Streit über Atomkraft behindert EU-Gesetz zu grüner Industrie

"Bei der Bekämpfung des Klimawandels wird es genügend saubere Industrien für alle geben", erklärte die Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, am Montag vor den EU-Ministern. "Die USA, Indien, Europa, der afrikanische Kontinent, China - überall muss es saubere Industrien geben", sagte Vestager (l.). [European Union]

Der Vorschlag der Europäischen Kommission für den Net-Zero Industry Act (NZIA) erhielt am Montag breite Unterstützung von den für Wettbewerbsfähigkeit zuständigen EU-Ministern. Ungelöste Konflikte über Atomkraft und die Finanzierung auf EU-Ebene könnten die anstehenden Verhandlungen jedoch erschweren.

Der Gesetzentwurf, der im März von der Europäischen Kommission vorgelegt wurde und nun im Europäischen Parlament und zwischen den EU-Ländern verhandelt werden muss, zielt darauf ab, dass Europa 40 Prozent der für die Energiewende benötigten „sauberen Technologien“ selbst produziert.

Zu den Technologien, die als strategisch wichtig erachtet werden, gehören Solaranlagen, Windturbinen, Batterien und andere Energiespeicher, Wärmepumpen und Geothermie-Anlagen, Elektrolyseure und Brennstoffzellen, Biogastechnologien, CO2-Abscheidung und -speicherung (CCS) sowie Stromnetze.

In den letzten Monaten ist die Besorgnis gewachsen, dass der Aufbau neuer Produktionskapazitäten für solche Technologien vermehrt in anderen Teilen der Welt stattfinden könnte, in denen umfangreiche Subventionsregelungen Anreize für Unternehmen bieten, etwa in den USA.

Dennoch möchte die EU-Kommission nicht, dass das Gesetz so verstanden wird, als sei es gegen den Ausbau solcher Produktionsstätten in der ganzen Welt gerichtet.

„Bei der Bekämpfung des Klimawandels wird es genügend saubere Industrien für alle geben“, erklärte die Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, am Montag vor den EU-Ministern. „Die USA, Indien, Europa, der afrikanische Kontinent, China – überall muss es saubere Industrien geben“, sagte sie.

Mit dem Vorschlag will die Kommission den Aufbau von Produktionsstandorten für saubere Technologien in Europa „beschleunigen“, in der Hoffnung, dass einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren Europa zu einem attraktiven Standort machen.

Net-Zero Industry Act: So will Brüssel die Industrie zurückholen

Die Europäische Kommission hat am Donnerstag (16. März) ihren Net-Zero Industry Act vorgelegt, der vorsieht, dass die EU mindestens 40 Prozent der Technologien, die sie zur Erreichung ihrer Klima- und Energieziele bis 2030 benötigt, im eigenen Land produziert.

Atomkraft ja oder nein?

Während der Diskussion sprachen sich mehrere Minister dafür aus, auch die Kernenergie in den Geltungsbereich des Vorschlags einzubeziehen, darunter Frankreich, Finnland, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Tschechien. Sie sind allesamt Mitglied einer von Frankreich gegründeten „Nuklearen Allianz„, deren Minister letzte Woche in Paris zusammenkamen.

Deutschland, Luxemburg und Österreich haben sich unterdessen gegen die Einbeziehung der Kernenergie ausgesprochen.

Bislang wird die Atomkraft in dem Text zwar erwähnt, jedoch nicht als „strategische Netto-Null-Technologie“ – das bedeutet, dass sie nicht dem Ziel der 40-prozentigen europäischen Produktion unterworfen wird.

Nach der Debatte der Mitgliedsstaaten sagte Vestager, dass es „nicht einfach sein wird, mit den unterschiedlichen Ansichten umzugehen.“

„Die Sektoren, die im Net-Zero Industry Act enthalten sind, wurden aufgrund des Risikos von Standortverlagerungen ausgewählt“, sagte Vestager. Sie fügte hinzu, dass sie eine Debatte darüber erwarte, „was der Zweck des Vorschlags ist, damit es nicht einfach nur irgendeine Industrie ist, die viel – oder vielleicht nicht so viel – zu unserem Kampf gegen den Klimawandel beitragen kann.“

Von der Leyen: Atomkraft nicht "strategisch" für EU-Klimaschutz

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erläuterte die Grenzen der EU-Unterstützung für die Kernenergie im Rahmen des Net-Zero Industry Act, mit dem die heimische Produktion sauberer Technologien wie Batterien und Solarzellen gefördert werden soll.

Nationale Verwaltungen könnten überlastet sein

Im Kern zielt der Gesetzesvorschlag darauf ab, die Errichtung von Produktionsstandorten zu erleichtern, indem die Mitgliedstaaten beispielsweise verpflichtet werden, zentrale Anlaufstellen für alle Genehmigungen einzurichten, die für den Bau einer Fabrik erforderlich sind. Darüber hinaus sollen auch Fristen festgelegt werden, die bestimmen, wie lange die Genehmigungsverfahren maximal dauern dürfen.

Dies könnte jedoch einige Mitgliedstaaten überfordern, sagte die stellvertretende litauische Wirtschaftsministerin Ieva Valeskaite. Sie forderte „ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Umsetzung.“

In ähnlicher Weise bezeichnete die irische Arbeitsministerin Dara Calleary den Vorschlag als „Herausforderung“ und verwies auf das „Common Law“-System des Landes.

„Die vorgeschlagenen Fristen für die Erteilung von Genehmigungen wären äußerst schwer einzuhalten, und wir unterstützen nachdrücklich eine Überarbeitung des Vorschlags, um eine größere Flexibilität zu ermöglichen, die dem Rechnung trägt“, so Calleary.

Finanzierung noch unklar

Darüber hinaus enthält der Vorschlag, anders als etwa der Amerikanische Inflation Reduction Act (IRA), noch kein zusätzliches Subventionsprogramm zu den bereits eingeführten Möglichkeiten für EU-Länder.

Stattdessen wird lediglich eine neue Arbeitsgruppe mit dem Namen „Net-Zero Europe Platform“ eingerichtet. Diese soll bestehende Finanzierungsmöglichkeiten, wie etwa durch die Europäische Investitionsbank oder nationale Subventionsprogramme, „diskutieren und beraten.“

Letzteres wurde auch dadurch erleichtert, dass die Kommission vorübergehend die Regeln für staatliche Beihilfen gelockert hat, die normalerweise die Höhe der Subventionen, die von EU-Ländern gewährt werden können, streng begrenzen.

Dies wurde von mehreren Mitgliedstaaten kritisiert, wobei Polens Vertreterin Kamila Król darauf drängte, dass „die Mitgliedstaaten gleich behandelt werden sollten.“

„Neue Instrumente dürfen nicht zu einer Vertiefung der Differenzen zwischen ihnen führen“, warnte sie. Sie fügte hinzu, dass eine Finanzierung auf Grundlage nationaler Subventionen „keine gute Lösung“ sei.

Vestager betonte ihrerseits, dass die Arbeit an einem „Europäischen Souveränitätsfonds“ noch andauere, der „ein Mechanismus zur Deckung eines Teils des strukturellen Investitionsbedarfs“ sein werde.

Das zweischneidige Schwert der neuen EU-Subventionsregeln

Die neuen Möglichkeiten der EU-Staaten, nachhaltige Technologien stärker zu subventionieren, wird insbesondere von der grünen Industrie begrüßt. Der Mittelstand fürchtet allerdings, dass von den neuen Regelungen vor allem Großunternehmen profitieren könnten. 

[Bearbeitet von János Allenbach-Ammann/Nathalie Weatherald]

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