Nudging: Wie das europäische Energiesystem gemeinschaftlich verändert werden kann

DISCLAIMER: Die hier aufgeführten Ansichten sind Ausdruck der Meinung des Verfassers, nicht die von Euractiv Media network.

Das ambitionierte Ziel der europäischen Energiewende ist die Transformation des gegenwärtigen Energiesystems. Dafür ist zwingend erforderlich, alle europäischen Akteure mit ins Boot zu holen, um durch Kooperation eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energieversorgung zu erreichen. Nicht nur die Industrie, sondern auch die Verbraucher können dazu beitragen.

Der Vizepra?sident der Europa?ischen Kommission Maros S?efc?ovic? betonte in einem Gespra?ch mit Bundesminister Gabriel am 24. Juni 2015 die Bedeutung der Energieunion und der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit in der Energie- und Klimapolitik: „Die neuen Herausforderungen im Energie- und Klimabereich ko?nnen wir in Europa gemeinsam, schneller, besser und kostengu?nstiger bewa?ltigen. Darum geht es bei der Europa?ischen Energieunion. Allerdings kann das nicht allein von Bru?ssel aus passieren. Wir brauchen dafu?r neben einem verla?sslichen und transparenten Umsetzungsrahmen die Unterstu?tzung der Mitgliedsstaaten, Regionen, Kommunen, aber auch der Wirtschaft, der Sozialpartner und natu?rlich der Bu?rger.“

Die Energieunion soll einen koha?renten Gesamtrahmen fu?r die Umsetzung der europa?ischen Energie- und Klimaziele herstellen, um das europa?ische Energiesystem wettbewerbsfa?higer, nachhaltiger und sicherer zu gestalten. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Koordinierungs- und Umsetzungsmechanismen ist offen, so dass das Gros der EU-weiten Zielerreichungen vorerst an den Initiativen und Selbstverpflichtungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten liegt. Die Governance-Frage ist noch ungekla?rt, insbesondere wie die von S?efc?ovic? betonte Unterstu?tzung durch die gesellschaftlichen Akteure praktisch aussehen soll. Wenn aber die Energieunion zum Katalysator der dringenden Energiewende in Europa werden soll, ist der Einbezug der gesamten Gesellschaft in den Transformationsprozess unabdingbar – allein schon, um sie bei den zum Teil schwierigen Arbeitsmarktvera?nderungen zu begleiten, aber auch um bisher ungenutzte Potentiale zuga?nglich zu machen.

Bisher zielten nationale und europa?ische Energie- und Klimastrategien zu stark auf Vera?nderungen auf Seiten der Erzeuger ab, Lucia Reisch, Professorin an der Copenhagen Business School, betont man werde mitnichten die Energiewende nur u?ber die Produktionsseite voranbringen, sondern müsss auch die Nachfrageseite ganz fest im Blick haben. 26,8 Prozent der Endenergie werden von privaten Haushalten verbraucht, 25,1 Prozent gehen auf das Konto der Industrie. Neue Konzepte ru?cken zu Recht die Verbraucherseite sta?rker auf die Agenda, vor allem im Bereich des Energiesparens – denn ein erheblicher Anteil des Energieverbrauchs in privaten Haushalten geschieht ohne sinnvollen Zweck. Licht wird angelassen, Gera?te stehen tage- und wochenlang auf Standby oder die Wohnung wird geheizt, wenn niemand zu Hause ist.

Nudging (engl. „stupsen“) ist ein solches Konzept: Durch „Anstupsen“ werden kleine Impulse gegeben, die das Verhalten von Menschen beeinflussen sollen, ohne sie in ihrer Wahlfreiheit einzuschra?nken. Es ist ein relativ kosteneffizientes politisches Steuerungsinstrument mit geringer Eingriffstiefe fu?r Bu?rgerinnen und Bu?rger – und zuweilen sogar effektiver als administrativ aufwendige Verbote oder teure finanzielle Anreize. Dennoch gibt es einige kritische Stimmen. Sie kritisieren das vermeintlich wenig invasive Anstupsen als eklatanten Eingriff in den Markt, z.B. bei großfla?chigen Warnhinweisen auf Produkte. Andere wiederum monieren die unterschwellige Beeinflussung, die anstelle einer kritischen o?ffentlichen Debatte und bewussten Entscheidung treten ko?nnte. Hier wird angemahnt, dass fu?r die Umsetzung wichtiger gesellschaftlicher Ziele wie der Energiewende klare und direkte politische Instrumente angewendet werden sollten statt eines Nudges mit unsicheren Ergebnissen.

Die Arbeitsgruppe Gesellschaft des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS*) ergru?ndet derzeit viele dieser Aspekte unter der Frage, wie Nudging fu?r die deutsche Energiewende eingesetzt werden kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tauschen sich dazu regelma?ßig interdisziplina?r aus. Es werden auch gesellschaftliche Akteure in Dialogplattformen einberufen. Dieses Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft tra?gt dazu bei, breit akzeptierbare Lo?sungen fu?r die Umsetzungshindernisse der Energiewende zu finden. Dabei ergeben sich Vorteile fu?r alle beteiligten Akteure. Die Wissenschaft bekommt eine schnelle Ru?ckmeldung aus der Gesellschaft und Praxis zur der Anwendbarkeit ihrer Forschungsergebnisse. Die Politik erha?lt gesellschaftlich reflektierte Handlungsoptionen. Insgesamt entstehen hier neue Formen der Wissensgenerierung, außerdem wird die Akzeptanz und Versta?ndigung zwischen den Akteuren gefo?rdert. Gesellschaft und Wirtschaft sind schließlich mitnichten nur Interessenvertreter, sie sind auch Wissenstra?ger.

Wie wichtig der Austausch ist, zeigte als eine der Dialogplattformen die Trialog-Veranstaltung der Humboldt-Viadrina Governance Platform zum Thema „Nudging – die Energiewende voranstupsen“, die am 5. Mai 2015 in Berlin stattfand. Als Wissenschaftlerin der AG Gesellschaft bei ESYS konnte Lucia Reisch auf Seiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft einige Missversta?ndnisse u?ber den verhaltenso?konomischen Ansatz des Nudging in der Diskussion kla?ren. Insbesondere der Vorwurf der Manipulation wurde durch den Grundsatz der Transparenz gemindert. Die ganzta?gige Veranstaltung erschloss neue Ideen wie z.B. eine Nudging-Toolbox fu?r finanziell schwach aufgestellte Kommunen. Eine der wichtigsten Debatten des Tages kreiste darum, wie der Ansatz so in die politische Tool-Box integriert werden kann, dass das Ziel der Energiewende erfolgreich unterstu?tzt wird. Das politische Instrumentarium ist keineswegs ausgescho?pft und kann durch neue Ansa?tze wie Nudging erga?nzt und systematisiert werden. Der Austausch mit den europa?ischen Bu?rgerinnen und Bu?rger ist dazu wichtig. Nicht nur die Oberziele der Energiewende brauchen allgemeine Zustimmung, sondern auch deren konkrete Umsetzungsmaßnahmen. Nur so kann die Energiewende gelingen.

Die Autorinnen

Carolina Höpfner ist Outreach-Managerin und Katja Treichel Leiterin der Energie-Trialoge an der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform gGmbH.

* Das Akademienprojekt „Energiesystem der Zukunft“ ist eine gemeinsame Initiative von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Gefördert wird es durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Robert Bosch Stiftung.

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