Um den Druck auf die EU zu erhöhen, hat der britische Premierminister Boris Johnson damit gedroht, neue Gesetze und Anforderungen für die Zollregelungen in Nordirland vorzulegen. Mit der bisherigen Vereinbarung soll die Wiedereinführung von Kontrollen an der irisch-irischen Grenze ab dem kommenden Jahr verhindert werden.
Das irische Protokoll war ein entscheidender, aber umstrittener Teil des Austrittsabkommens, mit dem das Vereinigte Königreich im Januar aus der EU ausgetreten ist.
Die neue britische Gesetzgebung, das sogenannte Binnenmarktgesetz, wurde noch nicht veröffentlicht, aber es ist offenbar davon auszugehen, dass mit ihr die Rechtsverbindlichkeit des Austrittsabkommens in Bereichen wie staatliche Beihilfen und Zollbestimmungen in Nordirland außer Kraft gesetzt wird.
Im Mai hatte die Regierung des Vereinigten Königreichs Pläne zur Umsetzung des Protokolls, einschließlich neuer Zollkontrollen auf der irischen Insel und der Einhaltung der EU-Vorschriften für Agrar-Nahrungsmittel und Industrieprodukte durch Nordirland sowie der weiteren Durchsetzung des EU-Zollkodex in seinen Häfen veröffentlicht.
Britische Regierungsvertreter erklärten heute, das Binnenmarktgesetz sei ein Notfallplan für den Fall, dass die Handelsgespräche mit dem EU-Verhandlungsteam unter der Leitung von Michel Barnier in den kommenden Wochen scheitern.
Die achte Verhandlungsrunde soll am morgigen Dienstag beginnen.
Da sich die Gespräche zwischen Barniers Team und seinem britischen Kollegen David Frost in einer Sackgasse befinden, insbesondere bei den Vorschriften für staatliche Beihilfen und im Fischereisektor, hat das Vereinigte Königreich in den letzten 48 Stunden versucht, den Druck auf die EU zu erhöhen.
In einer Erklärung vom Montag nannte Johnson einen EU-Gipfel am 15. Oktober als Frist für die Einigung auf ein Handelsabkommen. Wenn es bis Mitte Oktober hingegen keine Einigung gebe, „dann sehe ich nicht, dass es ein Freihandelsabkommen zwischen uns geben wird“, betonte Johnson.
Die EU hatte ihrerseits zuvor deutlich gemacht, dass auch aus ihrer Sicht die Verhandlungen bis Mitte Oktober zum Abschluss kommen müssen. Die Vereinbarungen müssten danach noch übersetzt und vom EU-Parlament sowie allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden – bestenfalls, bevor die Übergangsperiode des Vereinigten Königreichs am 31. Dezember endet.
Johnson fügte hinzu, der Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und zukünftige Handelsbeziehungen mit der Union zu den Bedingungen der Welthandelsorganisation – die die Wiedereinführung von Zöllen auf eine Reihe von Produkten vorsehen würden – wäre „ein gutes Ergebnis für das Vereinigte Königreich“.
I trust the British government to implement the Withdrawal Agreement, an obligation under international law & prerequisite for any future partnership. Protocol on Ireland/Northern Ireland is essential to protect peace and stability on the island & integrity of the single market.
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) September 7, 2020
Die EU hat die Vermeidung einer harten Grenze auf der irischen Insel zu einer Schlüsselpriorität in ihrer Brexit-Verhandlungsstrategie gemacht.
Derweil ist die Drohung, das Irland-Protokoll nichtig zu machen, auch für Johnson innenpolitisch ein riskanter Schritt. Besonders heikel ist das Thema verständlicherweise in Nordirland selbst, wo die stellvertretende Premierministerin Michelle O’Neill bereits kritisierte, eine Änderung wäre ein „heimtückischer Verrat, der der gesamtirischen Wirtschaft und dem Karfreitagsabkommen irreversiblen Schaden zufügen würde“.
Unterdessen startete das Vereinigte Königreich am Montag seine „Keep Business Moving“-Kampagne, die darauf abzielt, EU-Händler darüber zu informieren, was sie tun müssen, um den Handel mit dem Vereinigten Königreich ab Ende des Jahres reibungslos fortsetzen zu können.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]