Afrikanische Staaten verlieren geschätzte 88,6 Milliarden US-Dollar, oder 3,7 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Kontinents, durch illegale Kapitalflucht. Das geht aus dem UN-Bericht zur wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika 2020 hervor, der am Montag veröffentlicht wurde.
In dem Bericht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) heißt es, durch die Eindämmung der illegalen Kapitalflucht bis 2030 könnte genug Kapital generiert werden, um fast die Hälfte der 2,4 Billionen Dollar zu finanzieren, die die afrikanischen Länder südlich der Sahara aktuell für dringend benötigte Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zur Eindämmung seiner Folgen benötigen.
„Illegale Finanzströme berauben Afrika und seine Menschen ihrer Perspektiven, untergraben Transparenz und Rechenschaftspflicht und schwächen das Vertrauen in afrikanische Institutionen,“ kommentierte UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi entsprechend in einer Erklärung zum Bericht.
Der UNCTAD-Bericht ruft zu mehr Transparenz und Zusammenarbeit zwischen den Steuerverwaltungen weltweit sowie innerhalb des afrikanischen Kontinents auf, um gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung vorzugehen. Außerdem wird darauf gedrängt, dass die Vereinigung der afrikanischen Steuerverwaltungen (African Tax Administration Forum) zu einer Plattform für die regionale Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Kontinents werden solle.
Illegale Kapitalflucht und massive Einnahmeausfälle durch Steuervermeidung und -hinterziehung sind ein seit langem bekanntes Phänomen, das große Löcher in die afrikanischen Staatskassen reißt.
Aufgrund von Steueroasen verloren die Länder Afrikas schätzungsweise 9,6 Milliarden Dollar. Illegale Finanzströme (IFS) im Zusammenhang mit dem Export von Rohstoffen (40 Milliarden Dollar allein im Jahr 2015) sind jedoch die größte Komponente der illegalen Kapitalflucht aus Afrika.
Die Afrikanische Union (AU) hat daher damit begonnen, eigene Richtlinien zu IFS zu entwickeln, die bisher allerdings nur begrenzt umgesetzt werden.
Unterdessen bekämpft die EU ihrerseits weiterhin proaktiv diejenigen IFS, die ihre eigenen Steuersysteme untergraben, indem der Kodex zur Bekämpfung der Geldwäsche wiederholt überarbeitet und Pläne für eine gemeinsame EU-Aufsichtsbehörde bekannt gegeben wurden. Auf internationaler Ebene scheinen derartige Bemühungen jedoch keine Priorität zu sein.
Soziale Auswirkungen
Im UN-Bericht wird weiter festgestellt, dass in afrikanischen Ländern mit hohen Einkommensverlusten durch IFS die Regierungen rund 25 Prozent weniger für Gesundheit und 58 Prozent weniger für Bildung ausgeben als in Ländern mit eher niedrigen IFS.
„Tatsache bleibt, dass die Gelder [in diesen illegalen Finanzströmen] oft aus Ländern mit knappen Ressourcen für die Entwicklungsfinanzierung, mit erschöpften Währungsreserven, mit einer drastischen Verringerung der erzielbaren [Steuereinnahmen], mit Steuerunterzahlung oder -hinterziehung und mit unzureichenden Investitionszuflüssen stammen,“ fasste der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari zusammen.
Entsprechend werden die Regierungen des Kontinents im Bericht dazu aufgerufen, eine gemeinsame Agenda für Afrika bei der Reform des internationalen Steuersystems festzulegen.
Ein guter Startpunkt dafür: Eine Reihe bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen steht derzeit zur Neuverhandlung zwischen europäischen und afrikanischen Ländern. Zivilgesellschaftliche Aktivisten sehen dies als eine Gelegenheit, die Verträge neu zu gestalten und sicherzustellen, dass afrikanische Regierungen Firmen für deren Geschäftsaktivitäten in ihren Ländern auch angemessen besteuern können.
Die G77-Gruppe der Entwicklungsländer fordert ihrerseits, die Verantwortung für die Steuerpolitik einem neuen UN-Steuergremium zu übertragen, in dem sie vertreten sein sollten.
Internationale Regulierung
Die Veröffentlichung des neuesten Afrika-Berichts der UN kommt kurz vor den anstehenden Videokonferenzsitzungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank im nächsten Monat, auf denen wohl Forderungen nach zusätzlicher finanzieller Unterstützung durch die EU und die G20-Länder zur Unterstützung der von der Coronavirus-Pandemie am schwersten betroffenen Entwicklungsländer gestellt werden dürften.
Der Tschad und Sambia warnten in der vergangenen Woche bereits, dass sie mit Schuldenzahlungen in Verzug geraten werden. Insgesamt dürften mehrere afrikanische Staaten infolge der Pandemie in „Schuldennot“ geraten.
„Die Eindämmung der IFS stellt für die Regierungen, insbesondere in Afrika, eine wichtige politische Maßnahme dar, um die notwendigen finanziellen Mittel zur Abfederung der Auswirkungen der durch COVID-19 verursachten Wirtschaftskrise zu generieren,“ erklärt Alvin Mosioma, Exekutivdirektor des Tax Justice Network Africa, gegenüber EURACTIV.com.
Im Oktober werden die großen G20-Volkswirtschaften darüber hinaus wahrscheinlich den Aufschub der Schuldenzahlungen der Entwicklungsländer, die schwer von der Coronavirus-Pandemie betroffen sind (darunter auch viele in Afrika), bis mindestens Ende 2021 verlängern.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]