Die Europäische Kommission hat am Mittwoch bekannt gegeben, welche Regionen der EU für die insgesamt 7,5 Milliarden Euro an Geldern aus dem Fonds in Frage kommen, der für Ausgaben zur Sanierung der Schwerindustrie und zur Unterstützung der Arbeiterschaft in der fossilen Brennstoffindustrie vorgesehen ist.
Theoretisch haben alle 27 EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen des nächsten langfristigen Haushalts Zugang zum sogenannten Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fund, JTF). Aber es dürften nur einzelne Regionen die angebotenen Milliarden in Anspruch nehmen.
Die Kommission kündigte in ihren Länderberichten im Rahmen des Europäischen Semesters an, welche Industriebereiche und Region wohl förderfähig sein werden. Demnach erfüllen „nur“ 100 Regionen der Union die Kriterien. Diese basieren auf der Zahl der „kohlenstoffintensiven“ Arbeitsplätze, der Industrietätigkeit mit fossilen Brennstoffen und dem Pro-Kopf-BIP der einzelnen Gebiete.
Die zuständigen Regierungen müssen nun Pläne für einen gerechten Übergang aufstellen, um Zugang zu den Geldern zu erhalten. Die Empfehlungen in den Wirtschaftsberichten zu den einzelnen Ländern soll dabei als Anhaltspunkte dienen.
EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis forderte seinerseits die nationalen Behörden auf, im März Anträge auf technische Hilfe einzureichen, damit Brüssel den Ländern dann helfen könne, das Maximum aus ihren Bewerbungen herauszuholen.
These are the EU regions more dependent on coal or with the highest levels of carbon emissions that we believe are most in need of the Just Transition Fund’s support #EUinmyRegion pic.twitter.com/bmlD0s4qCy
— Elisa Ferreira (@ElisaFerreiraEC) February 26, 2020
Ostdeutsche Kohlegebiete
Deutschland ist führend bei der reinen Anzahl der Gebiete, die als gerechte Übergangsregionen eingestuft werden können. Im Land gibt es demnach 18 Regionen, hauptsächlich in Ostdeutschland. Der Bundesrepublik könnte dafür ein potenzieller Anteil von 877 Millionen Euro aus dem JTF zugewiesen werden.
Laut dem Wirtschaftsbericht der Kommission sind rund 18.000 direkte Arbeitsplätze im Bereich Braunkohlenförderung durch die Klimapolitik gefährdet, während 10.000 weitere indirekte Arbeitsplätze ebenfalls in Gefahr sind.
„In den betroffenen Gebieten wird der Kohleausstieg die Arbeitslosenproblematik verstärken. Um diese umstellungsbedingten Herausforderungen anzugehen, wurde Investitionsbedarf im Hinblick darauf ermittelt, das Wachstumspotenzial der in diesen Gebieten ansässigen Unternehmen zur Schaffung einer erheblichen Anzahl alternativer Industriearbeitsplätze zu nutzen,“ heißt es im Kommissionsbericht weiter.
Deutschland strebt aktuell an, bis 2038 die Kohle aus seinem Energiemix zu verbannen – ein Termin, den Umweltgruppen als deutlich zu spät kritisieren.
Weitere Vorschläge für Ausgaben sind die bevorzugte Behandlung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), Investitionen in saubere Energiequellen und die Umschulung von Arbeitnehmenden. Ähnliche Initiativen wurden bereits im Rahmen der Plattform „Kohleregionen im Wandel“ des Blocks gestartet.
Polen und die Klimapolitik
Im Nachbarland Polen wurden neun Regionen als potenzielle JTF-Empfänger identifiziert. Allerdings sind in den schlesischen Revieren deutlich mehr Jobs als in Deutschland, nämlich bis zu 78.000, bedroht. Das ist rund die Hälfte aller Kohlearbeiter in der gesamten EU.
„Eine Abkehr von der Kohleförderung würde zusätzliche Anstrengungen zur wirtschaftlichen Diversifizierung, zur Umschulung und Weiterqualifizierung, zur Bekämpfung der Entvölkerung und zur Wiederbelebung [der ländlichen Regionen] erfordern“, so der Kommissionsbericht.
