Naturschutz, Wirtschaft und Zivilgesellschaft fordern ein ambitioniertes Nature Restoration Law. Doch konservative Kräfte stellen sich dem entgegen. Was es jetzt braucht, um die Wiederherstellung unserer Natur Realität werden zu lassen, schreibt Jörg-Andreas Krüger im Gastbeitrag.
Jörg-Andreas Krüger ist seit November 2019 Präsident des Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU). Zuvor war Krüger sechs Jahre als Geschäftsführer „Ökologischer Fußabdruck“ beim WWF tätig.
Brennende Wälder, ausgetrocknete Flüsse, verdorrte Landschaften – in ganz Europa werden die extremen Folgen der Hitze und Trockenheit spürbar. Mit kurzfristigen Notfallmaßnahmen und Hilfsprogrammen bereiten sich Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spanien, Portugal oder Italien auf die bevorstehende Dürrekatastrophe vor. Das mag zwar kurzfristig Abhilfe schaffen, kann der Natur- und Klimakrise langfristig jedoch nichts entgegensetzen. Was uns wirklich gegen die häufiger werdenden Dürren und Hitzewellen wappnet: die Wiederherstellung unserer Artenvielfalt und Ökosysteme.
Renaturierung sichert unsere Wirtschafts- und Lebensgrundlage
Denn intakte Auen und Fließgewässer, wiedervernässte Moore und naturnahe Wälder halten das Wasser in der Landschaft und helfen so, der extremen Trockenheit entgegenzuwirken. Doch die Wiederherstellung unserer Natur ist mehr als nur Dürrebekämpfung: Ohne sie sind die größten Anstrengungen im Klimaschutz vergebens. Bestimmte Treibhausgas-Quellen – etwa degradierte Böden oder entwässerte Moore – werden ohne die Wiederherstellung von Natur nie versiegen. Hier hilft uns keine Technologie, die täglich unzähligen Tonnen freigesetztes CO2 einzudämmen.
Doch um unsere Natur ist es schlecht bestellt. Bereits jetzt sind knapp 80 Prozent der geschützten natürlichen Lebensräume in Europa geschädigt. Die Gesetzesentwurf der EU-Kommission zur Wiederherstellung der Natur, das Nature Restoration Law, kann diesen Negativtrend umkehren. Mit der Verordnung wären alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, zerstörte Natur wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen und so den Bestand von Bestäubern, unsere Ressourcen sowie saubere Luft und sauberes Wasser – kurz: unsere künftige Lebensgrundlage – zu sichern.
Breite Mehrheit der Gesellschaft unterstützt das Gesetz
Ein Gesetz also, das im Interesse aller Europäerinnen und Europäer steht. Dennoch werden Naturschutz und Renaturierung immer noch als Hindernis wahrgenommen. Das zeigen auch die unablässigen Attacken der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und einiger Agrar-Lobbyverbände. Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Falschaussagen gegen das Nature Restoration Law gestreut und damit viele Menschen verunsichert.
Das Gesetz riskiere die Ernährungssicherung und die Zukunft der europäischen Wirtschaft, so wird – entgegen aller Fakten – behauptet. Dabei sind es gerade die Unternehmen, die sich in diesen Tagen für das NRL starkmachen: Mehr als 60 der größten europäischen Unternehmen aus den Bereichen Konsum, Finanzen und Energie beziehen klare Position für das Gesetz – darunter Nestlé, Unilever und Ikea. Mehr als 70 Landwirt*innen und landwirtschaftliche Organisationen aus der EU betonen, wie wichtig das NRL für die Sicherung der Lebensmittelproduktion ist. Energieunternehmen wie WindEurope oder SolarPower Europe bekräftigen, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien Hand in Hand mit dem Gesetz geht. Dazu kommt breite Unterstützung von Tausenden Wissenschaftler*innen sowie mehr als 900.000 EU-Bürger*innen.
Trotz großem Nachbesserungsbedarf: Es besteht Hoffnung
Deutlich wird: Die breite Mehrheit aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft steht hinter dem NRL. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Gesetz in seiner bisherigen Form an der nötigen Schlagkraft fehlt, die Zerstörung unserer Natur aufzuhalten. Schon der Kommissionsvorschlag, der in den Verhandlungen noch weiter verwässert wurde, wies klare Lücken auf. Um einige Beispiele zu nennen: In Europa sollen laut Vorschlag nur etwa ein Prozent aller Flüsse renaturiert werden – vor dem Hintergrund unzähliger Überschwemmungen und der drohenden nächsten Oder-Katastrophe erscheint dieses Ziel mehr als unzureichend. Auch bei der Wiederherstellung unserer Moore mangelt es an ehrgeizigen Zielen: Nur rund acht Prozent der ursprünglichen europäischen Moore in Agrarökosystemen sollen wiedervernässt werden. Bedenkt man, welches Potenzial intakte Moore beim Klimaschutz entfalten können, erscheint diese Zahl verschwindend gering. Und nicht zuletzt könnte die fehlende Verknüpfung zwischen Meeresschutz und Fischereipolitik dazu führen, dass auch hier die Ziele ins Leere laufen.
Nichtsdestotrotz dürfen uns die bislang wenig ambitionierten Ziele und der fehlende Wille einiger Abgeordneten nicht mutlos stimmen. Es besteht Hoffnung! Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Noch kann das Gesetz zum Erfolg werden. Es darf jetzt nicht nur darum gehen, das Nature Restoration Law über die Ziellinie zu bringen. Vielmehr braucht das Gesetz auch Ambition und Wirksamkeit, um den künftigen Krisen etwas entgegensetzen zu können. Und dafür braucht es den Mut und die Entschlossenheit aller Abgeordneten, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Mit ihrer Stimme bei der bevorstehenden Plenarabstimmung am 12. Juli können sie die Wiederherstellung unserer Wälder, Moore und Meere endlich Realität werden lassen und den Kollaps unserer Ökosysteme abwenden.