Die beiden Parlamentarier:innen, die derzeit den Standpunkt des EU-Parlaments zum neuen sozialen Klimafonds der EU ausarbeiten, haben eine Definition für Energie- und Verkehrsarmut erarbeitet – ein Schritt, der über den ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission hinausgeht.
Der Klima-Sozialfonds wurde letztes Jahr von der EU-Exekutive als Teil eines Gesetzespakets vorgeschlagen, mit dem die Treibhausgasemissionen der EU bis 2030 um 55% im Vergleich zu 1990 reduziert werden sollen.
Der Fonds soll einkommensschwache Haushalte vor einem erwarteten Anstieg der Kraftstoffpreise schützen, den die Einführung eines neuen EU-Kohlenstoffmarktes für Gebäude und den Straßenverkehr verursacht wird.
Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen in Europa von Energiearmut betroffen sind. Nach Angaben von Eurostat lebten im vergangenen Jahr rund 31 Millionen Europäer:innen in Energiearmut. Das Forschungsgremium der EU-Exekutive schätzt die Zahl auf 50 Millionen Menschen im Jahr 2019.
Das Problem dabei ist, dass es derzeit keine EU-weite Definition von Energiearmut gibt.
In ihren Änderungsanträgen zum Vorschlag der Europäischen Kommission wollen die konservativen Abgeordneten Esther de Lange und David Casa dies ändern und legen Definitionen für Energie- und Verkehrsarmut fest.
„Wir präsentieren – zum ersten Mal! – eine europäische Definition von Energie- und Verkehrsarmut“, so de Lange auf Twitter.
„Definitionen allein nützen wenig, deshalb müssen die Mitgliedstaaten auch die Überwachung dieser Formen von Armut verpflichtend machen, um ‚beste Praktiken‘ untereinander austauschen zu können“, fügte die niederländische Abgeordnete hinzu.
Definitionen von Energie- und Verkehrsarmut
Die beiden Abgeordneten haben Energiearmut als „Haushalte in den untersten Zenteln der Einkommen, deren Energiekosten das Doppelte des Medianverhältnisses zwischen Energiekosten und verfügbarem Einkommen nach Abzug der Wohnkosten übersteigen“ definiert.
Dazu wird Verkehrsarmut als „Haushalte mit einem hohen Anteil der Mobilitätsausgaben am verfügbaren Einkommen oder einer begrenzten Verfügbarkeit von erschwinglichen öffentlichen oder alternativen Verkehrsmitteln, die zur Befriedigung grundlegender sozioökonomischer Bedürfnisse erforderlich sind“ definiert, insbesondere in abgelegenen und ländlichen Gebieten.
Dies ist „auf einen oder eine Kombination von Faktoren zurückzuführen: hohe Kraftstoffkosten, die schrittweise Abschaffung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, hohe Kosten für den Ersatz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor durch emissionsfreie Fahrzeuge, hohe Kosten oder fehlende Verfügbarkeit angemessener, erschwinglicher öffentlicher oder alternativer Verkehrsmittel“.
„Es ist ziemlich ehrgeizig, es gibt derzeit keine Definition von Verkehrsarmut und einige Mitgliedsstaaten haben immer noch keine Definition von Energiearmut“, sagte Ondřej Knotek, ein tschechischer Abgeordneter, der für die Ausarbeitung der Position des Parlaments zum sozialen Klimafonds verantwortlich ist.
„Ich erwarte daher viele Fragen und Debatten mit anderen Fraktionen zu diesen beiden neuen Vorschlägen“, sagte der tschechische Europaabgeordnete von der liberalen Fraktion Renew im EU-Parlament.
Er warnte jedoch davor, dass die Absicht, die Auswirkungen der steigenden Kraftstoffpreise auf gefährdete Haushalte zu reduzieren, die EU-Länder zu sehr belasten könnte.
„Der Vorschlag der Kommission verlangt bereits viele Informationen von den Mitgliedstaaten. Ich bin besorgt, dass die Aufnahme neuer Zielvorgaben und Ziele zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Mitgliedstaaten bedeuten und den Zugang zum Fonds für die Bezugsberechtigten verzögern könnte“, sagte Knotek gegenüber EURACTIV.
Mehr Fokus auf ländliche Armut
Pläne, den EU-Kohlenstoffmarkt auf den Straßenverkehr und Gebäude auszuweiten, stoßen gerade in Frankreich auf Skepsis. Dort kam es 2018 zu heftigen Protesten, als die Regierung eine Kohlenstoffsteuer auf Erdölprodukte einführte, die zu einem Anstieg der Kraftstoffpreise um 0,10 Euro führte.