Dafür könnte Polen zwar insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro aus dem Fonds erhalten; dieser Geldsegen ist aber in Gefahr, da EU-Ratspräsident Charles Michel die JTF-Finanzierung auch von klimapolitischen Zielsetzungen abhängig machen will. Nach dem jüngsten Vorschlag für den EU-Haushalt werden die JTF-Mittel halbiert, wenn ein Land nicht dem EU-weiten Ziel „Klimaneutralität bis 2050“ zustimmt.
Tatsächlich ist Polen das einzige Land, das sich diesem Ziel bisher nicht verpflichtet hat.
Die EU-Spitzen versuchen seit einigen Monaten sicherzustellen, dass der JTF nicht de facto zu einem reinen Ausstiegsfonds für Kohle wird. Auch mehrere Mitgliedsstaaten hoffen, das angebotene Geld für Themen zu verwenden, die nicht mit Energie zu tun haben.
Dies spiegelt sich auch in den aktuellen Länderberichten der Kommission wider: Darin wird eine Reihe von denkbaren Ausgabenoptionen für die Länder vorgeschlagen, die sich auf Industrien wie Stahl und Chemie sowie auf die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur konzentrieren.
Italien und Frankreich
In Italien beherbergt beispielsweise eine der zwei potenziellen Empfängerregionen, Taranto im Südwesten des Landes, eines der größten Stahlwerke Europas. Dort stehen rund 20.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel – ebenso wie die öffentliche Gesundheit, die durch die gefährliche Umweltverschmutzung des Standorts bedroht ist.
Der Bericht stellt fest, dass die potenziell 364 Millionen Euro für Italien vor allem in die Steigerung der Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien in Industrieanlagen sowie in die Dekontaminierung und Neuverwendung von Land fließen sollten.
Die französischen Regionen Bouches-du-Rhône und Nord dürften sich derweil eine Finanzierungstranche von 400 Millionen Euro teilen, die laut Kommission ebenfalls für die Sanierung ihrer Energie-, Chemie- und Stahlstandorte vorgesehen werden sollten. In den beiden Regionen könnten mehr als 153.000 Arbeitsplätze gefährdet sein.
Die Errichtung neuer Kernkraftwerke (oder die Stilllegung alter Reaktoren) wird indes keine Möglichkeit für Frankreich darstellen, weitere EU-Gelder zu erhalten: Die Kriterien des JTF schließen den Bau neuer AKWs aus.
Malta und der Schiffverkehr
Auch der kleinste Mitgliedstaat der EU, Malta, wird vom JTF profitieren. Die größte Herausforderung für den Inselstaat ist nach Ansicht der Kommission die Verschmutzung durch den Verkehr. Der maltesische Anteil von acht Millionen Euro sollte daher vor allem in die Häfen fließen: „Der Fonds könnte insbesondere auf die beiden wichtigsten maltesischen Häfen abzielen, die ein wichtiger Teil der Wirtschaft sind, wenn es darum geht, Wachstum zu ermöglichen und neue Arbeitsplätze zu schaffen“, heißt es im Länderbericht.
Mit den „beiden wichtigsten maltesischen Häfen“ bezieht sich die Kommission auf einen Kreuzfahrtschiffhafen sowie ein Containerterminal als die größten Problemfälle. „Es ist notwendig, eine Alternative zur Verbrennung von Schweröl/Gasöl in diesen Häfen zu bieten, indem die Schiffe mit Strom versorgt werden,“ schlägt die EU-Exekutive vor.
So geht es mit dem JTF weiter
Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen sich noch auf den langfristigen Gesamthaushalt einigen, nachdem die Gespräche auf einem Gipfel in Brüssel vergangene Woche gescheitert waren.
Auch der JTF ist von dieser Diskussion nicht ausgenommen, obwohl alle Anzeichen darauf hindeuten, dass sich der Gesamttopf bei Änderungen eher noch erhöhen würde: In dem Verhandlungstext, den die Kommission bei der Sitzung der Staats- und Regierungschefs in Umlauf brachte, schlug die EU-Exekutive vor, die bisher 7,5 Milliarden Euro auf 7,8 Milliarden aufzustocken. Dieser Text wurde jedoch letztendlich abgelehnt, und die Zahl von 7,5 Milliarden bleibt (vorerst) das aktuelle Angebot.
Ein weiterer Gipfel ist nun für Ende März geplant; ein weiterer könnte noch früher einberufen werden.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]