Nach Ansicht der polnischen Staatssekretärin für strategische Energieinfrastruktur wird die Atomkraft entscheidend für Europas Klimaneutralität sein. Ein Gesetzesvorschlag der EU für eine emissionsfreie Industrie berücksichtigt diese Energieform momentan nicht.
„Ich möchte einen eindringlichen Appell aussprechen: Wir können es uns nicht leisten, die Atomkraft abzulehnen“, sagte Anna Łukaszewska-Trzeciakowska auf dem Energietag 2023 des polnischen Stromverbands PKEE.
„Ohne Atomkraft, sowohl in großem Maßstab als auch in Form von SMR [kleine modularen Reaktoren], werden wir nicht in der Lage sein, unsere Klimaziele zu erreichen und unsere Energiesicherheit zu gewährleisten“, sagte sie auf der Veranstaltung am 19. September.
Polen verfügt derzeit über keine in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke, will aber bis 2033 seinen ersten Reaktor in Betrieb nehmen. In den folgenden Jahren sollen weitere Kapazitäten hinzukommen.
Das Land gehört außerdem zu einer Gruppe von EU-Mitgliedstaaten, die die Atomkraft befürworten und bis 2050 einen Anteil von 150 Gigawatt an der Stromerzeugung in der EU erreichen wollen.
Atomkraft im Net-Zero Industry Act
Ein Bereich der EU-Politik, in dem einige die mangelnde Unterstützung für die Atomkraft kritisiert haben, ist das Netto-Null Industrie Gesetz (Net-Zero Industry Act). Mit dem Vorschlag sollen Technologien gefördert werden, die für den Übergang zur Klimaneutralität entscheidend sind.
Die Atomkraft wurde zwar im Vorschlag der Europäischen Kommission erwähnt, aber nicht in die Liste der strategischen Technologien aufgenommen, die für eine EU-Finanzierung und beschleunigte Genehmigungsverfahren in Frage kommen würden.
„Wir sind der festen Überzeugung, dass der Net-Zero Industry Act die Atomkraft genauso unterstützen sollte wie andere Energieträger, dekarbonisierte Energieträger, erneuerbare Energien, CO2-Abscheidung und -speicherung sowie Wasserstoff“, sagte Yves Desbazeille, Generaldirektor des Branchenverbands Nuclear Europe, der ebenfalls auf der Veranstaltung sprach.
„Es gibt keinen Grund, eine Unterscheidung zu treffen, denn wir brauchen alle Lösungen. Wir brauchen all diese Technologien, wenn wir unsere sehr, sehr ehrgeizigen Ziele für 2050 erreichen wollen“, fügte er hinzu.
Unterdessen kritisierte der tschechische Rechtsaußen-Abgeordnete Alexandr Vondra die derzeitige EU-Kommission für ihren „aktiven Kampf gegen die Atomkraft.“
„Dieser Net-Zero Industry Plan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber aus unserer Sicht ist er noch lange nicht vollständig, denn die Atomkraft wird diskriminiert und es ist ein Verbrechen“, sagte Vondra auf der Veranstaltung.
Er kritisierte auch den Ansatz der EU bei der Förderung sauberer Technologien und bezeichnete das EU-System als „sozialistisch“, da es auf Verboten, Vorschriften und öffentlichen Geldern beruhe. Andere Systeme wie der Inflation Reduction Act der USA böten dagegen Wahlfreiheit durch Steueranreize.
„Wir werden niemals mit diesem System konkurrieren“, sagte Vondra, obwohl er zugab, dass ein EU-Äquivalent zum Inflation Reduction Act in Europa nur schwer umzusetzen wäre, „weil wir keine Steuerharmonisierung haben.“
Miguel Gil Tertre, Chefökonom und Referatsleiter in der Energieabteilung der Europäischen Kommission, warnte jedoch davor, den Ansatz der USA zu kopieren.
„Ich denke, wenn wir versuchen, mit Subventionen zu konkurrieren, wird es für jeden Sektor sehr schwierig werden“, sagte er und warnte, dass Europa keine Größenvorteile wie in China erzielen könne.
Gleichzeitig gebe es in Europa eine Menge finanzieller Unterstützung, sowohl von der EU als auch aus den nationalen Haushalten, fügte er hinzu.
„Wir müssen uns wirklich darauf konzentrieren, wo der öffentliche Sektor einen Unterschied ausmacht, indem er den privaten Sektor katalysiert, und wo wir es dem privaten Sektor überlassen können, etwas zu leisten.“
Ein weiterer Aspekt, den die EU neben der Finanzierung bieten kann, ist ein berechenbares regulatorisches Umfeld für Investoren, so Tertre weiter.
Regulierungssicherheit ist der Schlüssel für die Industrie, stimmte Patryk Demski vom polnischen Energieunternehmen Tauron zu. Er äußerte seine Frustration über die wechselnden Ansichten der EU darüber, was strategische klimaneutrale Technologien sind.
„Es ist, als würde sich der Kreis drehen: erst eine Technologie, dann die andere Technologie, eine Lösung, die die andere Lösung zerstört – niemand weiß, wie der zukünftige Mix aussehen soll“, sagte er.
„Aus meiner Sicht brauchen wir eine wirklich gute, klare und schnelle Regulierung. Der Rechtsrahmen sollte in Europa gut funktionieren. Zweitens müssen wir uns auf die Finanzierungsbedingungen einigen, wie wir welche Technologie unterstützen und zu welchen Bedingungen“, sagte er.
In Bezug auf den Net-Zero Industry Act sagte er, dass die EU ihre Stärken mit Ideen aus den USA kombinieren sollte.
„Aus meiner Sicht gibt es einen Teil des Inflation Reduction Act, einen Teil der europäischen Solidarität, einen Teil der Fähigkeiten, die wir gemeinsam nutzen sollten, die gemeinsame Stärke, um das Ziel des nachhaltigen Wandels zu erreichen“, sagte er.
Das Europäische Parlament und die EU-Länder erörtern derzeit jeweils getrennt über ihre Position zum Net-Zero Industry Act. Eine der Schlüsselfragen dabei ist, ob der Atomkraft eine wichtigere Rolle eingeräumt werden sollte.
[Bearbeitet von Frédéric Simon/Kjeld Neubert]