Die Bundesregierung hat sich auf eine nationale Wasserstoff-Strategie geeinigt. Sie sieht vor, bis 2030 Erzeugungskapazitäten von 5 GW und bis 2040 von 10 GW zu schaffen. Dazu sollen sieben Milliarden Euro in Unternehmen und Forschung fließen.
Es brauchte eine Pandemie, damit die Bundesregierung sich mit sechsmonatiger Verspätung zu einer Wasserstoff-Strategie einig werden konnte. Die „größte Innovation seit dem EEG“, nannte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das 28-seitige Dokument, als er es heute, zusammen mit gleich drei anderen Ministern, der Presse in Berlin vorstellte. Mit diesem „Quantensprung“ wolle Deutschland zum Weltführer in Sachen Wasserstoff-Technologien werden.
Die Bundesrepublik setzt sich damit zum ersten Mal quantitative Ziele für die Produktion von Wasserstoff: Bis 2030 sollen Erzeugungsanlagen mit bis zu 5 GW Gesamtleistung entstehen. Dies entspricht etwa einer Wasserstoffproduktion von 14 TWh. Bis 2040 soll die Kapazität dann auf 10 GW gesteigert werden.
Die benötigte Energie soll größtenteils in Offshore-Windparks entstehen, für die 14 TWh wären in etwa 20 TWh grüner Strom erforderlich. Lange war über die Ausbaumenge gestritten worden, die SPD hatte doppelt so viel gefordert. Doch als die Bundesregierung vergangene Woche ihr Konjunkturpaket vorstellte, ging die Einigung im Kabinett plötzlich ganz schnell.
Sieben Milliarden Euro für die Marktreife
Von den 130 Milliarden Euro im Konjunkturpaket versprochenen Mitteln sollen nun sieben Milliarden Euro in die Förderung von Wasserstoff fließen, um ihn marktreif zu machen und einen Bedarfsmarkt zu schaffen. Bislang ist die Herstellung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien nur in kleinen Mengen möglich, in sogenannten Reallaboren wird derzeit getestet, wie sich die Elektrolyse hochskalieren lässt. Zusätzlich stellt die Bundesregierung zwei Milliarden Euro für internationale Partnerschaften zum Beispiel mit Nordafrika bereit, wo sie bereits mehrere Abkommen geschlossen hat, um sich an dortigen Produktionsanlagen zu beteiligen.
Weiterhin in der Strategie vorgesehen ist die Schaffung eines 25-köpfigen nationalen Wasserstoff-Rates aus Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Die Wasserstoff-Strategie wird begleitet von einem Aktionsplan mit 38 Maßnahmen. Sie sehen unter anderem vor, bessere Bedingungen für erneuerbare Energien und attraktivere Konditionen für den Bau von Offshore-Windparks zu schaffen. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) betonte heute: „Wer Ja sagt zu Wasserstoff, muss auch Ja sagen zu Windenergie. Deswegen müssen und werden wir die erneuerbaren Energien konsequent ausbauen.“
Quoten für alternative Kraftstoffe werden geprüft
Da das grüne Gas zuerst dort verwendet werden soll, wo sich Prozesse nicht elektrisieren lassen – zum Beispiel im Schwerlastverkehr, in der Stahlproduktion, der Chemieindustrie sowie der Luftfahrt – sollen Unternehmen in diesem Bereich finanzielle Hilfen erhalten, wenn sie in Elektrolyseanlagen und die Umrüstung ihrer Maschinen investieren. Dazu soll auch ein Pilotprogramm für sogenannte Carbon Contracts for Difference (CfD) lanciert werden, das auf die Stahl- und Chemieindustrie abzielt.
Auch im Verkehrsbereich soll Wasserstoff seinen Einsatz finden, eine Idee, die ursprünglich vom Umweltministerium abgelehnt worden war. Um die Herstellung von erneuerbaren Kraftstoffen zu unterstützen, soll unter anderem eine Infrastruktur für die Wasserstofftankung aufgebaut werden. Außerdem möchte die Bundesregierung prüfen, ob sich eine Quote für erneuerbare Treibstoffe im Flugverkehr von 20 Prozent bis zum Jahr 2030 umsetzen lässt.
Für den Fraktionsvize der Grünen, Oliver Krischer, ist dieser Punkt essentiell: „Da sollen große Kapazitäten in der Produktion aufgebaut werden, ohne dass klar ist, wer diesen Wasserstoff überhaupt abnimmt“. Es brauche verpflichtende Beimischungsquoten etwa im Luftverkehr oder im Erdgasnetz. Im Automobilsektor dagegen sei Wasserstoff fehlplatziert: „Das eingeplante Geld für Wasserstofftankstellen ist rausgeschmissenes Geld, weil Elektroautos viel günstiger sind und von der Effizienz nicht mehr einholbar sind.“
Förderung nur für grünen Wasserstoff
Ganz besonders umstritten war die Frage gewesen, inwiefern Deutschland nur „grünen“, also aus erneuerbaren Energien hergestellten Wasserstoff fördern möchte, oder ob auch Wasserstoff eine Rolle spielen soll, der unter der Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff produziert wurde (blauer und türkiser Wasserstoff). Das Ergebnis ist eine Zwischenlösung: Zwar fördert die Bundesregierung stark auf grünen Wasserstoff, doch sie schließt die Verwendung von teils fossilem Wasserstoff nicht aus. „Wir werden natürlich erleben, dass es Übergangsschritte geben wird, wenn wir grauen Wasserstoff durch grünen ersetzen“, sagte Altmaier heute.
In der Strategie heißt es weiterhin, man rechne damit, dass in den kommenden zehn Jahren ein europaweiter Wasserstoffmarkt entstehen wird, auf dem auch blauer oder türkiser Wasserstoff gehandelt werden. Da Deutschland in die Energienetze der EU eingebunden ist, werde „auch in Deutschland CO2-neutraler Wasserstoff eine Rolle spielen und, wenn verfügbar, auch übergangsweise genutzt werden.“
Deutschland hatte die Schaffung einer europäischen Infrastruktur für Wasserstoff als eine der größten Prioritäten seiner Ratspräsidentschaft erklärt, in der Hoffnung, sich in den kommenden Jahren als Exportmeister zu etablieren. „Auf grünen Wasserstoff-Technologien soll bald das Siegel ‚Made in Germany‘ stehen“, sagte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU).
Deutschland überreicht endlich nationalen Klimaplan an EU
Vertreter der Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben die vorgestellte Strategie überwiegend positiv aufgenommen und den starken Fokus auf grünen Wasserstoff gelobt. „Die deutsche Wasserstoffstrategie zeigt, dass sich einer der weltweit größten fossilen Gasverbraucher auf eine Zukunft ohne sie vorbereitet“, schreibt Felix Heilmann, Forscher beim Klima Think Tank E3G.
Gleichzeitig verdeutlichten die langen Verhandlungen innerhalb der Regierung die Schwierigkeiten, wenn Wasserstoff als alleinige Wunderlösung für die Energiewende gesehen werde. Daher müssten parallel die Elektrifizierung und Energieeffizienz vorangetrieben werden, so Heilmann.
Und es gab heute noch mehr Nachrichten: Nicht nur die finale Wasserstoff-Strategie wurde vorgestellt – nach über sechs Monaten Verspätung nutzte die Bundesregierung die Gelegenheit, ihren nationalen Energie- und Klimaplan bei der EU-Kommission einzureichen. Die hat derweil bereits die Pläne der meisten anderen Mitgliedsstaaten analysiert.