Bis zum Jahr 2038 sollen die letzten deutschen Kohlekraftwerke dicht gemacht werden. Um die Regionen wirtschaftlich neu auszurichten, sollen an ihrer Stelle neue Forschungseinrichtungen und Unternehmen angesiedelt werden. Ein Koordinierungsgremium beginnt nun mit der Zuteilung der Fördergelder.
Noch dieses Jahr sollen die ersten Braun- und Steinkohlemeiler laut des Kohleausstiegsgesetzes vom Netz gehen. Damit die vom Bund versprochenen 40 Milliarden Euro an Strukturhilfen auch fließen können, ist am gestrigen Donnerstag eine Bund-Länder-Vereinbarung von einem Koordinierungsgremium aus Vertretern der Bundesregierung und Kohleländer unterzeichnet worden. Am Mittwoch hatte das Bundeskabinett dafür den Weg frei gemacht. Das neu zusammengekommene Gremium soll nun für eine faire Verteilung der Gelder in den Kohleländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sorgen.
Das Strukturstärkungsgesetz sieht vor, dass bis zum Jahr 2038 insgesamt 26 Milliarden Euro in Form von Bundesprogrammen sollen, dazu erhalten die Länder weitere 14 Milliarden Euro für eigene Investitionen.
Man habe bereits eine Anmeldeliste für 80 solcher Projekte erhalten, sagte Ulrich Nußbaum, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium auf einer gestrigen Pressekonferenz. Zwei Milliarden Euro seien für die Jahre 2020 und 2021 eingeplant, sie sollen besonders schnell sichtbare Ergebnisse bringen. Dazu gehören die Ansiedlung neuer Forschungseinrichtungen, wie einem Institut zur Erforschung emissionsärmerer Flugtriebwerke in Cottbus, wo laut Bundesregierung alleine 500 neue Stellen geschaffen werden sollen, oder die Finanzierung von vier Reallaboren. Mit diesen Projekten testet das Ministerium Technologien der Energiewende wie die Erzeugung grünen Wasserstoffs im Industriemaßstab. Besonders wichtig für das Land Sachsen soll auch eine neue ICE-Verbindung von Berlin über Cottbus bis Görlitz werden, um die strukturschwache Region besser anzubinden.
Man werde die Regionen stark in die Entscheidungen über die Fördergelder einbeziehen, versicherte Sachsens Staatsminister für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt. „Nur wenn wir die Akteure vor Ort mitnehmen, können wir Akzeptanz herstellen.“ Nachdem der Beschluss gefasst worden war, den Kohleausstieg auf das Jahr 2038 zu datieren, hatte es zahlreiche Proteste seitens der Arbeiter in den Kohleregionen gegeben.
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes gab es in Deutschland zuletzt 148 aktive Kohlekraftwerke (Stand 2016). Deutschlandweit sind rund 33.000 Menschen direkt oder indirekt von der Kohleförderung abhängig. Viele von ihnen sollen umgeschult werden, für Betroffene über 58 Jahren soll bis zu fünf Jahre lang ein Anpassungsgeld geben. Man werde sich nun zügig an die Arbeit machen, zusammen mit den Kommunen gemeinsame Regionalprojekte auszuarbeiten, so Schmidt, und werde diese womöglich noch dieses Jahr vorstellen. „Die Chancen sind riesengroß, die Mühen sind riesengroß – aber das ist es wert.“
Mangelnde Kriterien für die Vergabe der Mittel kritisierte derweil der stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, Oliver Krischer. Der Bund müsse einen stärkeren Fokus auf die Förderung der erneuerbaren Energien setzen statt diese auszubremsen, was den Strukturwandel auf zum Teil fragwürdige Einzelprojekte reduziere.
Auch auf europäischer Ebene gibt es entsprechende Sorgen. Im Juli warnte der Europäische Rechnungshof in einer Stellungnahme, dass es an ausreichend strengen Kriterien für die Ausgaben unter dem Just Transition Fonds gebe. Der Fonds ist Teil des European Green Deal der Kommission und soll allen europäischen Kohleregionen, gestaffelt nach CO2-Intensität der Arbeit, zur Verfügung stehen. Sollte es allerdings keine genau definierten Ausgabekriterien geben, bestehe die Gefahr, „dass der notwendige Strukturwandel nicht stattfindet und der Übergang zu einer grünen Wirtschaft erneut finanziert werden muss“, warnte der Rechnungshof.
Laut des Vorschlags der EU-Kommission hätte der Just Transition Fonds 7,5 Milliarden Euro umfassen sollen, von denen Deutschland 877 Millionen Euro erhalten hätte. Bei den Verhandlungen zum mehrjährigen EU-Haushalt hatte die Kommission den Fonds auf 40 Milliarden Euro aufstocken wollen, die Staatschefs einigten sich im Juli allerdings darauf, den Fonds auf 17,5 Milliarden Euro zu reduzieren. Polen, das sich bislang weigert, das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 zu unterschreiben, soll immerhin die Hälfte der ihm zustehenden Hilfen erhalten.
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