Die in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag zwischen der Bundesregierung und Vertretern der vier Bergbau-Länder erzielte Einigung erlaubt es Deutschland nicht, seine Klimaverpflichtungen zu erfüllen. Dennoch will Berlin 40 Milliarden Euro für die Bergbauregionen zur Unterstützung der Umstrukturierung und 4,35 Milliarden Euro als Ausgleich für die Betreiber von Kohlekraftwerken mobilisieren.
„Der Vorteil der Vereinbarung ist, dass sie jeden mit an Bord nimmt. Aber es hat auch einen Nachteil, nämlich dass es für Deutschland nicht ausreicht, seine Klimaziele zu erreichen“, sagte Nicolas Berghmans, ein Klima- und Energiepolitikforscher des französischen Think-Tanks IDDRI, gegenüber Euractiv. Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Mit dem aktuellen Kompromiss wird jedoch nur eine Reduzierung der Emissionen um 47,6 Prozent erreicht.
„Positiv ist, dass der vor fast einem Jahr verabschiedete Plan in die Tat umgesetzt wird. Jetzt müssen wir sehen, wie es weiter geht. Aber ist das der richtige Zeitpunkt? Die europäische Debatte über die Anhebung des Reduktionsziels auf 55 Prozent bis 2030 kann dazu beitragen, die Debatte in Deutschland anzustoßen“, sagte er weiter.
Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Braunkohleländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben sich geeinigt, den endgültigen Ausstieg des Landes aus der Steinkohle bis 2035, das heißt drei Jahre vor dem von der Kohlekommission im Februar letzten Jahres festgelegten Datum. Dieser Plan sieht – wie im Februar von der Kohlekommission empfohlen – zwei Überprüfungsperiode, und zwar in den Jahren 2026 und 2029 vor.
Im Rahmen dieser Überprüfungen soll die derzeit auf 2038 festgelegte Schließung der letzten Anlagen erneut überprüft werden. Es soll geprüft werden, ob sie „um drei Jahre vorgezogen“ und damit das Datum 2035 „erreicht werden kann“.
Diese Kohleausstiegsstrategie sichert auch, dass der Hambacher Wald erhalten bleibt, was eine hoch symbolische Kraft ausstrahlen dürfte.
All dies soll in einem Gesetzesentwurf formalisiert werden, der am 29. Januar dem Ministerrat vorgelegt wird und dessen Verabschiedung „in der ersten Hälfte des Jahres 2020“ geplant ist, so das Wirtschaftsministerium.
Finanzielle Unterstützung
In den von der Stilllegung von Kraftwerken und Kohlebergwerken betroffenen Bergbauregionen plant der Staat die Einrichtung eines Ausgleichsfonds für Beschäftigte der Branche, der bis 2043 ausgezahlt werden könnte.
Darüber hinaus werden den vier Bergbauländern bis 2038 insgesamt 40 Milliarden Euro an Finanzhilfen gewährt.
Die Bundesregierung mobilisiert außerdem 4,35 Milliarden Euro an Ausgleichszahlungen für die Betreiber von Kohlekraftwerken, so Finanzminister Olaf Scholz. Das sind 2,6 Milliarden Euro für die vom Energiekonzern RWE verwalteten Anlagen im Westen Deutschlands und 1,75 Milliarden im Osten, ein Betrag, der sich über fünfzehn Jahre nach den Schließungen verteilt, sagte der Minister vor der Presse. Die Rechnung ist möglicherweise nicht endgültig, da Olaf Scholz bisher nur die Kraftwerke erwähnt hat, die in den nächsten zwei Jahren stillgelegt werden sollen.
Der Energiekonzern RWE verteidigte die geplanten Milliarden-Entschädigungen. Diese deckten nicht die durch den Kohleausstieg entstehenden Einbußen, sagte Konzernchef Rolf Schmitz. Laut Finanzvorstand Markus Krebber, belaufen sich die Verluste für das Unternehmen auf 3,5 Milliarden Euro, und das sei eine „konservative“ Rechnung betonte er. Rolf Schmitz kündigte auch „kurzfristig“ den Wegfall von 3000 Arbeitsplätzen und bis 2030 von weiteren etwa 3000 Stellen an.
65 Prozent Erneuerbar im Jahr 2030
Um den Rückgang der Kohleverstromung auszugleichen, wird der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt, so dass der Anteil dieser Energien an der Stromerzeugung bis 2030 auf 65 Prozent steigen wird. Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung wird weiter ausgebaut. Zwei weitere Gaskraftwerke sind ebenfalls angekündigt.
Die kränkelnde deutsche Windenergieindustrie wartet ab, ob die Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. „Es ist wichtig, dass es jetzt einen gesetzlichen Rahmen gibt, es ist ein ganz klares Signal an Investoren, es wird einen Shift bei den Investoren auslösen,“ sagte Christoph Zipf vom Bundesverband Windenergie.
„Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung jetzt den Einstieg rasch umsetzt. Wir hatten einen Windgipfel im Dezember, der auf einen schnelleren Ausbau abzielte, und wir wundern uns schon warum in der Zwischenzeit so wenig passiert ist, “ fügte er hinzu.
“Skandal”
Mit der neuen Einigung besteht eine wichtige Abweichungen vom Abschlussbericht der Kohlekommission vom Januar 2019, und zwar, mit Datteln IV wird Deutschland im Jahr 2020 ein weiteres Kohlekraftwerk ans Netz bringen. Dies dürfte ein sehr schlechtes Signal für die deutsche Klimapolitik auf internationaler Ebene sein, gerade weil Deutschland Mitglied der Powering Past Coal Alliance ist.
Für Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), ist dies „eine klimapolitische Blamage“ für die Bundesregierung und „ein klarer Bruch“ mit dem Kohle-Kompromiss.
„Die sogenannte Einigung ist ein energie- und klimapolitischer Skandal. Die Bundesregierung hat in substanziellen Punkten den Kohle-Kompromiss missachtet. An Stelle von drei Gigawatt sollen bis 2022 nur 2,8 Gigawatt Braunkohle stillgelegt werden. Es fehlt ein stetiger Abschaltpfad. Zwischen 2022 und 2025 sind keine Stilllegungen geplant, das Gros wird auf die Zeit nach 2030 verschoben. Einmal mehr zeigt sich, dass die Bundesregierung die Tragweite der Klimakrise nicht verstanden hat – oder eiskalt ignoriert, “ sagte er.