Tausende EU-Bürgerinnen und -Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, laufen Gefahr, die Frist für die Beantragung des Niederlassungsstatus („Settled status“) im Land zu verpassen. Das liegt meist daran, dass ihnen die neuen Regelungen nicht bekannt sind oder ihnen die digitalen Fähigkeiten fehlen, um den reinen Online-Antrag auszufüllen.
Ab Juni 2021 werden EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, gesetzlich verpflichtet sein, ihren Aufenthaltsstatus nachzuweisen. Die britische Regierung hatte das System (EU Settlement Scheme, EUSS) 2019 eingeführt.
Entsprechende Anträge können jedoch ausschließlich digital gestellt werden.
Ein neuer Bericht der Kampagnengruppe New Europeans – der auf einer Umfrage unter mehr als 260 Personen basiert, die in Englisch, Italienisch, Rumänisch und Polnisch durchgeführt wurde – ergab, dass 38 Prozent der Befragten auf Informationen in einer anderen Sprache als Englisch zugreifen mussten, um ihren Antrag stellen zu können und/oder ihren tatsächlichen Aufenthaltsstatus überhaupt zu verstehen.
„Die Mehrheit unserer Befragten wusste, dass ein solches System existiert, verfügte jedoch über keine weiteren Einzelheiten,“ wird im Bericht festgestellt. Darüber hinaus mangele es vielen Menschen, die älter sind oder aus gefährdeten sozialen Gruppen stammen, an den „notwendigen Fähigkeiten und Technologien für die digitale Nutzung“ des Antragssystems. Daher bestehe die Gefahr, dass das EUSS „Situationen der Abhängigkeit“ schafft.
Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass die COVID-19-Pandemie die Vermittlungs- und Beratungsdienste, die EU-Bürgerinnen und -Bürger bei der EUSS-Beantragung unterstützen sollen, zum Erliegen gebracht hat. Dennoch wurde die Frist für die Antragstellung bis spätestens Juni 2021 nicht verlängert.
Die Gruppe empfiehlt in ihrem Bericht daher, dass Antragsformulare auch in Papierform eingeführt werden sollten, um „sicherzustellen, dass jede und jeder einen fairen und gleichberechtigten Zugang zu dem Verfahren hat“.
Ein zuvor von der Initiative the3million veröffentlichter Bericht ergab ebenfalls, dass 89 Prozent der befragten Menschen aus EU-Staaten im UK unzufrieden sind, dass es keinerlei physische Dokumente zum Nachweis ihres Aufenthaltsstatus gibt.
Die britischen Parlamentsabgeordneten im House of Commons, in dem die konservative Regierung über eine Mehrheit von 80 Sitzen verfügt, lehnten erst kürzlich dennoch eine Änderung der Einwanderungsgesetzgebung ab, die die nicht-digitale Antragstellung ermöglicht hätte.
Dabei warnten sogar zwei parlamentarische Ausschüsse, das EUSS weise durch das Nichtvorhandensein von Papierdokumenten „deutliche Parallelen zu Windrush“ auf – einem Skandal, bei dem Dutzende britische Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund unrechtmäßig vom Innenministerium abgeschoben worden waren.
Das Innenministerium hingegen argumentiert, dass „der Übergang zu einem digitalen Status ein Schritt nach vorn ist“. In einer Stellungnahme an die Parlamentsabgeordneten wird von Seiten des Ministeriums außerdem betont, lediglich „eine sehr kleine Minderheit von Antragstellern hatte gewisse Probleme mit ihrem Antrag [und] wir sind zufrieden, dass unsere Verfahren zur Bewältigung dieser Probleme gut funktioniert haben.“
Inzwischen sind mehr als 4,2 Millionen EUSS-Anträge eingegangen. Von den bereits bearbeiteten Anträgen erhielten 55 Prozent den rechtlichen Status „Settled“, mit dem Personen auch nach dem 30. Juni 2021 im Vereinigten Königreich ansässig bleiben dürfen und dabei die gleichen Rechte behalten, die sie derzeit haben.
Weitere 42 Prozent erhielten den Status „Pre-Settled“ für Menschen, die bisher weniger als fünf Jahre im Land gelebt haben. 22.400 Anträge (0,6 Prozent) wurden hingegen abgelehnt.
Die britische Regierung betont angesichts dieser Zahlen, das heimische Settlement Scheme sei deutlich großzügiger als das, was viele EU-Mitgliedstaaten britischen Bürgerinnen und Bürgern an Aufenthaltsrechten anbieten (wollen).
Allerdings zeigt das System nun auch auf, dass bisher Unklarheit darüber bestand, wie viele EU-Bürgerinnen und -Bürger überhaupt im Land leben: Die Zahl der Antragsteller ist bereits ein halbes Jahr vor Ende der Frist höher als in der Folgenabschätzung des Innenministeriums vom März 2019, bei der von Zahlen zwischen 3,5 Millionen und 4,1 Millionen Menschen ausgegangen worden war.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]