Der von der EU vorgeschlagene Kohlenstoffmarkt für Verkehrs- und Heizungsbrennstoffe wäre „politisch selbstmörderisch“ und könnte soziale Unruhen ähnlich der Bewegung der „Gelbwesten“ in Frankreich auslösen, warnte der französische Europaabgeordnete Pascal Canfin letztes Jahr.
In Frankreich befanden sich die „Gelbwesten“-Demonstrant:innen meist in ländlichen Gebieten mit schlechter Verkehrsanbindung. Dort ist der Besitz eines Autos kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Die vorgeschlagenen Änderungen des sozialen Klimafonds berücksichtigen diese Realität, indem sie einen Schwerpunkt auf den ländlichen Raum legen.
Steigende Kraftstoffpreise könnten bestimmte schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen „unverhältnismäßig stark“ treffen, „unter anderem in ländlichen, insularen, bergigen, abgelegenen und schwer zugänglichen Gebieten oder in weniger entwickelten Regionen oder Gebieten, einschließlich weniger entwickelter Stadtrandgebiete“, heißt es in dem Berichtsentwurf.
„Es ist wichtig, dass wir wirklich beginnen, die Vielfalt der Energiearmut in einen Kontext zu stellen. Ich denke, insbesondere in Nordwesteuropa assoziieren wir Energiearmut oft mit städtischen, schlechten, ineffizienten oder feuchten Wohnungen“, sagte Martha Myers, Aktivistin der Friends of the Earth.
„Es ist jedoch klar, dass die energiearmen Haushalte in Mittel- und Osteuropa wie auch in anderen Gebieten oft ländliche Hausbesitzer mit geringem Einkommen sind. Sie haben also ganz andere Bedürfnisse und Prioritäten“, fügte sie hinzu.
Die beiden EU-Abgeordneten haben auch vorgeschlagen, dass gefährdete kleine und mittlere Unternehmen (KMU) für den Fonds infrage kommen sollten. Dazu würden Unternehmen gehören, die von dem neuen Kohlenstoffpreis erheblich betroffen sind und „nicht über die Mittel verfügen, das von ihnen genutzte Gebäude zu renovieren oder die Straßenfahrzeuge, auf die sie im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit angewiesen sind, zu modernisieren“.
Für EU-Länder, die auf das Geld zugreifen wollen, haben die Parlamentarier:innen Sicherheitsvorkehrungen vorgeschlagen. Nur die Mitgliedstaaten, die den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit entsprechen, sollen Mittel aus dem Fonds erhalten können, was ein Problem für Polen und Ungarn werden könnte.
„Es wird eine schwarz-weiße Verbindung zur Rechtsstaatlichkeit geben. Geld sollte nicht an Regierungen gehen, die sich nicht an selbstverständliche Normen und Werte wie die Medienfreiheit und eine unabhängige Justiz halten“, schrieb de Lange auf Twitter.
Immer noch nicht genug Geld
Petros Kokkalis, ein linker Abgeordneter, der dem Verhandlungsteam des Parlaments für den sozialen Klimafonds angehören wird, begrüßte die Aufnahme von rechtsstaatlichen Garantien und die Bevorzugung grüner Investitionen für gefährdete Haushalte.
Gegenüber EURACTIV erklärte er jedoch, dass der EU-Fonds „auch die Finanzierung fossiler Brennstoffe ausschließen und öffentliche Verkehrsmittel fördern sollte“.
Unterdessen besteht weiterhin die Sorge, dass der soziale Klimafonds nicht genug Geld für die Anzahl der zu erfüllenden Aufgaben enthält.
„Es sieht so aus, als ob es weiterhin nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein für diejenigen sein wird, die von Energiearmut betroffen sind“, sagte Myers von Friends of the Earth. „Wir brauchen eine Verpflichtung zu wesentlich umfangreicheren und nachhaltigeren Finanzierungsmöglichkeiten“, die über den vorgeschlagenen Kohlenstoffpreis für den Straßenverkehr und Gebäude hinausgehen, sagte sie.
Es gibt Ideen von anderen Fraktionen im Parlament, Mittel aus weiteren Quellen zu finden. Kokkalis erklärte gegenüber EURACTIV, dass der soziale Klimafonds durch Einnahmen aus dem ursprünglichen Emissionshandelssystem „weiter aufgestockt“ werden sollte.
Der nächste Schritt wird im Februar erfolgen, wenn die beiden Abgeordneten ihre Berichtsentwürfe den Parlamentsausschüssen für Umwelt und Arbeit vorlegen werden.
> Lesen Sie den Änderungsentwurf des sozialen Klimafonds und die Erklärung.
[Bearbeitet von Frédéric Simon]