Umweltaktivisten und die Schiefergas-Industrie geraten aneinander: Nichregierungsorganisation behaupten, dass einflussreiche Untenehmen eine wichtige Beratungsgruppe der EU-Kommission zur Frackingpolitik kontrollieren. EURACTIV Brüssel berichtet.
Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Friends of the Earth zeigte ihren Protest deutlich: Sie verließ das Europäische Wissenschafts- und Technologienetzwerk zur unkonventionellen Kohlenwasserstoffgewinnung des Gemeinsamen Forschungszentrums (JRC). Das JRC ist der hausinterne Wissenschaftsdienst der Kommission. Es soll objektiv über die EU-Politikgestaltung aufklären.
Das Netzwerk sei damit beauftragt, bestehende Frackingprojekte und ihre Sicherheit zu bewerten, sagte die NGO am Mittwoch. Es sei jedoch „im Wesentlichen eine hausinterne Schiefergas-Lobby für die Energiestrategie der Kommission“ und sollte gestrichen werden.
Der Verband Shale Gas Europe und die Kommission wiesen diese Anschuldigungen zurück.
Die Kommission erklärte gegenüber EURACTIV, sie bedauere die Entscheidung von Friends of the Earth. Denn „die Teilnahme der Zivilgesellschaft an diesem Netzwerk ist entscheidend, um einen ausgeglichenen Meinungsaustausch sicherzustellen“.
„Aber es muss angemerkt werden, dass dieses Netzwerk anstrebt, ein technisches Netzwerk zu sein und nicht darauf ausgerichtet ist, Beratung für Entscheidungsfindungszwecke anzubieten oder unkonventionelle fossile Brennstoffe zu bewerben“, sagt ein Sprecher.
Shale Gas Europe erklärt: „Es ist nicht hilfreich von bestimmten Lobbyisten wie Friends of the Earth, nur zwei Monate nach den ersten Treffen aus einem wichtigen Prozess auszusteigen. Es ist eher ein politisches Statement als aufrichtiges Interesse daran, Europas akute Energieherausforderungen zu lösen.“
Untersuchung
Gestern veröffentlichten Friends of the Earth Europe und die Anti-Lobbying-Gruppe Corporate Europe Observatory eine Untersuchung der Zusammensetzung der Gruppe.
Demnach arbeiten 14 der 74 Mitglieder für die Kommission.
Von den übrigen 60
- vertreten mehr als 70 Prozent die Frackingindustrie oder haben finanzielle Verbindungen zu ihr. Weniger als zehn Prozent vertreten die Zivilgesellschaft
- Die Vorsitzenden der fünf Arbeitsgruppen des Gremiums arbeiten entweder für die Frackingindustrie, sind von Regierungen, die Fracking befürworten oder von industriefreundlichen Institutionen kommen
- Fracking-Giganten wie Cuadrilla, ConocoPhillips, Shell, Total, ExxonMobil und GDF Suez sind alle in der Gruppe vertreten
Nach Angaben von EU-Beamten gibt es keine fünf Arbeitsgruppen-Vorsitzenden, wie im Bericht steht. Es gebe lediglich einen Vorsitzenden und Vizevorsitzenden für jede der beiden Arbeitsgruppen.
Ein Industrievertreter wurde bei einer Präsentation beim ersten Treffen versehentlich für einen Vorsitzenden einer der Arbeitsgruppn gehalten, erklärten informierte Kreise gegenüber EURACTIV.
Den Beamten zufolge ist die Industrie nötig, um standortspezifische technische Daten und Umweltdaten zu bekommen.
Es habe einen offenen Aufruf gegeben, dem Netzwerk beizutreten, auf den sich alle daran Interessierten bewerben konnten, sagten die Beamten. Weitere Bewerbungen seien willkommen.
Friends of the Earth Europe ist anderer Meinung. Das Hauptziel dieser Beratungsgruppe sei die Förderung und der Ausbau des umstrittenen Frackings in Europa.
Antoine Simon, Schiefergasaktivist bei Friends of the Earth Europe sagt: „Obwohl ein ‚Wissenschafts- und Technologienetzwerk‘ zu unkonventionellen fossilen Energiestoffen objektiv klingt, ist es eine komplette Fassade. Die Kommission gibt der Frackingindustrie alle Sitze am Spitzentisch und drängt Bürger und Gruppen mit rechtmäßigen Bedenken über diese schmutzige Industrie heraus.“
Konferenz zum Klimawandel
„Während die entscheidenden Klimagespräche in Paris immer näher rücken, stellt die enge Beziehung der Kommission zur Industrie für fossile Brennstoffe sicher, dass Fracking durch die Hintertür in Gang gesetzt wird“, sagt Pascoe Sabido, Forscher und Aktivist beim Corporate Europe Observatory.
Bei der im November in Paris stattfindenden Klimakonferenz der Vereinten Nationen soll eine Vereinbarung zu weltweit rechtsverbindlichen Grenzen für die weltweite Erwärmung erreicht werden. Die weltweite Kampagnen gegen Fracking dauern an und verlangen, fossile Brennstoffe im Boden zu lassen.
Unkonventionelle Brennstoffe seien gefährlich für die Gesundheit, die Umwelt und das Klima, sagen Kritiker.
