Das griechische Parlament wird in der kommenden Woche die Seeverkehrsabkommen zur Abgrenzung der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) mit Ägypten und Italien diskutieren und ratifizieren, teilte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas mit.
„Die Debatte im Parlament für die Ratifizierung der AWZ-Abkommen mit Ägypten und Italien beginnt am nächsten Montag, und die Abstimmung wird am Mittwoch stattfinden,“ kündigte er an.
Es ist zu erwarten, dass dieser Schritt in der Türkei nicht gut ankommt. Die Führung in Ankara bezeichnet das griechisch-ägyptische Abkommen als „null und nichtig“ und hat bereits hervorgehoben, dass Griechenland und Ägypten keine gemeinsame Seegrenze haben.
Unterdessen hieß es aus Athen, das griechisch-ägyptische Abkommen würde im Grunde die umstrittene Absichtserklärung zwischen der Türkei und Libyen zur Abgrenzung ihrer Seegebiete in der Region aufheben. Im türkisch-libyschen Abkommen wird die Lage der griechischen Insel Kreta ignoriert. Die griechische Regierung warnt, die Türkei wolle mit diesem völkerrechtlich „illegalen“ Abkommen einen Präzedenzfall schaffen.
Auch die EU hat die türkisch-libysche Absichtserklärung kritisiert.
Das Abkommen der Türkei mit Fayiz as-Sarradsch, dem Premierminister der von der UNO unterstützten Regierung der Nationalen Übereinkunft in Libyen, hat die Krise im östlichen Mittelmeerraum zwischen Griechenland und der Türkei weiter eskalieren lassen.
Die Türkei hat inzwischen das Schiff Oruc Reis in Begleitung der türkischen Marine in griechische Hoheitsgewässer geschickt, um dort Probebohrungen nach Öl und Gas durchzuführen. Ankara behauptet, die Oruc Reis handele auf türkischem Territorium.
„Doppelte Standards“ bei Sanktionen
Die EU hat Griechenland in dieser Angelegenheit ihre Unterstützung zugesagt, ist aber bisher nicht in der Lage, konkrete Maßnahmen folgen zu lassen – was wiederum Kritik in den griechischen Medien ausgelöst hat.
Athen hat versucht, angedrohte Sanktionen gegen Belarus mit möglichen Maßnahmen auch gegen Ankara zu verknüpfen, doch der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, machte am 18. August deutlich, dass mehr Zeit für Gespräche über die Türkei benötigt werde: „Was das andere Hauptthema unserer Außenministerinnen und Außenminister – nämlich die Lage im östlichen Mittelmeerraum – betrifft, so schlage ich vor, dass wir uns Zeit für eine gründliche Vorbereitung nehmen und auf einer Sondertagung des Europäischen Rates am 24. und 25. September 2020 auf das Thema zurückkommen.“
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis kritisierte am Mittwoch, die EU dürfe bei Belarus und der Türkei nicht mit zweierlei Maß messen. „Der EU-Ansatz in Bezug auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit kann für Belarus und für die Türkei nicht unterschiedlich sein,“ so der konservative Premier.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte gestern hingegen, die Türkei und Belarus seien „zwei verschiedene Situationen“. Sie fügte hinzu: „Wir haben eine lange Geschichte mit der Türkei… Chancen, Zusammenarbeit, aber auch Konflikte.“ Was für die EU nun wichtig sei, sei die „Bereitschaft aller Seiten, sich auf einen Problemlösungsdialog einzulassen“.
Kritiker legen indes nahe, die EU habe beschlossen, den Sondergipfel Anfang dieser Woche ausschließlich über Belarus abzuhalten, ohne die Türkei einzubeziehen, um Reaktions-Sanktionen oder Strafmaßnahmen aus Ankara zu vermeiden.
Die Optionen
Im Gegensatz zu Michel hieß es von mehreren EU-Stellen, eine Reihe potenzieller „Optionen“ im Umgang mit der Türkei werde schon beim Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der EU-Staaten am 27. und 28. August in Berlin besprochen.
In griechischen Presseberichten wird in dieser Hinsicht kritisiert, dass im Falle der Türkei lediglich von „Optionen“, im Falle von Belarus hingegen ausdrücklich von „Sanktionen“ die Rede sei.
Griechenland hat Sanktionen gefordert, die die türkische Wirtschaft „lähmen“ würden und auf Schlüsselbereiche wie den Bankensektor abzielen. Es dürfte jedoch eine große Herausforderung sein, Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedern für Sanktionen gegen die Türkei zu erreichen.
Laut EURACTIV.com-Informationen haben während des letzten Außenministertreffens am 14. August eine Reihe von Ländern wie Spanien um eine „vorsichtigere Diplomatie“ gegenüber der Türkei gebeten. Auch Deutschland, Ungarn und Italien haben eine eher zurückhaltende Haltung eingenommen.
Rumänien schlug seinerseits vor, den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zu einem Gespräch nach Berlin einzuladen – eine Idee, die der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell umgehend ablehnte.
Bislang haben vor allem Frankreich und Österreich eine härtere Haltung der EU gegenüber der Türkei gefordert. Am Mittwoch beschrieb Präsident Emmanuel Macron die Türkei als „destabilisierenden Faktor für Europa“ und beschuldigte ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, eine expansionistische Politik zu verfolgen, die „Nationalismus und Islam vermischt“ und nicht mit europäischen Interessen vereinbar sei.
Die Rolle Deutschlands
Deutschland, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, drängt seinerseits auf eine Deeskalation der Krise und versucht, zwischen Athen und Ankara zu vermitteln.
In Griechenland gehen jedoch viele davon aus, dass die neutrale Haltung Deutschlands die „türkische Aggression“ fördern könnte. Griechische Medien berichteten kürzlich, beim Außenministertreffen am 14. August sei es zum Streit zwischen Deutschland und Griechenland über die abschließende formelle Erklärung gekommen. Offenbar habe sich Berlin gegen die Idee einer „Begrüßung“ des griechisch-ägyptischen Seeverkehrsabkommens ausgesprochen; daher sei keine formelle Erklärung verabschiedet worden.
Diplomatische Quellen erklärten hingegen, das Treffen sei informell gewesen und daher könnten keine formalen Erklärungen beschlossen werden, es sei denn, man wende anschließend ein schriftliches Verfahren an.
Dieselben Quellen fügten hinzu, Berlin habe stets eine solidarische Haltung gegenüber Griechenland und Zypern eingenommen und gleichzeitig die Notwendigkeit einer Deeskalation in der Region betont.
[Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins]