Die Bestrebungen der EU, ihre Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen infolge des Ukraine-Krieges zu verringern, haben die Pläne der EU-Mitglieder zum Ausstieg aus der Kohleverstromung durchkreuzt.
Einige EU-Regionen, die den Ausstieg aus der Kohleverstromung planten, müssen nun als Reaktion auf den Anstieg der Gaspreise und die russischen Gaskürzungen einen Anstieg der Produktion und der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen hinnehmen.
Die EU hat für den Haushaltszeitraum 2021-2027 einen mit 17,5 Milliarden Euro ausgestatteten Fonds für den gerechten Übergang (Just Transition Fund – JTF) eingerichtet, um die von der Kohle abhängigen Regionen bei der Umstellung auf saubere Energie und alternative Arbeitsplätze zu unterstützen.
Um die Mittel in Anspruch nehmen zu können, müssen sich die Kohleregionen zu einem Fahrplan verpflichten, der in einem lokalen Aktionsplan für einen gerechten Übergang (Territorial Just Transition Plan – TJTP) die Emissionsreduzierung bis 2030 festlegt.
Bislang hat die Kommission nur mit Griechenland und Deutschland eine endgültige Einigung über die Pläne ihrer Regionen erzielt, aber nach Angaben der EU-Exekutive haben „fast alle“ anderen Mitgliedstaaten zumindest informelle Entwürfe mit ihnen geteilt.
Die Bestrebungen der EU, ihre Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen zu verringern, haben jedoch dazu geführt, dass viele Länder nach alternativen kurzfristigen Lösungen suchen.
„Als die JTF eingerichtet wurde, hatte man keine Ahnung von der russischen Invasion“, sagte Lilo Bärbel Rösch, Mitautorin eines Berichts über die TJPTs, gegenüber EURACTIV.
„Es war eine außergewöhnliche geopolitische Wendung“, fügte Rösch hinzu.
Als Reaktion auf die Krise haben sich einige Länder dazu entschlossen, zur Deckung ihres Energiebedarfs zur Kohle zurückzukehren.
So kündigten die Niederlande im vergangenen Monat an, ihre Kohlekraftwerke mit einer höheren Kapazität zu betreiben, um den Verbrauch von fossilem Gas zu reduzieren. Zuvor durften diese Kraftwerke nur mit einer Kapazität von 35 Prozent betrieben werden.
Das grundlegende Dokument für EU-Strukturinvestitionen in den Niederlanden für die kommenden sieben Jahre, das die Europäische Kommission einige Tage nach der Ankündigung veröffentlichte, versprach niederländischen Regionen mit „großen emissionsintensiven Industrieclustern“ 623 Millionen Euro aus dem JTF, um den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu unterstützen.
Polen, das mit 3,5 Milliarden Euro der größte Empfänger von JTF-Mitteln ist, ist ebenfalls stark von der Kohle abhängig und hat diese Tendenz seit Beginn der Energiekrise noch verstärkt.
Auf Polen entfällt fast ein Fünftel der gesamten EU-Kohle, und in den ersten Monaten des Jahres 2022 ist die Kohleförderung im Vergleich zum gleichen Zeitraum der Vorjahre gestiegen.
Allein im März wurden 5,483 Millionen Tonnen Kohle gefördert, was den höchsten Wert seit November 2018 darstellt.
Im benachbarten Tschechien haben Kohleunternehmen, die den Abbau einschränken wollten, ihn schließlich ausgeweitet.
Das tschechische Kohleunternehmen Sokolovská uhelná hat Dutzende Mitarbeiter:innen wieder eingestellt, von denen die meisten vor zwei Jahren entlassen worden waren.
Das Unternehmen begründete die Ausweitung mit der Notwendigkeit, genügend Kohle für die Wintersaison sicherzustellen, berichtete das Fernsehen Czecz.
Auch in Deutschland hat der Kohlekraftwerksbetreiber RWE in Nordrhein-Westfalen, einem Bundesland, in dem die Kommission bereits TJTPs genehmigt hat, die Vorruhestandsregelungen für seine Mitarbeiter gestoppt und sucht nach zusätzlichem Personal.
Insgesamt dürften Hunderte von Arbeitnehmern eingestellt werden, um die Bereitschaft der Kohlekraftwerke zu gewährleisten.
Der Europäischen Kommission in Brüssel ist bekannt, dass einige Kohle produzierende Regionen und Mitgliedsstaaten planen, die Verwendung fossiler Brennstoffe zu erhöhen.
In einer Antwort an EURACTIV erklärte die EU-Exekutive, sie analysiere derzeit „sorgfältig die jüngsten Ankündigungen sowie das Ausmaß und die Dauer der geplanten Kohlenutzung.“
Während der neue Plan der EU zur Abkehr von russischen fossilen Brennstoffen vorsieht, dass einige bestehende Kohlekapazitäten „kurzfristig stärker als ursprünglich erwartet“ genutzt werden könnten, bleiben die EU-Länder gesetzlich verpflichtet, die Nettoemissionen bis zum Ende dieses Jahrzehnts um mindestens 55 Prozent zu reduzieren.
Eine vorübergehende Ausweitung der Kohlenutzung mit ihren unvermeidlichen Auswirkungen auf die Emissionen muss jedoch durch mehr Energieeffizienz und Energieeinsparungen sowie eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energien bis 2030 ausgeglichen werden“, so die Kommission.
Auf die Frage, ob sie bereit sei, die Finanzierung von JTF-Regionen auszusetzen, die ihre Verpflichtungen nicht einhalten, erklärte die EU-Exekutive gegenüber EURACTIV, dass jeder „schwerwiegende Mangel“ in Bezug auf zuvor vereinbarte Ziele oder EU-Recht zu einer Aussetzung oder Rückforderung führen könne, „was insbesondere im Falle von unregelmäßigen Ausgaben gilt.“
Die Exekutive präzisierte jedoch nicht, was ein „schwerwiegender Mangel“ ist.
„Wegen des Krieges herrscht ein gewisses Maß an Nachsicht“, sagte Rösch.
Der tschechische Minister für regionale Entwicklung Ivan Bartoš, dessen Land am 1. Juli die rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, räumte ein, dass einige Regionen „wahrscheinlich“ die Mittel nicht so verwenden, „wie sie es sollten, was zu Chaos führt.“
Mit dem Krieg in der Ukraine sollte sich jedoch „die Struktur der Projekte im Rahmen des Fonds für gerechten Übergang ändern“, da sich „der Handlungsspielraum verändert hat“, erklärte er gegenüber EURACTIV.
Es sei wichtig zu betonen, dass die kurzfristige Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken nur als letzter Ausweg erfolgen sollte, wenn klar ist, dass es keine alternativen Möglichkeiten gibt, die benötigte Energie zu produzieren, so Jens Hunsbeth Schreuder, politischer Referent für den gerechten Übergang bei der Nichtregierungsorganisation CEE Bankwatch.
„Alternativen sind oft billiger und effektiver als die Wiederinbetriebnahme von Kohleinfrastrukturen, daher muss die Europäische Kommission in dieser Frage wachsam sein“, sagte er.
[Bearbeitet von Kira Taylor, Vlad Makszimov und Alice Taylor]