Mehr Erneuerbare, mehr Energieeffizienz: In Paris wollen die UN-Mitglieder über ehrgeizige Klimaziele verhandeln. Doch in Deutschland herrscht Uneinigkeit: Während Politiker und Wissenschaftler auch positive wirtschaftliche Impulse durch strengere Richtlinien erwarten, fürchtet die Industrie ein Ungleichgewicht zwischen den nationalen Zielen.
Paris soll eine klimapolitische Wende einläuten: Am 30. November treffen sich dort die UN-Mitglieder, um ein anspruchsvolles Programm für den globalen Klimaschutz zu verhandeln. Ob und wie das Ziel umsetzbar ist, bis zur Mitte des Jahrhunderts aus fossilen Energien auszusteigen und ein neues Energiezeitalter einzuleiten, ist jedoch noch umstritten.
„Wir müssen die weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 beenden, wenn wir unaufhaltsamen Klimawandel verhindern wollen“, sagt die Fraktionsvorsitzende der EFA-Fraktion im EU-Parlament, Rebecca Harms. Dies könne die EU nur erreichen, wenn sie sich auf die Seite der Länder schlage, die sich für ein ehrgeiziges Langfristziel einsetzen. „Die EU darf sich nicht hinter dem vollkommen unzureichenden G7-Ziel verstecken“, so Harms.
Die G7 hatten sich auf eine Minderung der weltweiten Emissionen um 40 bis 70 Prozent bis 2050 geeinigt. Viele Experten betrachten das jedoch als völlig unzureichend. Auch Harms ist überzeugt: Will die EU das 2-Grad Ziel zeitnahe erreichen, müssen die Mitgliedsstaaten und die Kommission ihre Ziele im Rahmen einer Einigung in Paris erhöhen.
Dass diese Ziele zumindest in Deutschland erreichbar sind – und das sogar mit langfristigen ökonomischen Vorteilen, zeigt eine aktuelle Studie, die das Berliner Öko-Institut im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellt hat.
Anspruchsvolles Klimaschutzszenario – alle Sektoren inbegriffen
Um die notwendigen Treibhausgasminderungen tatsächlich umzusetzen, müssen die Industriestaaten ihre Emissionen jedoch bis 2050 fast vollständig zurückfahren, so die Autoren. „In jedem Fall müssen bis 2050 die Emissionen aus der Energieversorgung in Deutschland fast vollständig vermieden werden – sowohl für 80 Prozent als auch für 95 Prozent Gesamtminderung“, erläutert Julia Repenning, Energie- und Klimaschutzexpertin am Öko-Institut.
Dazu müssten alle Wirtschaftssektoren ehrgeizige Emissionsreduktionen erbringen, so die Berechnungen der Forscher. Die Senkung der Treibgasausstöße ist jedoch, so das Ergebnis, in sehr unterschiedlichem Ausmaß möglich. „Bei einem Minderungsziel von mehr als 90 Prozent kommt aus den Sektoren Verkehr und Gebäude ein erheblicher zusätzlicher Bedarf an erneuerbarer Stromerzeugung auf uns zu. Gleichzeitig sehen wir, dass beispielsweise in der Landwirtschaft das Minderungspotenzial begrenzt ist“, sagt Repenning. Lachgas- und Methan-Emissionen etwa könnten weniger stark reduziert werden, weil in der landwirtschaftlichen Produktion unvermeidbare biologische Prozesse stattfinden.
Energieeffizienz weiter steigern
Unbedingt notwendig sind nach Ansicht der Wissenschaftler außerdem zwei Maßnahmen: Der Primärenergieverbrauch müsse auf die Hälfte des heutigen Wertes gesenkt und die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut werden. Konkret heiße das: In einem ambitionierten Klimaschutzszenario werden im Jahr 2050 etwa fünfmal so viele erneuerbare Kapazitäten wie heute benötigt. Wind-, gefolgt von Solarenergie, käme dabei die wichtigste Rolle zu. Hinzu kämen der d Umstieg auf Elektrofahrzeuge im Verkehr, eine schnellere energetische Sanierung von Gebäuden und energieeffizientere Haushaltsgeräte.
Gegenwind kommt von der Industrie, die diesbezüglich ungleiche Wettbewerbsbedingungen fürchtet. Jörg Rothermel, Geschäftsführer von der Vereinigung der Energieintensiven Industrien (EID) in Deutschland beklagt etwa, es gebe weltweit wenige Regionen, in denen die energieintensive Industrie tatsächlich konkrete Ziele und Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen muss. „Allein Europa hat ein Regelwerk für den Klimaschutz etabliert, das die gesamte produzierende Industrie abdeckt“, so Rothermel.
Die Europäische Kommission arbeitet derzeit an einer weiteren Verschärfung des Emissionshandels, die 2021 in Kraft treten soll. Auf die deutschen EID-Branchen, so Rothermel, könnten dadurch Mehrkosten von über fünf Milliarden Euro jährlich zukommen. Auf das Problem Carbon Leakage, der kostenbedingten Abwanderung von Produktion, habe die Kommission bisher keine Antworten gefunden.
SPD-Klimaexperte Jo Leinen hingegen sieht gerade Europa in der Pflicht, Vorreiter und Vorbild beim Klimawandel zu werden. „Europa muss beim Transfer klimafreundlicher Technologien in Schwellen- und Entwicklungsländer eine führende Rolle übernehmen“, sagt Leinen. Der Klimaschutz werde ein Wettrennen um neue Technologien zwischen Amerika, China und Europa auslösen, ist er überzeugt. „Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen bei dieser großen Neuausrichtung der Investitionen ihre Chance nutzen.“