Einen Tag bevor die EU-Kommission ihre neue Biodiversitätsstrategie vorstellt, präsentiert Deutschland seinen Bericht zur Lage der Natur. Der kommt zu einem nüchternen Ergebnis: Während einige Populationen sich erholen, geht es den Insekten inzwischen sehr schlecht.
Mehr als einem Drittel der Naturfläche Deutschlands geht es schlecht. Das ist das Ergebnis des Berichts zur Lage der Natur, den Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) heute vorgestellt hat. Demnach befindet sich nur ein Viertel der Natur in gesundem Zustand. Intakte Ökosysteme seien eine „Lebensversicherung für uns Menschen und Grundstein einer krisenfesten Gesellschaft“, kommentierte Schulze den Bericht. „Wir alle merken, dass die Dürren immer dichter aufeinander folgen, die Landschaften trocknen aus. Dabei ist der Naturschutz ein ganz wichtiger Teil der Lösung.“
Der Bericht des Bundesamtes für Naturschutz basiert auf 14.000 Stichproben, die von freiwilligen Helfern zwischen 2013 und 2018 gesammelt wurden. Alle sechs Jahre nehmen Bund und Länder eine Bewertung des Zustands der Natur in Deutschland vor und übermitteln die Ergebnisse an die EU-Kommission. Die neuesten Zahlen zeigen ein gemischtes Bild: 69 Prozent der Lebensraumtypen in der Bundesrepublik sind in einem ungenügenden oder schlechten Zustand. In der Alpenregion ist die Natur weitestgehend intakt, während sie in großen Teilen des Landes kränkelt.
Kritisch ist demnach vor allem die Situation auf Wiesen und Weiden sowie in der Agrarlandschaft. Dort nimmt die Biodiversität vor allem bei Käfern, Schmetterlingen und Libellen signifikant ab. Nur ein Fünftel der Insektenarten ist insgesamt in einem gesunden Zustand. 33 Prozent aller untersuchten Tierarten geht es „sehr schlecht.“
Ein eher gemischtes Bild zeigt sich bei Vögeln. Ein Drittel der Brutvogelarten nimmt inzwischen ab, während ein anderes Drittel zunimmt. Einzelne Arten sind hingegen kritisch betroffen: So lebt laut Bericht nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Population von Rebhühnern und Kiebitzen in Deutschland.
Schulze will noch dieses Jahr ein Insektenschutzgesetz
Umweltministerin Schulze betonte bei der Präsentation des Berichtes, dass sie die extensive Landwirtschaft als Quelle vieler Probleme sehe: „Es wird einfach zu viel gedüngt, es wird zu viel gemäht“. Die Verhandlungen der GAP in Brüssel seien daher der „größte Hebel“ für eine Agrarwende, die mehr Raum für ungenutzte Naturflächen schafft. Landwirte, die Teile ihrer Fläche der Natur überlassen, erwiesen damit eine öffentliche Leistung, die honoriert werden müsse, so Schulze.
„Es lohnt sich, wenn wir nicht nur in unsere graue, sondern auch in die grüne Infrastruktur investieren“, betone die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Beate Jessel. Das Bundesamt für Naturschutz hatte errechnet, dass ungenutztes Grünland im Gegensatz zu Ackerland einen Geldwert von 500 bis 2000 Euro pro Hektar haben kann.
Schulze betonte außerdem die Rolle des Aktionsplanes Insektenschutz, den die Regierung im September verabschiedet hatte. Es sieht vor, jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich für die Förderung von Insektenschutz und dessen Erforschung bereit zu stellen, außerdem sollen Pestizide ab 2020 stark beschränkt und Glyphosat bis Ende 2023 ganz verboten werden. Darüber hinaus kündigte die Ministerin ein Insektenschutzgesetz an, das noch dieses Jahr beschlossen werden solle.
Kommission will 30 Prozent der Landfläche unter Schutz stellen
Die Präsentation des Berichts zur Lage der Natur kommt einen Tag bevor die EU-Kommission ihre lang erwartete Biodiversitätsstrategie für 2030 vorstellt, die schon im Februar hätte veröffentlicht werden sollen. „Ich hoffe, dass das eine mutige Strategie sein wird und werde alles tun, damit wir unter der deutschen Ratspräsidentschaft große Fortschritte darin erreichen“, versprach Schulze. Eine Halbzeit-Bewertung der seit 2011 geltenden Biodiversitätsstrategie hatte vor fünf Jahren nur geringe Verbesserungen zum Schutz der Artenvielfalt festgestellt.
Laut geleakten Informationen zur morgen anstehenden Biodiversitätsstrategie plant die EU-Kommission, nun eine verpflichtende Quote von 30 Prozent geschützter Landfläche einzuführen und das Natura 2000 Netz auszubauen. Derzeit gelten rund 19 Prozent der EU-Landfläche als geschützt.
Im Februar hatte die Kommission die zweite Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland eingeleitet, weil die Bundesrepublik die Natura 2000 Gebiete nicht ausreichend ausweise und erhalte. „Die Frist für die Vollendung dieser Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland ist in einigen Fällen vor mehr als zehn Jahren abgelaufen“, rügte die Behörde.