Die Europäische Kommission hat am Mittwoch ihre Pläne zur Förderung von Wasserstoff vorgestellt, der vollständig auf erneuerbarer Elektrizität, beispielsweise aus Wind- und Sonnenenergie, basiert. Die Exekutive fügte jedoch hinzu, dass kurzfristig auch „CO2-armer“ Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen unterstützt werden soll.
Wasserstoff wird als ein potenzieller „Königsweg“ für die Treibhausgas-Emissionssenkung von Industriebranchen wie Stahl und Chemie angesehen. Diese gelten allgemein als „schwer zu dekarbonisieren“, da sie viel Wärmeenergie benötigen und nicht leicht elektrifiziert werden können.
Auch in der Schiff- und Luftfahrt sowie im Schwertransport auf der Straße könne Wasserstoff eine saubere Alternative dort bieten, wo Elektrifizierung (aktuell) nicht möglich ist.
„Wasserstoff ist ein wichtiges fehlendes Puzzleteil, das uns hilft, diese weitergehende Dekarbonisierung zu erreichen,“ erklärte die zuständige EU-Energiekommissarin Kadri Simson gestern bei der Präsentation der neuen Wasserstoffstrategie.
Die EU-Exekutive geht davon aus, dass sauberer Wasserstoff bis 2050 rund 24 Prozent des Weltenergiebedarfs decken könnte – mit einem jährlichen Umsatz in der Größenordnung von 630 Milliarden Euro. Für Europa könnte dies eine Million Arbeitsplätze in der Wasserstoff-Wertschöpfungskette bedeuten.
Der Weg dorthin dürfte allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Kommission weist in ihrem Bericht darauf hin, dass heute 96 Prozent des Wasserstoffs aus fossilen Brennstoffen stammen. „Vorrangig“ solle deswegen nun die Entwicklung von „erneuerbarem Wasserstoff, der hauptsächlich mit Hilfe von Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird“ sein.
Das wird vor allem weitere Kostensenkungen bei Technologien wie Elektrolyseuren erfordern, die frühestens 2030 voll ausgereift sein dürften, räumt die Kommission in einer Erklärung ein.
„Kohlenstoffarme“ Alternativen für den Übergang
Daher werden in der Zwischenzeit „andere Formen von kohlenstoffarmem Wasserstoff benötigt, um die Emissionen rasch zu reduzieren und die Entwicklung eines funktionierenden Marktes zu unterstützen“, fügte die Kommission hinzu. Dabei bezog man sich insbesondere auf die CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie auf Wasserstoff, der durch Gaspyrolyse gewonnen wird. Dabei fällt Kohlenstoff in fester Form anstelle von gasförmigem CO2 an.
Die gute Nachricht ist, dass die EU bei all diesen Technologien führend sei, so die Kommission. Um die Produktion weiter voranzutreiben, schlägt die Exekutive in ihrer Mitteilung nun einen „stufenweisen Ansatz“ vor:
- Von 2020 bis 2024 soll in der EU die Installation von für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff bestimmten Elektrolyseuren mit einer Elektrolyseleistung von mindestens sechs Gigawatt und die Erzeugung von bis zu einer Million Tonnen erneuerbarem Wasserstoff unterstützt werden.
- Von 2025 bis 2030 soll dann der Wasserstoff zu einem wesentlichen Bestandteil des integrierten Energiesystems werden, indem in der EU für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff bestimmte Elektrolyseure mit einer Elektrolyseleistung von mindestens 40 Gigawatt installiert und bis zu zehn Millionen Tonnen erneuerbarer Wasserstoff erzeugt werden.
- Langfristig, von 2030 bis 2050 sollten die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff dann endgültig ausgereift sein und in großem Maßstab in allen Sektoren, in denen die Dekarbonisierung bisher schwierig war, eingesetzt werden.
Zur Unterstützung der aufkommenden Erneuerbare-Wasserstoffindustrie in der EU hat die Kommission darüber hinaus die Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff gegründet, die führende Köpfe der Industrie, nationale und regionale Politikerinnen und Politiker sowie die Zivilgesellschaft zusammenbringen soll, um eine breite „Investitionspalette für eine gesteigerte Produktion aufzubauen“ und die Nachfrage nach sauberem Wasserstoff in der EU zu fördern.
