Es ist ein neuer Streitpunkt im ohnehin schon lange schwelenden Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich beim Thema Energiewende: Sollte Atomenergie in der sogenannten „Taxomonie“ der EU als grüne Energiequelle angesehen werden? EURACTIV Frankreich berichtet.
Erst kürzlich wurden die deutsch-französischen Beziehungen durch die „Hirntod“-Kommentare des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Thema Nato belastet. Nun könnten sich die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Kriterien für nachhaltige Finanzierungen als neuer Streitpunkt zwischen Paris und Berlin herausstellen.
Die bereits 2018 vorgelegte EU-Taxonomie hat das Ziel, festzulegen, welche Wirtschaftszweige auf europäischer Ebene mit einem Label für nachhaltige Finanzanlagen gekennzeichnet werden dürfen. Ziel ist es, potenziellen Investoren damit eindeutige Hinweise zu geben, wenn sie ihre Investitionen auf umweltfreundliche Sektoren ausrichten wollen.
Um das begehrte Siegel zu bekommen, müssen sechs vordefinierte Umweltziele erreicht werden. Wenn eine Technologie auch nur eines dieser Ziele hingegen untergräbt, wird sie automatisch „disqualifiziert“.
Aus Sicht des EU-Parlaments darf die Kernenergie das grüne Label daher nicht erhalten. Die EU-Mitgliedstaaten im Rat stimmten im September aber für eine Wiederaufnahme der Atomenergie in den Kreis der „grünen“ Wirtschaftszweige.
Während die Kernenergie dem Ziel der Reduzierung von CO2-Emissionen eindeutig entspricht, sei es dennoch nicht möglich, sie in die EU-Taxonomie einzubeziehen, „da es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für die [sichere] Handhabung von Atommüll gibt. Damit erfüllt die Branche nicht alle Anforderungen,“ erklärt Jochen Krimphoff, stellvertretender Direktor für Grüne Finanzierungen beim WWF.
Seit Beginn der Verhandlungen über die EU-Taxonomie drängt Frankreich auf die Aufnahme der Atomenergie, was von Deutschland hingegen scharf kritisiert wird. Erst Ende Oktober betonte der französische Finanzminister Bruno Le Maire erneut: „Frankreich wird sich dafür einsetzen, dass die Kernenergie Teil dieses Umwelt-Labels wird.“
Er fügte hinzu, ohne diese Form der Energiegewinnung könne man „die ökologische Wende nicht schaffen: Unser Ziel bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung ist ohne Kernenergie nicht zu erreichen.“
Atomaussteiger gegen Atomfans
Die Haltung Frankreichs zur Kernenergie, die von der Tschechischen Republik und einigen anderen osteuropäischen Mitgliedstaaten unterstützt wird, hat die Beziehungen zu Deutschland erheblich belastet. In Berlin wehrt man sich entschieden dagegen, der Kernenergie das entsprechende Umweltzeichen zu verleihen.
„Die Kernenergie ist weder sicher noch nachhaltig noch kostengünstig,“ sagte beispielsweise Andreas Feicht, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, auf einem Treffen der EU-Energieminister im September. „Daher lehnen wir diese Idee von EU-Geldern für die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken ab.“
Auch andere europäische Länder wie Luxemburg, Österreich, Italien und Malta sind gegen die Anerkennung der Kernenergie im Rahmen der EU-Taxonomie.
„Frankreich will die Atomkraft in der Taxonomie durchsetzen. Das bringt aber Aufruhr in die Gespräche zu diesem Thema und birgt auch die Gefahr, dass sie scheitern. Warum versucht Frankreich, solche Themen voranzutreiben, die für die europäische Zusammenarbeit derart schädlich sind?,“ fragt sich Pierre Cannet, Experte für Klima- und Energiefragen beim WWF Frankreich.
Tatsächlich erscheint Paris‘ Beharren auf die Kernenergie umso überraschender, als Frankreichs Positionen in der Taxonomie ansonsten als eher progressiv angesehen werden. So hat die französische Regierung beispielsweise wie die Kommission und das EU-Parlament gefordert, die Taxonomie bereits 2020 in Kraft zu setzen. Die anderen Staaten im EU-Rat sprechen sich hingegen für die Einführung ab 2023 aus.
Deutschland seinerseits könnte sich offenbar gut vorstellen, Erdgas und Gaskraftwerke ebenfalls als „grün“ zu deklarieren.
Am Ende droht in dieser Hinsicht ein Kompromiss, mit dem sowohl Gas- als auch Kernkraftwerke wieder in das Taxonomie-System aufgenommen werden.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]