Für den Europäischen Klimabeirat erfordern die Themen der erneuerbare Energien und CO2-Abscheidung ein sofortiges Handeln, um die Klimaziele nach 2030 einzuhalten. Dies besagt ein Bericht, in dem die wichtigsten Lücken in der EU-Klimapolitik für die Zeit nach 2030 analysiert wurden.
Derzeit wird in Europa die Verabschiedung des Gesetzespakets „Fit for 55“ abgeschlossen, mit dem die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent unter das Niveau von 1990 gesenkt werden sollen.
„Zusätzliche Maßnahmen sind unabdingbar, wenn die EU ihr Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2050 erreichen will“, so der Europäische Wissenschaftliche Beirat zum Klimawandel (ESABCC) in einer Erklärung. Am Donnerstag (18. Januar) veröffentlichte der Klimabeirat den Bericht „Towards EU climate neutrality: progress, policy gaps and opportunities“.
Die Europäische Kommission wird am 6. Februar Vorschläge für die EU-Klimapolitik 2040 veröffentlichen, die den Weg der EU zu ihrem Endziel, die Emissionen auf Netto-Null zu reduzieren, festlegen soll.
Eine 90-prozentige Emissionssenkung, wie sie von der Kommission für 2040 angestrebt wird, „würde eine erhebliche Beschleunigung des derzeitigen Tempos der Emissionssenkungen erfordern“, warnte der Ausschuss.
„Die EU hat in den letzten Jahren große Fortschritte bei der Stärkung ihrer klimapolitischen Rahmenbedingungen gemacht. Aber das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 ist ein Wettlauf mit der Zeit, und wir können es uns nicht leisten, uns jetzt zurückzulehnen“, sagte Ottmar Edenhofer, Vorsitzender des Beirats.
„Um auf Kurs zu bleiben, müssen wir sicherstellen, dass unsere heutigen Maßnahmen mit unseren langfristigen Zielen übereinstimmen, und wir müssen uns auf noch stärkere Senkungen nach 2030 vorbereiten“, sagte er in einer Erklärung.
13 Empfehlungen
Um die Politik mit den langfristigen Energie- und Klimazielen der EU in Einklang zu bringen, hat der Beirat 13 Empfehlungen ausgesprochen.
An erster Stelle steht die Umsetzung des „Fit for 55“-Pakets auf nationaler Ebene und die „vollständige Abstimmung der EU-Politik auf die Notwendigkeit des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen“, um die Klimaziele der EU für 2030 zu erreichen.
„Jetzt kommt es auf die Umsetzung durch die EU-Mitgliedstaaten an“, sagte Edenhofer am 16. November bei einem Briefing vor Journalisten. „Und hier sind noch viele Hausaufgaben zu machen.“
Dazu gehöre die Schaffung „einer stabilen Investitionsperspektive für erneuerbare Energien“ und die Fertigstellung der Überarbeitung der EU-Energiesteuerrichtlinie, die derzeit im Rat der EU-Mitgliedstaaten feststeckt, weil sie Einstimmigkeit erfordert.
Was die erneuerbaren Energien betrifft, so müsste die Windenergie bis 2030 verdoppelt werden, um die EU-Ziele zu erreichen, während für die Solarenergie eine Vervierfachung erforderlich wäre, so der ESABCC-Bericht.
Die EU-Länder sind jedoch derzeit nicht auf Kurs. Auf der Grundlage der bisher von den EU-Mitgliedstaaten vorgelegten Nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) ist die EU laut einer im Dezember veröffentlichten vorläufigen Bewertung der Europäischen Kommission auf dem besten Weg, ihre Emissionen bis 2030 um 51 Prozent zu senken.
Kurzfristige Maßnahmen
Eine zweite Gruppe von Empfehlungen bezieht sich auf die Maßnahmen, die „jetzt oder weit vor 2030“ ergriffen werden müssen, um die Klimaneutralität fristgerecht zu erreichen.
Dazu gehören politisch sensible Bereiche wie Maßnahmen zur Bewältigung der sozioökonomischen Auswirkungen der Klimapolitik und die Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik der EU an die Klimaziele.
„Der Mangel an Fortschritten bei den Klimamaßnahmen ist in der Landwirtschaft und im LULUCF-Sektor am auffälligsten“, sagte Edenhofer und bezog sich dabei auf die politischen Maßnahmen im sogenannten Bereich „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft.“
„Eines der größten Defizite ist das Fehlen von Anreizen für Landwirte und Landbewirtschafter, Emissionen zu reduzieren und den Abbau zu steigern“, erklärte er.
