Die EU-Umweltminister brauchten am gestrigen Dienstag fast bis Mitternacht, um sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zur Senkung der CO2-Emissionen von Pkw und Transportern zu einigen. Mehrere Mitgliedsstaaten zeigten sich jedoch von der endgültigen Einigung „enttäuscht“.
In dem Bestreben, den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission zur Senkung der Emissionen um 30 Prozent zu verschärfen, hatte die österreichische EU-Ratspräsidentschaft ein Angebot von 35 Prozent vorgelegt. Letztendlich einigte man sich jedoch auf separate 35- bzw. 30-Prozent-Ziele für Pkw und Transporter. Zwanzig Mitgliedsstaaten stimmten für den endgültigen Text, vier dagegen und weitere vier enthielten sich der Stimme.
Die abschließende Einigung schuf jedoch eine „Koalition der Enttäuschten“: Eine Gruppe von Mitgliedsstaaten, die auf höhere Ziele drängen, brachte ihre Empörung über die Entscheidung direkt nach der Abstimmung zum Ausdruck.
So teilten Dänemark, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien und Schweden der österreichischen Präsidentschaft unmissverständlich mit, dass der sogenannte „allgemeine Ansatz“ ihrer Ansicht nach im Laufe der Gespräche des Tages immer schwächer und weniger ehrgeizig geworden sei. Diese Länder kündigten an, sie würden eine Erklärung herausgeben, in der sie ihre „Enttäuschung“ über das Abkommen äußern.
Bremser Deutschland und Frankreich
Bereits zu Beginn der Verhandlungen war klar, dass die EU-Mitglieder in zwei Lager gespalten sind: Einerseits die Staaten, die den ursprünglichen Vorschlag der Kommission für eine CO2-Minderung um 30 Prozent befürworten (darunter Deutschland), und andererseits die Länder, die ehrgeizigere Ziele fordern.
Österreich hatte gehofft, im Ministerrat mehr als nur eine qualifizierte Mehrheit zu erreichen und auf der Sitzung einen „guten Konsens“ zu erzielen. Dadurch wäre die Verhandlungsposition des Rates in den Trilogen mit der Kommission und dem EU-Parlament, die sofort am heutigen Mittwoch beginnen werden, gestärkt worden.
Spanien schien sich in der ersten Gesprächsrunde als „Dealmaker“ zu entpuppen: Die neue Umweltministerin Teresa Ribera deutete an, Madrid sei bereit, ein erhöhtes Ziel von 35 bis 40 Prozent in Betracht zu ziehen.
Die Autogiganten Frankreich und Deutschland kämpften in der Anfangsphase des Treffens zunächst auf unterschiedlichen Seiten. Die Bundesrepublik konnte schließlich ihren einflussreichen Nachbarn jedoch davon überzeugen, die Haltung zu ändern und den neu aufgelegten Kompromiss der Österreicher zu unterstützen.
Die mittel- und osteuropäischen Länder hingegen setzten sich während der gesamten Sitzung vor allem für Ausnahmeregelungen für Kleinwagenhersteller und Anpassungen bei den Absatzzielen ein. So erhalten Länder, in denen Fahrzeuge mit Null- oder niedrigen Emissionen weniger verbreitet sind, einen zusätzlichen Bonus für ihr Verkaufsziel solcher Autos, das der Rat für 2030 auf 35 Prozent der Neuwagen anhob.
Darüber hinaus bedeutet die Einbeziehung sogenannter „Nischenausnahmen“ für kleinere Hersteller in die Einigung, dass alle Unternehmen, die 300.000 Autos oder weniger herstellen, von den Reduzierungsregeln ausgenommen sind. Dazu gehört insbesondere die britisch-multinationale Firma Jaguar Land Rover.
Der Klimabericht des IPCC
Die österreichische Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger erklärte in einer Pressekonferenz am späten Abend, es sei ihrem Präsidentschaftsteam gelungen, große Mitgliedsstaaten wie Deutschland an Bord zu holen. Die endgültige Entscheidung habe dem Rat ein „starkes, solides Mandat“ für die Trilog-Verhandlungen gegeben.
