Der Umweltausschuss hat sich am Donnerstag (28. Mai) zum ersten Mal mit dem Vorschlag der schwedischen Abgeordneten Jytte Guteland (S&D) auseinandergesetzt, ein EU-Klimaziel von 65 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 festzulegen. Der Großteil der Abgeordneten stimmte Gutelands Bericht zu, den sie Ende April als Antwort auf das EU-Klimagesetz vorgelegt hatte.
„Wir müssen schon jetzt beginnen und schneller vorankommen, als es der Vorschlag der Kommission vorsieht“, sagte Guteland in der Videokonferenz. Sie verwies auf den Emissionslückenbericht der Vereinten Nationen vom November, der aufgezeigt hatte, dass weltweit jährlich Emissionsminderungen von 7,6 Prozent erforderlich sind, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Bezogen auf die EU entspräche dies einer CO2-Reduktion von 65 Prozent bis 2030.
Zu Gutelands Vorschlägen gehört neben dem Klimaziel von 65-Prozen die Einrichtung eines europäischen Klimarates, ähnlich dem UN Klimarat IPCC, der Vorschläge für einen Zielpfad bis 2050 erarbeiten solle. Darüber hinaus sprach sich die Schwedin dafür aus, die EU-Klimaziele nicht wie bisher an Jahreszielen, sondern am verbleibenden CO2-Budget festzumachen. Demnach sollten die Treibhausgase bis 2040 um 80 bis 85 Prozent reduziert werden, um zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Wie im Green Deal angedeutet, solle außerdem die Schiffahrtsbranche in den europäischen Emmissionszertifikate-Handel einbezogen werden. Zudem sollte es weniger freie Verschmutzungsrechte für den Flugverkehr geben.
Vorschlag war nicht abgesprochen
Nach Informationen von EURACTIV war der Vorschlag Gutelands nicht mit ihrer eigenen Fraktion abgesprochen gewesen und kam überraschend. Dennoch erhielt die Schwedin breite Unterstützung aus den eigenen Reihen und seitens der Linken. „Wenn wir das Pariser Abkommen einhalten wollen, wie wir es unterschrieben haben, müssen wir in unseren Zielen höher gehen“, sagte Silvia Modig (GUE/NGL). Sie sprach Guteland in allen Punkten ihre Unterstützung zu und kündigte an, ihre Fraktion werde „nicht bereit sein, Kompromisse einzugehen, wenn es um die Pariser Klimaziele geht.“
Gegenteilige Worte kamen wenig überraschend aus dem rechten Lager der EKR. Die deutsche Politikerin Sylvia Limmer (ID) verwies auf die wirtschaftlichen Kosten des Green Deals, wonach das Erreichen des jetzigen 40-Prozent-Ziels nach Angaben der EU-Kommission jährliche Investitionen von 260 Milliarden Euro und für 55 Prozent sogar von 620 Milliarden Euro benötigen würde. Das Versprechen, der Green Deal würde Wohlstand für alle schaffen sei „Schwachsinn“, so Limmer. „Aber: Umweltschutz muss man sich leisten können.“
Die Renew-Fraktion zeigte sich positiv, aber nuanciert gegenüber dem Vorstoß Gutelands. Man habe sich erst im Februar auf eine potentielle Anhebung auf 55 Prozent geeinigt, so der deutsche MEP Andreas Glück. „Wir riskieren, gegenüber Rat und Kommission als unverlässlich zu gelten, wenn wir dieses Ziel jetzt nochmal hochschrauben“. Sollte sich eine Mehrheit im Parlament für das 65 Prozent Ziel finden, sei das der richtige Weg, so der Ton aus der Fraktion, doch man müsse pragmatisch sein.
EVP besteht auf 50 Prozent
Die größte Fraktion, die EVP, zieht hingegen eine klare Linie bei 50 Prozent. Der Vorschlag von 65 Prozent sei „jenseits von Gut und Böse“, hatte der deutsche Abgeordnete Peter Liese jüngst gegenüber EURACTIV geäußert. Die Mehrheit seiner Fraktion halte bereits 55 Prozent für schwierig. Alles darüber hinaus werde niemals die Zustimmung des EU-Rates finden. „Lasst uns auf den Vorschlag der Kommission konzentrieren und das nicht überziehen“, so Liese heute.
Das EU-Parlament tritt traditionell für höhere Umwelt- und Sozialstandards ein als der Rat und die Kommission. Dennoch werde es vermutlich auch im Parlament nicht auf mehr als 55 Prozent hinauslaufen, wie der Vorsitzende des Umweltausschusses Pascal Canfin (Renew) jüngst gegenüber EURACTIV sagte. “Es gibt keine Mehrheit für ein niedrigeres Ziel, da das nicht wissenschafts-basiert wäre. Aber es gibt auch keine Mehrheit für mehr als 55 Prozent, weil das zu schnell und einschneidend für die betroffene Industrie wäre.“
Wiederstände im EU-Rat
Im EU-Rat hatte man sich im Dezember auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 geeinigt. Im Anfang März vom der Kommission vorgelegten Klimagesetz heißt es, man werde bis September die Möglichkeit einer Reduktion von 50 oder 55 Prozent prüfen und dazu die nationalen Klimapläne der Mitgliedsstaaten zu Rate ziehen. Dazu sollen Faktoren wie Wettbewerbsfähigkeit, Kosteneffizienz, soziale Gerechtigkeit und technische und wissenschaftliche Erkenntnisse mit einbezogen werden. Noch bis zum 23. Juni läuft eine öffentliche Anhörung zu dem Thema.
Als besonders widerspenstig gelten vor allem die östlichen EU-Staaten. Am Montag verkündete allerdings die tschechische Regierung, dessen Staatschef Andrej Babiš noch vor Kurzem eine Abkehr vom Green Deal gefordert hatte, man unterstütze den Ruf nach mehr Klimaschutz. Das neue Ziel für 2030 müsse angesichts der Corona-Pandemie allerdings „ehrgeizig, vor allem aber realistisch“ sein. Bislang ist Polen der einzige Mitgliedsstaat, der sich nicht offiziell den neuen Klimazielen der EU angeschlossen hat.
Der Umweltausschuss des Parlaments wird am 10. September über den Vorschlag der EU-Kommission für ein neues 2030-Ziel abstimmen, das Parlament wird in der ersten Oktobersitzung darüber beraten.