinmeier sagte in einem Interview für die ARD-Sendung „Farbe bekennen“: „Ich sehe nicht diesen unmittelbaren Zusammenhang und das habe ich dem türkischen Kollegen auch gesagt.“
Am heutigen Freitag dann betonte der Außenminister, dass die Resolution keine rechtliche Wirkung habe. „Der deutsche Bundestag hat natürlich jedes Recht und die Freiheit, sich zu politischen Fragen zu äußern“, sagte Steinmeier in Berlin. „Der Bundestag sagt aber auch selbst, dass nicht jeder Resolution eine rechtliche Bindewirkung zugrunde liegt.“
Cavusoglu hatte in Ankara gesagt: „Wenn sie die notwendigen Schritte einleiten, werden wir den Besuch erlauben.“ Wer sich allerdings in die türkische Geschichte einmische und sie verfälsche, werde keine Erlaubnis bekommen.
Die Türkei widerspricht bis heute der Einordnung der Massaker als Völkermord. In der offiziellen türkischen Geschichtsschreibung heißt es, auch Türken seien Opfer der Massenmorde geworden. Neben Russland, Frankreich, Polen, die Schweiz und dem Europäischen Parlament hatte im Juni nun auch der Bundestag die Ereignisse als Genozid eingestuft.