Gegner argumentieren, dass Fracking die CO2-Emissionen erhöhe. Befürworter argumentieren, es könne als „Überbrückungsbrennstoff“ fungieren – während kohlestoffarmen Energiequellen wie die erneuerbaren Energien verbessert werden.
Jeder in der Gruppe würde zustimmen, dass Schiefergas „in einem ökologisch nachhaltigen Rahmen entwickelt“ werden sollte, erklärt Shale Gas Europe.
„Aber jegliche Entscheidung, die über die Zukunft von Schiefergas getroffen wird, muss auf einer vollständigen und genauen wissenschaftlichen und akademischen Analyse beruhen und nicht auf unbegründeter Rhetorik“, so die Shale Gas Europe-Mitteilung.
Fracking könne CO2-intensivere fossile Brennstoffe wie Kohle ersetzen. Doch darüber hinaus könne es eine „entscheidende Rolle“ dabei spielen, der EU zu helfen, ihre Verpflichtungen zur CO2-Reduzierung einzuhalten, so der Verband.
Es könne dabei helfen, Energie billiger, verlässlicher und sicherer zu Machen, meint Shale Gas Europe.
Die Energiesicherheit ist eines der zentralen Ziele des EU-Projekts Energieunion. Sie soll die Widerstandsfähigkeit der EU bei Engpässen stärken. Die Ukraine-Krise gab dem Ganzen den politischen Schwung.
Beratungsgruppen
Die Kommission beaufsichtigt Hunderte von Beratungsgruppen, die eine Rolle bei der Entwicklung der EU-Gesetzgebung und Politik spielen.
Bereits in der Vergangenheit wurde die Zusammensetzung der Beratungsgruppen in der Kommission kritisiert. Die Europäische Bürgerbeauftragte untersucht Misswirtschaft in den EU-Institutionen und untersucht das Problem.
Die Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly machte der Kommission Vorschläge, wie diese Gruppen ausgeglichener zusammengesetzt und transparenter gemacht werden können.
Sie verlangt von der Kommission die Schaffung eines rechtsverbindlichen Rahmens für alle Expertengruppen. Dazu gehört eine Definition, wie eine ausgeglichene Repräsentation in den verschiedenen Gruppen aussehen soll.
Des Weiteren empfiehlt sie Maßnahmen zur Verringerung potenzieller Interessenskonflikte und für mehr Veröffentlichungen zur Arbeit der Gruppen.
Die Kommission ist aufgefordert, bis zum 30. April 2015 auf ihre Vorschläge zu antworten.
„Die Kommission hat viel für die Erhöhung der Transparenz und die Förderung einer ausgeglicheneren Interessensvertretung in ihren Expertengruppen getan. Dennoch gibt es Raum für Verbesserungen, wenn wir sicher sein wollen, dass die Öffentlichkeit der Arbeit dieser wichtigen Gruppen vertrauen und sie kontrollieren kann“, sagt O’Reilly.
Lobbyismus im Scheinwerferlicht
Der Schiefergas-Streit brach aus, als Transparency International vor Korruption warnte. Die Regierungen und die EU-Institutionen müssten robuste Regeln für mächtige Lobbygruppen verabschieden, die die Gesetze und die Politik gestalten wollen. Ansonsten bestünde ein Korruptionsrisiko.
Transparency International untersuchte für einen neuen Bericht 19 europäische Länder und drei EU-Institutionen. Gemessen an internationalen Lobbystandards erreichten sie im Durchschnitt 31 von 100 möglichen Punkten.
Die Kommission selbst erreichte 53. Slowenien schaffte es ebenfalls über die 50-Prozent-Marke – mit „Lücken in der regulativen Erfassung, Schlupflöchern und der schlechten Regelumsetzung“, so der Bericht.
Transparency International zufolge erreichte der Rat nur 19 Prozent, das Europaparlament 37 Prozent.
„Unfaire und undurchsichtige Lobby-Praktiken sind eines der wichtigsten Korruptionsrisiken, mit denen Europa derzeit konfrontiert ist“, sagt Elena Panfilova, Vize-Vorsitzende von Transparency International. “Die europäischen Länder und die EU-Institutionen müssen robuste Lobby-Verordnungen verabschieden, die die große Bandbreite der Lobbyisten, die alle politischen Entscheidungen, Richtlinien oder die Gesetzgebung direkt oder indirekt beeinflussen, abdecken.“
Dem Bericht zufolge gibt es in vielen Sektoren Probleme mit Lobbying. Dazu gehören die Bereiche Alkohol, Tabak, die Automobil-Industrie, Energie, der Finanzsektor sowie die Pharmaindustrie.
Bereits in der Vergangenheit machte der angebliche Einfluss von Partikularinteressen auf die Gesetzgebung Schlagzeilen. 2012 trat der maltesische Kommissar John Dalli als Gesundheitskommissar und Kommissar für Verbraucherpolitik zurück, nachdem das EU-Anti-Betrugsbehörde sagte, dass ein maltesischer Unternehmer seine Kontakte zu Dalli nutzte, um Bestechungsgelder von einer schwedischen Firma zu fordern, im Gegenzug zu Veränderungen in einem Tabak-Gesetzentwurf.
Die Kommission hat versprochen, ein Pflichtregister für Lobbyisten in allen EU-Institutionen einzuführen.