Wer will die EU-Taxonomie zu Fall bringen?

Das oft unterschätzte Europäische Parlament könnte möglicherweise den EU-Taxonomie Krimi beenden. [EPA-EFE/JULIEN WARNAND]

Am Freitag (21. Januar) endete die Frist für die Rückmeldung der EU-Länder zum Vorschlag der Europäischen Kommission, Kernenergie und fossiles Gas in die EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen aufzunehmen.

Und während der deutsche Beitrag wegen seiner offenkundig gasfreundlichen Haltung viel Aufmerksamkeit erregte, sind die Beamten der Europäischen Kommission wahrscheinlich nervöser wegen der Reaktionen im Europäischen Parlaments.

Wenn dem nicht so ist, sollten sie es sein.

Während es 20 EU-Länder braucht, um den Vorschlag abzulehnen, kann das Europäische Parlament ihn mit einer einfachen Mehrheit – also mit mindestens 353 Abgeordneten – in einer Abstimmung kippen.

Das liegt daran, dass die EU-Exekutive einen delegierten Rechtsakt erlassen wird, ein Verfahren, das normalerweise für technische Aktualisierungen von Rechtsvorschriften reserviert ist. Delegierte Rechtsakte werden so genannt, weil das Parlament und die EU-Länder ihre Gesetzgebungsbefugnisse der Europäischen Kommission anvertrauen, die im Schnellverfahren Gesetze erlassen kann.

Doch während die Schwelle im EU-Ministerrat, in dem sich bisher nur vier Länder öffentlich gegen Gas und Atomkraft ausgesprochen haben, unerreichbar scheint, liegt die Latte im Europäischen Parlament deutlich niedriger.

Und das Parlament ist nicht glücklich.

Am Freitag schickten die sozialdemokratische Fraktion (S&D) einen Brief an die Kommission, in dem sie erklärte, dass sie den vorgeschlagenen delegierten Rechtsakt „mit seinem derzeitigen Inhalt nicht unterstützen“ könne, weil die Kriterien für Gas zu lasch seien.

In Bezug auf die Kernenergie bestehe die Gefahr, dass das öffentliche Vertrauen in die Taxonomie aufgrund der anhaltenden Zweifel an der Entsorgung hoch radioaktiver Abfälle untergraben werde, so die S&D.

Die Grünen haben bereits ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht und werden den Vorschlag mit ziemlicher Sicherheit als Block ablehnen – obwohl die deutschen Grünen Teil einer Pro-Gas-Koalition in Berlin sind. Die Linke ihrerseits wird den Vorschlag ebenfalls massiv ablehnen, selbst wenn ein oder zwei zypriotische Abgeordnete aufgrund nationaler Verhältnisse anders stimmen sollten.

Das sind insgesamt rund 256 Abgeordnete. Zusammen fehlen diesen drei Fraktionen etwa 100 Abgeordnete, um die erforderliche Mehrheit für die Ablehnung des Vorschlags zu erreichen. Das bedeutet, dass sich andere Fraktionen, die weiter rechts im Plenarsaal stehen, der Rebellion anschließen müssten, wenn der Vorschlag gekippt werden soll.

Während die polnisch dominierte, konservative EKR-Fraktion (64 Abgeordnete) Atomkraft und Gas weitgehend unterstützt, ist die Europäische Volkspartei (EVP), mit 177 Abgeordneten die größte Fraktion im Parlament, gespalten.

Viele EVP-Abgeordnete – insbesondere aus Frankreich und Osteuropa – unterstützen den Vorschlag der Kommission, aber prominente Stimmen wie Sirpa Pietikainen, eine der federführenden Verhandlungsführerinnen bei der vor zwei Jahren verabschiedeten Taxonomie-Verordnung, beschwerten sich lautstark, dass das Parlament nicht ordnungsgemäß zu dem Vorschlag konsultiert worden sei.

Pieter Liese, ein prominenter EVP-Abgeordneter aus Deutschland, ging noch weiter und sagte, er werde gegen den Plan stimmen. „Ich kann die Vorschläge nicht unterstützen“, sagte er in einer Erklärung, in der er die Atomkraft als Hauptgrund nannte. „Vielleicht wäre es das Beste, den delegierten Rechtsakt zur Taxonomie einzustampfen.“

Neben den 30 deutschen Abgeordneten der Fraktion ist unklar, wie viele EVP-Abgeordnete Liese folgen werden. Die EVP-Fraktion hat noch keine einheitliche Haltung zum Taxonomie-Vorschlag eingenommen und es wird erwartet, dass die Abgeordneten nach ihren persönlichen Überzeugungen abstimmen werden, so eine Quelle aus der Fraktion gegenüber EURACTIV.

Eine einheitliche EVP-Position wird gefunden, sobald der endgültige Text der Kommission auf dem Tisch liegt, fügte die Quelle hinzu. Infolgedessen könnten sich viele Abgeordnete der Mitte-Rechts-Fraktion am Ende der Stimme enthalten, sagte eine andere Quelle im Parlament, die die Haltung der EVP zur Taxonomie als „ein Chaos“ bezeichnete.

Wie so oft könnte die zur Mitte gehörende Fraktion „Renew Europe“ (101 Abgeordnete) das Abstimmungsergebnis beeinflussen. Da Frankreich in ein entscheidendes Wahljahr eintritt, glauben viele, dass sie ihre Reihen schließen und die „en marche“-Partei von Emmanuel Macron, die gleichzeitig ihre größte Mitgliedspartei ist, unterstützen werden, indem sie den Vorschlag der Kommission befürworten.

Dies wird umso wahrscheinlicher, als der Entwurf auf einem Kompromissvorschlag von Pascal Canfin, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses des Parlaments und einem von Macrons Vertrauensleuten in Brüssel, beruht.

„Das wird nie passieren – die Liberalen und die Rechten werden das niemals ablehnen“, wird in Parlamentskreisen, die mit der Angelegenheit vertraut sind, gewitzelt. „Es mag sehr zynisch sein, dies zu sagen, aber meiner Meinung nach wird es durchgehen. Die Kommission wird ein oder zwei Änderungen vornehmen und es wird durchgehen.“

Am Ende könnte der Vorschlag auch dank der Stimmen der 70 rechtsextremen Europaabgeordneten der Fraktion Identität und Demokratie (ID) angenommen werden, deren Mitglieder auch aus nationaler Verbundenheit für Atomkraft und Gas sind.

Alle Blicke richten sich nun auf die Europäischen Kommission, die ihren Vorschlag bis Ende Januar vorlegen will. „Wir werden so bald wie möglich einen Vorschlag vorlegen“, sagte Eric Mamer, der Sprecher der Kommission.

„Natürlich brauchen wir ein wenig Zeit, um die Reaktionen zu analysieren, die wir erhalten haben. Also warten wir ab.“

Sobald der Vorschlag veröffentlicht ist, haben das Parlament und die EU-Mitgliedstaaten vier Monate Zeit, ihn zu prüfen. Wenn keiner von ihnen eine ablehnende Mehrheit finden kann, wird der Vorschlag angenommen. Fällt das Votum des Europäischen Parlaments jedoch negativ aus, muss der Vorschlag überarbeitet werden.

Abonnieren Sie unsere Newsletter

Abonnieren