Bereits in den Eröffnungserklärungen und über den gesamten Zeitraum des ganztägigen Treffens hinweg schwebte der richtungsweisende Bericht des Weltklimarats (IPCC) über den Verhandlungen. Insbesondere die Länder, die sich für höhere Ziele einsetzen, verwiesen des Öfteren auf den Bericht und forderten ihre Kollegen auf, seinen dringenden Warnungen Achtung zu schenken.
In einer Erklärung, die von sechs Mitgliedstaaten nach der endgültigen Einigung veröffentlicht wurde, heißt es jedoch abschließend: „Es ist besonders enttäuschend, dass der Rat mit Zurückhaltung [auf den IPCC-Bericht] reagiert hat. So wird den Maßnahmen, die erforderlich sind, um die notwendigen Emissionskürzungen vorzunehmen und um unseren Verpflichtungen unter dem Pariser Klimaabkommen nachzukommen, kein Vorrang eingeräumt.“
Vertreter drei dieser Länder – Dänemark, Irland und Luxemburg – brachten ihren Unmut teils deutlicher zum Ausdruck. So kritisierte der dänische Vertreter Morten Baek, der Kompromiss sei wie „eine dünne grüne Schicht Lack auf einem alten, verschmutzenden Auto: Es ist innen immer noch schwarz.“
Der ehemalige Europaabgeordnete und derzeit für das Thema zuständige Staatssekretär Luxemburgs, Claude Turmes, zeigte sich von den Ereignissen des Tages „verblüfft“.
Irland betonte, ein Ziel von über 35 Prozent sei erforderlich, damit die Grüne Insel ihre Verpflichtungen aus der Lastenteilungsverordnung erfüllen könne.
Trilog startet schon heute
Vertreter von Rat, Kommission und Parlament werden am heutigen Mittwoch hinter verschlossenen Türen die Verhandlungen über das endgültige Regelwerk starten. Das Dossier soll idealerweise vor den Europawahlen 2019 geschlossen werden.
Doch die Verhandlungen dürften zäh werden: Das EU-Parlament hatte sich bereits auf seiner Plenarsitzung in Straßburg im September auf das Ziel von 40 Prozent CO2-Kürzungen geeinigt.
Tatsächlich bedeutete dieser 40-Prozent-Deal für viele der progressiveren EU-Abgeordneten schon eine Einschränkung ihrer Ambitionen. Einige hatten 50 Prozent oder noch höhere Kürzungen gefordert.
Auch die EU-Kommission könnte für den Rat zum erbitterten Widersacher werden. So hat EURACTIV erfahren, dass EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete während der Klausurtagung des Rats heftig für mehr Unterstützung für den ursprünglichen Kommissionsvorschlag geworben haben soll.
Zum Abschluss der Gespräche sagte Cañete gegenüber Reportern lediglich, die Kommission sei „zufrieden“, dass ein gemeinsamer Standpunkt vor Ablauf der selbst gesetzten Frist erzielt werden konnte.
Es ist nicht das erste Mal seit der Veröffentlichung der Vorschläge vor fast einem Jahr, dass sich die EU-Exekutive in die Entscheidungsfindung von Parlament und Rat einzumischen versucht. So war lediglich eine Woche vor der Parlamentsabstimmung im September ein sogenanntes Non-Paper veröffentlicht worden.
In diesem zusätzlichen Dokument skizziert die Kommission einige weitere Szenarien, die im 169-seitigen Originalvorschlag nicht enthalten waren. Die für die Parlamentsvorschläge zur Überarbeitung der Fahrzeugemissionsregelungen zuständige Parlamentsabgeordnete zeigte sich von dem Papier allerdings nicht beeindruckt: Die sozialdemokratische MEP Miriam Dalli kritisierte stattdessen, einige der in die neue Bewertung einbezogenen Zahlen seien „irreführend“ und eindeutig ein Versuch, „jegliche Ambitionen zunichte zu machen“.
Die Kommission hofft nun, in den Trilog-Gesprächen in den kommenden zwei Monaten gute Fortschritte zu erzielen und gleichzeitig an ihrer langfristigen Klimastrategie für 2050 zu arbeiten, die am 28. November vorgestellt werden soll.