Diese Allianz sei „von strategischer Bedeutung für die ehrgeizigen Ziele unseres Green Deals und die Widerstandsfähigkeit unserer Industrie,“ betonte Thierry Breton, der für die Allianz verantwortlich zeichnenden EU-Binnenmarktkommissar.
Die Stahlerzeugung und die chemische Industrie dürften indes die wichtigsten Industriezweige sein, die von einer breiten Verfügbarkeit von sauberem Wasserstoff profitieren werden.
Für diese Sektoren beabsichtigt die Kommission, sogenannte Kohlenstoff-Differenzverträge („CCfD“) zu fördern. Mit diesen sollen Wasserstoff-Investoren angelockt werden, indem eine Ausgleichszahlung der Differenz zwischen dem „Strike Price“ und dem tatsächlichen CO2-Preis auf dem EU-Emissionshandelsmarkt in Aussicht gestellt wird.
Der Übergangszeitraum und die Angst vor dem Lock-in
Der schwierige Teil wird allerdings darin bestehen, die Übergangszeit bis 2030 zu bewältigen und eine weitere Beibehaltung von CO2-emittierenden Wasserstoffquellen darüber hinaus (einen sogenannten „Lock-in-Effekt“) zu vermeiden.
„Natürlich wird es auch Finanzierung für CCS- und Pyrolyse-Technologie geben,“ räumte ein hochrangiger Kommissionsvertreter am Mittwoch in einem Vorab-Gespräche mit der Presse ein. „Aber wir sehen dies nicht als Lock-in-Effekt, weil die Entwicklung von regenerativem Wasserstoff ein Prozess ist, der nun einmal eine Weile dauern wird“. Die Investitionen hätten einen Zyklus von etwa 25 Jahren, und dürften sich somit amortisiert haben, bis grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig wird, fügte der Beamte hinzu.
In dieser Übergangszeit setze man aber nicht auf Wasserstoff auf klassischer fossiler Basis, betonte er und schloss damit eine EU-Unterstützung für sogenannten „grauen“ Wasserstoff, der aus Methan-Dampfreformierung ohne CCS hergestellt wird, praktisch aus. Daher spreche man von „kohlenstoffarmem Wasserstoff, den wir in der Übergangszeit verwenden wollen“.
Somit werde die CO2-Abscheidung und -speicherung in der Übergangszeit unerlässlich sein, bestätigte eine weitere Quelle aus der Kommission. „Wir brauchen die Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung, um die bestehende Produktion so schnell wie möglich so weit wie möglich zu dekarbonisieren und gleichzeitig die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff zu steigern,“ erklärte sie.
Derweil hat Russland bereits Interesse an der Weiterentwicklung der Pyrolysetechnologie gezeigt. Moskau sieht darin eine Möglichkeit, seine Erdgasexporte nach Europa grüner zu gestalten.
Der „richtige Plan“ oder ein „Geschenk für die Fossil-Konzerne“?
Die Organisation Transport and Environment (T&E) lobte die Vorschläge der Kommission. Die Wasserstoffstrategie sei „der richtige Plan zur richtigen Zeit“.
„Wasserstoff ist das fehlende Glied in Europas Strategie zur Dekarbonisierung von Flugzeugen und Schiffen, wo eine Elektrifizierung nicht in Frage kommt,“ sagte William Todts, Exekutivdirektor bei T&E. „Jetzt muss die EU Gesetze schaffen, die Fluggesellschaften und Schifffahrtsunternehmen dazu zwingen, emissionsfreie Kraftstoffe wie Wasserstoff, Ammoniak und synthetisches Kerosin zu verwenden,“ fügte er hinzu.
Gänzlich anders sieht es das Europäische Umweltbüro (EEB), das die Wasserstoffstrategie der Kommission als reines „Geschenk an die Fossil-Konzerne“ bezeichnete.
Barbara Mariani, Referentin für Klima- und Energiepolitik beim EEB, kommentierte: „Investitionen in Wasserstoff auf fossiler Basis, dessen Produktion bereits in industriellem Maßstab verfügbar ist, bergen die Gefahr, dass wirklich sauberer Wasserstoff, der frei von fossilen Brennstoffen ist, für den EU-Markt nicht wettbewerbsfähig ist. So entstehen verlorene/gestrandete Vermögenswerte.“
Sie schloss: „Das ist ein kostspieliges Wagnis, das sich Europa nicht leisten kann und leicht vermeiden könnte.“
[Bearbeitet von Tim Steins]