Die EU müsse angesichts eines immer selbstbewusster auftretenden und mächtiger werdenden Chinas eine „robustere“ Strategie finden, forderte der Hohe Außenvertreter der EU, Josep Borrell, am Montag. Diese Woche wollen die Außenministerinnen und Außenminister der EU-Staaten ihre Haltung gegenüber China erneut besprechen.
Der Aufruf kommt zu einem Zeitpunkt, da die EU-Mitgliedsstaaten ohnehin Schwierigkeiten haben, eine gemeinsame, einheitliche Antwort auf Chinas zunehmenden Willen zu finden, seine geopolitische Schlagkraft in Europa zu nutzen.
Borrell sagte gestern in einer Rede während der jährlichen Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen: „Experten und Beobachter haben schon seit Langem über das Ende des amerikanisch-geführten Systems und den Beginn eines asiatischen Jahrhunderts gesprochen. Dies geschieht nun vor unseren Augen.“
„China wird immer mächtiger und durchsetzungsfähiger. Sein Aufstieg ist beeindruckend und löst Respekt, aber auch viele Fragen und Ängste aus,“ fügte der spanische Diplomat hinzu.
Seiner Ansicht nach müssten die Beziehungen zu China auf „Vertrauen, Transparenz und Gegenseitigkeit“ beruhen. Dies sei aktuell aber „nicht immer der Fall“, warnte Borrell.
Aus EU-Sicht wäre es daher extrem wichtig, „kollektive Bestrebungen“ unter allen EU-Staaten zu erörtern und auch nach außen zu demonstrieren. Der in diesem Jahr anstehende EU-China-Gipfel könnte eine Gelegenheit sein, dies zu tun.
Letztendlich werde eine „robustere“ Strategie gegenüber China auch bessere Beziehungen „zum Rest des demokratischen Asiens“ erfordern, so Borrell.
Wie soll die EU vorgehen?
Während einige EU-Länder für eine harte Linie plädieren, mahnen andere zur Vorsicht. Peking nutzt derweil die Investitionen aus seinem riesigen „Belt and Road“-Infrastrukturprojekt (auch bekannt als „Neue Seidenstraße“), um vor allem in Osteuropa um Gunst zu buhlen.
In seiner Rede auf der gestrigen Veranstaltung schloss sich Bundesaußenminister Heiko Maas dem Aufruf Borrells an, den Beziehungen zu China mehr Aufmerksamkeit zu widmen und mit Vorsicht vorzugehen.
Das Thema dürfte vor allem angesichts der chinesischen Informationspolitik in der Anfangsphase des Coronavirusausbruchs wieder aktueller und dränender geworden sein.
Der chinesische Außenminister Wang Yi hatte seinerseits schon am Sonntag betont: „China und die EU sind keine systemischen Rivalen des jeweils anderen, sondern wichtige strategische Partner.“
Pandemie, Zensur, Hongkong
Borrells gestrige Anmerkungen lassen sich auch im Rahmen der angespannten Beziehungen zwischen Brüssel und Peking während der COVID-19-Pandemie lesen: Der EU-Diplomat hatte die chinesische Führung Anfang des Monats beschuldigt, die EU-Mitgliedstaaten durch gezielte Pandemiehilfe gegeneinander ausspielen zu wollen.
Borrell selbst, sowie der Europäische Auswärtige Dienst, gerieten außerdem unter Beschuss, nachdem sich die europäische Institution in Bezug auf einen Zeitungsartikel offenbar dem Druck Pekings gebeugt und eine Zensur des Artikels akzeptiert hatte.
Das mögliche Umdenken in den Beziehungen zwischen der EU und China erfolgt auch vor dem Hintergrund, dass Peking nach pro-demokratischen Protesten in Hongkong nun erneut versucht, die Stadt mit einem neuen Sicherheitsgesetz fester in den Griff zu bekommen.
Eine internationale Gruppe von 208 Parlamentsabgeordneten und anderen politischen Entscheidungsträgern hat in Reaktion darauf ihre Unterstützung für die pro-demokratische Bewegung ausgesprochen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]