Während in Europa der Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie andauert, versucht die Europäische Kommission, ihren Kurs in der Klimapolitik beizubehalten. Sie hat am Dienstag eine öffentliche Konsultation dazu gestartet, wie stark das Klimaziel des Blocks für 2030 angehoben werden soll.
„Während der gesamte unmittelbare politische Fokus der Kommission auf der Bekämpfung des Coronavirus liegt, setzen wir auch unsere Vorbereitungsarbeit für langfristige politische Prioritäten, einschließlich des europäischen Green Deal, fort“, so die Kommission in einer Erklärung.
Die nun gestartete öffentliche Online-Konsultation soll Beiträge zum aktualisierten Klimaziel der EU für 2030 einholen. Diese fließen in die Überlegungen ein, ob der Block seine Treibhausgasemissionen um 50 oder auch 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduzieren soll. Das aktuelle Ziel für 2030 liegt bei lediglich 40 Prozent.
„Die Revision des derzeitigen Ziels für 2030 nach oben wird die EU auf einen graduelleren Weg zur Klimaneutralität bis 2050 bringen,“ heißt es in der Erklärung der Kommission weiter.
Sobald das neue Ziel für 2030 vereinbart ist, wird dieses in die kürzlich vorgelegte EU-Klimagesetzgebung des Blocks aufgenommen – und damit eine Reihe von Aktualisierungen aller damit verbundenen EU-Gesetze auslösen, „einschließlich der Rechtsvorschriften zur Energieeffizienz, zu erneuerbaren Energien, zur Aufteilung der Anstrengungen und zum EU-Emissionshandelssystem,“ kündigte die EU-Exekutive an.
Der Green Deal und das Coronavirus
Die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen hat den Klimawandel in den Mittelpunkt ihres Green Deal gestellt: Ziel ist es, die Umwelt besser zu schützen, die globale Erwärmung zu verlangsamen und die Emissionen des Blocks bis 2050 auf Netto-Null zu bringen. Die Coronavirus-Pandemie hat diese Pläne jedoch in den Hintergrund gedrängt: Nahezu die gesamte politische Aufmerksamkeit konzentriert sich aktuell auf die Bekämpfung des Virus und die zu erwartende Wirtschaftsrezession.
In dieser Hinsicht weist die Kommission allerdings darauf hin, dass der Green Deal weiterhin als „Europas Wachstumsstrategie“ angesehen wird. Mehr Klima-Ehrgeiz werde auch dazu beitragen, dass die europäische Industrie zum „First Mover“ bei sauberen Technologien wird und somit Wettbewerbsvorteile erzielen dürfte.
Die Staats- und Regierungschefs der EU unterstützten diese Vision letzte Woche, als sie die Kommission aufriefen, ein Konjunkturprogramm „unter Einbeziehung des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft und des digitalen Wandels“ auszuarbeiten.
Kommission setzt wohl auf 55 Prozent Einsparung
Die Online-Konsultation ist bis zum 23. Juni geöffnet und lädt alle Bürgerinnen und Bürger bzw. Interessensgruppen dazu ein, sich zu beteiligen.
Umwelt- und Klimaschützer zeigten sich jedoch bereits enttäuscht, dass der Fragebogen der Kommission keine Option enthält, auf größere Emissionsreduzierungen als das vorgeschlagene Ziel von 50 oder 55 Prozent für 2030 zu drängen.
Wendel Trio, Chef der Umweltgruppe CAN Europe, erklärte dazu, ein Festhalten am Pariser Ziel einer globalen Erwärmung von 1,5°C bedeute für die EU „ein Ziel von mindestens 65 Prozent Reduktion“ bis 2030. Alex Mason vom WWF kritisierte ebenfalls, dass die Kommission den Befragten im Rahmen ihrer Konsultation nur begrenzte Möglichkeiten eingeräumt habe.
Auch laut dem jüngsten Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen über Defizite bei der Emissionsreduzierung müsste die EU mindestens 65 Prozent der Emissionen reduzieren, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen.
EU-Klimakommissar Frans Timmermans scheint sich derweil auf ein Ziel von 55 Prozent weniger Emissionen festgelegt zu haben. Schon während seiner Anhörung im Europäischen Parlament im vergangenen Oktober hatte er erklärt, er wäre „äußerst überrascht“, wenn die Kommission nicht die 55-Prozent-Option empfiehlt. Eine kürzlich durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse des neuen Klimaplans präferiert ebenfalls 55 statt 50 Prozent.
Kritik am Zeitplan
Timmermans hatte nach der Verabschiedung des Klimagesetzes am 4. März Kritik einstecken müssen, weil er betonte, dass die Arbeit an einer vollständigen Kosten-Nutzen-Studie für das Klimaziel 2030 bis zum September dauern würde. „Die Klimapolitik muss auf verantwortungsvolle Weise gestaltet werden,“ argumentierte der niederländische Kommissar damals. Die nun gestartete Konsultation bekräftigt diesen Zeitplan der Kommission: Bis zum 23. Juni können Beiträge eingereicht werden.
Aus Sicht der Kritiker kommt ein endgültiger Vorschlag der Kommission im September für die EU-Parlamentsabgeordneten und die nationalen Regierungen aber zu spät, um sich vor einem entscheidenden bilateralen Gipfel mit China im selben Monat und der COP26 zum Jahresende in Glasgow auf ein neues Klimaziel für 2030 zu einigen.
Trio von CAN Europe erklärte dazu: „Wir bedauern, dass die Kommission mit dem Enddatum der Konsultation andeutet, dass sie den Versuch aufgegeben hat, rechtzeitig vor dem Europäischen Rat im Juni einen neuen Vorschlag für ein neues Ziel 2030 vorzulegen.“
Der EU-Gipfel im Juni war zuvor als ein möglicherweise entscheidender Meilenstein in der EU-Klimapolitik vorgesehen gewesen – bevor das Coronavirus den Gesetzgebungskalender durcheinanderwirbelte – da auch Polen zugesagt hatte, sein Veto gegen die Klimaneutralität vom Dezember 2019 zu überdenken.
Tatsächlich könnten jedoch die Mitgliedsstaaten selbst die Arbeit der Kommission noch weiter verzögern, wenn sie nicht bald ihre nationalen Energie- und Klimapläne (NECPs) für 2030 vorlegen, die Timmermans und seine Dienststellen benötigen, um die laufende Folgenabschätzung voranzutreiben.
Sechs Länder – Deutschland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Rumänien und Spanien – haben ihre endgültigen Strategien immer noch nicht eingereicht. Damit sind sie inzwischen drei Monate überfällig, nachdem eine vorherige Frist zu Beginn des Jahres abgelaufen war.
Ein EU-Beamter merkte gegenüber EURACTIV.com dementsprechend an, die Aufforderung an die Kommission, ihre Bewertung schneller abzuschließen, sei von Seiten einiger Länder „ein wenig heuchlerisch“.
Die Staaten können im Europäischen Rat virtuell tagen und haben auch bereits Rechtsvorschriften mit schriftlichen Verfahren verabschiedet. Laut einem Zeitplanentwurf für April werden die zuständigen EnergieministerInnen aber wohl erst gegen Ende des Monats ein informelles Treffen abhalten, um das Thema NECPs erneut zu diskutieren.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]