Der Bericht empfiehlt, dieses Problem zunächst durch die Einführung eines „Systems zur Bepreisung von Treibhausgasemissionen“ anzugehen. Dies könne dadurch geschehen, dass die EU ihre Unterstützung von emissionsintensiven landwirtschaftlichen Praktiken wie der Viehzucht abziehe und eine pflanzliche Ernährung fördere.
Für die Industrie empfiehlt der Bericht, die Technologie zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) auf Branchen auszurichten, in denen nicht-fossile Alternativen nicht realisierbar sind.
„Im Klartext heißt das, dass CCS im Stromsektor nicht sinnvoll ist“, so Edenhofer.
Emissionshandel „fit für Netto-Null“
Ein wichtiges Instrument, um die Emissionsreduzierung in diesen Bereichen voranzutreiben, ist die Reform des EU-Emissionshandelssystems (EHS), ein Bereich, auf den sich die EU „bis spätestens 2031“ vorbereiten sollte, so der Bericht in seiner dritten Reihe von Empfehlungen.
„Hier empfehlen wir, die beiden Emissionshandelssysteme fit für Netto-Null zu machen“, so Edenhofer.
Zum Beispiel bietet die derzeitige Gesetzgebung „keine Klarheit“ darüber, wie das EHS funktionieren wird, wenn die Emissionsobergrenze schließlich auf Null sinkt. Es wird auch nicht gesagt, was mit Sektoren wie der Landwirtschaft und Teilen der Industrie geschehen wird, in denen Restemissionen als unvermeidbar gelten.
Außerdem gibt es keine Alternativen zur kostenlosen Zuteilung von CO2-Zertifikaten für Industriesektoren wie die chemische Industrie, die derzeit nicht unter den CO2-Grenzzoll der EU, den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), fallen.
Ab 2025 kommt ein weiteres Emissionshandelsystem (EHS2) hinzu, welches schrittweise auch für den Straßenverkehr und für Gebäude gelten soll. Damit hat die „weiche Preisobergrenze“, die eingeführt wurde, um die Verbraucher vor steigenden Kraftstoffpreisen zu schützen, auch ihre Schattenseiten – im Wesentlichen erhöht sie das Risiko, dass die Emissionsziele verfehlt werden.
„In Zukunft könnte es große Preisunterschiede zwischen EHS1 und EHS2 geben, was die Kosteneffizienz untergräbt und Verzerrungen und falsche Anreize schafft“, sagte Edenhofer.
Soziale Akzeptanz und Atomkraft
Auf die Fragen der Journalisten räumte Edenhofer ein, dass einige Empfehlungen des ESABCC-Berichts mit hohen politischen Kosten verbunden sein könnten.
So könne beispielsweise die Bekämpfung der Emissionen aus der Landwirtschaft „zu höheren Lebensmittelpreisen führen“, räumte er ein. Er sagte, dass die politischen Maßnahmen in diesem Bereich „Ausgleichspakete“ für Haushalte mit geringem Einkommen beinhalten müssten.
Was die Atomkraft betrifft, so werden im ESABCC-Bericht Zweifel geäußert, da die langen Vorlaufzeiten für den Bau neuer Atomkraftwerke – mindestens 10 bis 15 Jahre – sie nicht zu einer brauchbaren Technologie machen, um die Ziele der Union für 2030 zu erreichen.
Auch für die Zeit nach 2030 äußerte sich Edenhofer skeptisch und verwies auf Probleme mit der „sozialen Akzeptanz“ der Atomkraft und auf „Risikofaktoren“ wie den „Mangel an Kühlwasser“ für Wärmekraftwerke, einschließlich Kernreaktoren.
„In unseren Szenarien erkennen wir voll und ganz an, dass verschiedene Mitgliedsstaaten unterschiedliche Optionen für die Atomkraft haben – daran ist nichts auszusetzen“, sagte er.
„Was wir jedoch kurzfristig tun müssen, ist, die erneuerbaren Energien auszubauen, die in allen Szenarien günstig sind, selbst für Länder mit einem relativ hohen Anteil an Atomkraft.“
„Die Atomkraft und erneuerbare Energien sind sehr nahe beieinander liegende Alternativen“, um die Emissionen auf Null zu senken, sagte Edenhofer. Letztendlich reiche es aber nicht aus, „die CO2-Neutralität zu erreichen“, fügte er hinzu und sagte, dass der Abbau von CO2 notwendig sei, um netto-negative Emissionen zu erreichen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic/Kjeld Neubert]