Im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel hat die deutsche Regierung ihre Bereitschaft signalisiert, die von der EU vorgeschlagene Strommarktreform zügig zu verabschieden. Für tiefgreifende Änderungen sei jedoch mehr Zeit nötig.
Die Europäische Kommission hat am 14. März eine Reform der EU-Strommarktregeln vorgelegt, um die Auswirkungen der schwankenden Gaspreise auf die Stromrechnungen zu verringern und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen.
Der Vorschlag stellt dabei die derzeitige Gestaltung der Strommärkte auf der Grundlage von Kurzzeitmärkten, die von Ländern wie Dänemark, Deutschland und Luxemburg verteidigt wird, nicht infrage.
Frankreich hatte ursprünglich eine radikalere Reform gefordert und das derzeitige Grenzpreissystem als „absurd“ bezeichnet, weil es fossile Brennstoffe wie Kohle und Gas den Strompreis diktieren lässt.
Der Vorschlag, der noch relativ frisch sei, „ist natürlich ein Dauerbrenner im Europäischen Rat“, sagte ein hoher deutscher Beamter der Presse im Vorfeld des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs am 23. März. Er fügte hinzu, dass die Staats- und Regierungschefs den Vorschlag bereits diskutieren würden.
Im Mittelpunkt des Kommissionsvorschlags stehen langfristige Verträge, die den Investoren Transparenz und den Verbrauchern und der Industrie niedrigere Strompreise garantieren sollen.
Die vorgeschlagene Reform sieht vor, dass die öffentliche Unterstützung für den Bau neuer Kraftwerke in einem zweiseitigen Differenzvertrag (Contract for Difference, CFD) mit einer Preisober- und -untergrenze formalisiert wird.
Steigt der Marktpreis für Strom über die Obergrenze, erhält der Staat den Überschuss. Fällt der Preis unter die Untergrenze, springt der Staat ein, um die Lücke zu schließen und den Investoren garantierte Einnahmen zu sichern.
Deutschland widersetzte sich zunächst dem Drängen Frankreichs und Spaniens auf eine rasche Verabschiedung der Reform mit der Begründung, die Entscheidung brauche Zeit und sollte nicht vor den Europawahlen im Frühjahr 2024 getroffen werden.
In Berlin ist man nun der Meinung, dass die Reform schnell verabschiedet werden könnte, solange sie nicht zu weitreichend ist und nahe am Vorschlag der Kommission bleibt.
„Wir können uns gut vorstellen, dass die Verhandlungen über den Kommissionsvorschlag im Europäischen Parlament und im Rat schnell voranschreiten werden“, hieß es aus deutschen Regierungskreisen.
Die Entwürfe der Schlussfolgerungen des Brüsseler Gipfels bestätigen dies.
Der Europäische Rat fordert „eine rasche Einigung über alle relevanten Vorschläge zu erzielen, um den ökologischen Wandel zu beschleunigen und die Arbeit an der vorgeschlagenen Überarbeitung des EU-Binnenmarktdesigns für Strom unverzüglich voranzutreiben, um dessen Annahme bis Ende 2023 sicherzustellen“, heißt es in dem Entwurf der Schlussfolgerungen des Gipfels, den EURACTIV einsehen konnte.
Dennoch bleibt Deutschland vorsichtig und warnt die anderen Regierungen und das Parlament, dass eine tiefgreifendere Reform der EU-Strommarktregeln mehr Zeit und Analysen erfordern wird.
„Wenn wir weitreichendere Änderungen am Strommarktdesign wollen, wird dies sicherlich einen weiteren langfristigen Prozess erfordern“, hieß es. Es wurde darauf hingewiesen, dass dies auch eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse erfordern würde.
Deutschland gespalten über den Vorschlag
Die Befürworter einer weitreichenden Reform zeigten sich enttäuscht von dem in der vergangenen Woche vorgelegten Vorschlag der Kommission.
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Europäischen Parlament, Martin Schirdewan, sagte, die EU „scheut davor zurück, den Strommarkt zu reformieren“, und bezeichnete die Kommission als „Spielball der Lobbyist:innen.“
Laut Schirdewan, der Die Linke im EU-Parlament führt, ist der auf Grenzpreisen basierende Preismechanismus die Hauptursache für das Versagen des Marktes.
Die deutsche Industrie schätzt das Merit-Order-System und lobt Brüssel für dessen Beibehaltung. „Die EU tut gut daran, den Strommarkt mit Augenmaß zu optimieren“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, der die Fokussierung der Vorschläge auf langfristige Verträge begrüßte.
Jens Geier, Chef der SPD in Brüssel, kritisierte das Fehlen eines „Industriestromtarifs“, der für die „globale Wettbewerbsfähigkeit“ der energieintensiven Industrien entscheidend sei.
Die deutsche Industrie für erneuerbare Energien kritisierte die von der EU vorgeschlagene Strommarktreform als „zu weit gehend“ und als „massiven Eingriff“ in die Stromsysteme der EU-Mitgliedstaaten.
„Wir lehnen die verpflichtende Einführung von zweiseitigen Differenzverträgen auf EU-Ebene ab“, sagte Simone Peter, Chefin des deutschen Lobbyverbands für erneuerbare Energien BEE.
Andere Länder hätten sich erfolgreich für einen Ansatz eingesetzt, der Deutschland schaden könnte.
„Für einige Mitgliedsstaaten mag diese Form der Marktöffnung Vorteile bringen. Das ist für Deutschland nicht der Fall“, betonte sie.
[Bearbeitet von Frédéric Simon/Alice Taylor]