In einer ihrer letzten Amtshandlungen als Premierministerin hat Theresa May bestätigt, dass das britische Parlament die Empfehlungen des Ausschusses für Klimawandel umsetzen und ein rechtsverbindliches Ziel von Netto-Null-Kohlenstoffausstoß bis 2050 festlegen wird. EURACTIVs Partner edie.net berichtet.
Bei der Bekanntgabe am Dienstagabend sagte May, die Rechtsvorschrift zur Änderung des „Climate Change Act“ von 2008 und die zukünftige Berücksichtigung eines Netto-Nullziels werde schon am heutigen Mittwoch im Parlament verabschiedet.
In einer Erklärung teilte May weiter mit: „Jetzt ist es an der Zeit, immer weiter und schneller voranzuschreiten, um die Umwelt für unsere Kinder zu schützen. Dieses Land war während der industriellen Revolution weltweit führend in Sachen Innovation; und jetzt müssen wir die Welt zu einer saubereren, grüneren Form des Wachstums führen. Warten und Stillstand ist keine Option. Das Erreichen von Netto-Null bis 2050 ist ein ehrgeiziges Ziel. Aber es ist entscheidend, dass wir es erreichen, um sicherzustellen, dass wir unseren Planeten für zukünftige Generationen bewahren.“
Der Schritt erfolgt etwas mehr als einen Monat nachdem der Ausschuss für Klimawandel (Committee on Climate Change, CCC) seine Empfehlungen an die britische Regierung veröffentlichte und darin ebenfalls das Ziel einer Netto-Null-Kohlenstoffwirtschaft formulierte.
Zu den Empfehlungen der Behörde gehören die Vorverlegung eines Verbots für den Verkauf neuer Benzin- und Dieselautos auf 2035, die Vervierfachung der britischen Kapazität zur Erzeugung erneuerbarer Energien, die Verbesserung der biologischen Vielfalt auf einer Fläche von 20.000 Hektar pro Jahr und der Einsatz von CO2-Abscheidung und -Speicherung im großen Maßstab.
Nach Ansicht des CCC wäre es möglich, die CO2-Emissionen auf Netto-Null bis 2050 zu senken, wenn dafür lediglich ein bis zwei Prozent des jährlichen BIPs bereitgestellt würden. Ein solcher Wert werde auch heute schon für Arbeiten im Zusammenhang mit der Einhaltung des Klimaschutzgesetzes („Climate Change Act“) investiert.
Teufel im Detail
Wie das Vereinigte Königreich die angestrebten Netto-Null-Emissionen in der Praxis erreichen will, muss allerdings noch diskutiert und ausgearbeitet werden. Schatzmeister Philip Hammond behauptete in dieser Hinsicht bereits, Ausgabenkürzungen für Schulen, Krankenhäuser und die Polizei könnten erforderlich seien, um die vollständige Dekarbonisierung der britischen Wirtschaft zu finanzieren.
Die Gesamtkosten schätze er auf eine Billion Pfund.
Nach dem aktuellen Klimaschutzgesetz strebt das Vereinigte Königreich derzeit eine Reduzierung der Emissionen um 80 Prozent bis 2050 (gegenüber dem Ausgangswert von 1990) an. Das geltende Gesetz berücksichtigt dabei aber beispielsweise nur die internationale Luft- und Schifffahrt auf territorialer Basis. Im Rahmen der vorgeschlagenen neuen Strategie würde das Netto-Nullziel alle Sektoren umfassen, einschließlich Schifffahrt und Luftfahrt.
Eine Abweichung von den CCC-Empfehlungen ist derweil die Verwendung internationaler CO2-Zertifikate. Die britische Regierung hat bestätigt, dass sie sich die Möglichkeit offen halten will, diese Gutschriften zum Ausgleich von Emissionen in einem „angemessenen Überwachungs-, Berichts- und Überprüfungsrahmen“ zu verwenden.
Die Regierung dürfte auch an ihrem ursprünglichen Ausstiegsdatum für neue Diesel- und Benzinfahrzeuge festhalten.
Die Jugend einspannen
Mit ihrer Zielsetzung will die Regierung offenbar auch vom wachsenden Einfluss der Jugend-Klimastreiks profitieren bzw. diese einbinden. So soll eine „Jugendlenkungsgruppe“ (Youth Steering Group) unter gemeinsamer Leitung des britischen Kultusministeriums und dem British Youth Council eingerichtet werden. Dieses werde dann die Regierung in Bezug auf die Prioritäten Klimawandel, Abfall und Recycling sowie Verlust der biologischen Vielfalt beraten. Die ersten Überprüfungen sollen bereits im Juli beginnen.
Tatsächlich folgt die Initiative auch auf monatelange Forderungen von Abgeordneten und Unternehmen, ein Netto-Nullziel in das britische Recht aufzunehmen – eine Diskussion, die durch die jüngsten Klima-Schulstreiks und die Proteste der „Extinction Rebellion“-Bewegung sicherlich noch verstärkt wurde.
Mit der neuen Gesetzgebung ist das Vereinigte Königreich die erste G7-Nation, die ein Netto-Null-Ziel festlegt. Daher sollen in den kommenden fünf Jahren „Evaluierungen“ durchgeführt werden, mit denen dann auch andere Länder aufgefordert werden, ähnliche Ziele anzustreben.
Ein Hauptziel dieser Bewertungen bestehe aber vor allem darin, sicherzustellen, dass die britischen Industrien nicht mit unlauterem Wettbewerb durch ausländische Unternehmen konfrontiert werden, die ihre eigenen Klimaauswirkungen ignorieren.
Auf dem Weg zu Netto-Null
Die britische Regierung hatte den CCC erstmals im vergangenen Herbst – in Reaktion auf den wegweisenden Bericht des Weltklimarates (IPCC) über die globale Erwärmung – um Rat gebeten, wie man am besten eine CO2-freie Wirtschaft schaffen könne.
Der IPCC-Bericht beleuchtete zum ersten Mal den enormen Unterschied in den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen, der zwischen den im Pariser Klimaabkommen dargelegten 1,5°C- und 2°C-Szenarien besteht. Tatsächlich könne dieser Unterschied von 0,5°C die Risiken von Dürre, Überschwemmungen, extremer Hitze und Armut für hunderte Millionen von Menschen „erheblich“ erhöhen, heißt es dort.
Der IPCC kam zu dem Schluss, die globalen CO2-Emissionen müssten bis 2030 um 45 Prozent gesenkt werden (bevor sie 2050 Null erreichen), um die Erderwärmung bis Mitte des Jahrhunderts auf 1,5°C zu begrenzen.
Im Anschluss an den Bericht hatte Schottland Gesetze erlassen, um bis 2045 diesen Nullpunkt zu erreichen, während Wales innerhalb derselben Frist eine Senkung der nationalen Emissionen um 95 Prozent erzielen will.
Auch Unternehmen fordern Netto-Null
Doch auch die Wirtschaft scheint mitzuspielen: Einige der größten britischen Unternehmen haben sich bereits ihre eigenen Netto-Null- oder 1,5°C-Ziele bis 2050 gesetzt, darunter British Telecom, Skanska UK, Ecotricity und Aldi UK/Ireland.
Dieser Trend ist auch in der globalen Geschäftswelt zu beobachten: Vom US-amerikanischen Bodenbelag-Hersteller Interface über den deutschen Elektronikriesen Bosch bis hin zum dänischen Containerschiff-Unternehmen Maersk hat man sich ähnliche Klimaziele gesetzt.
Vor allem haben es sich diverse Unternehmen aller Branchen und Größenordnungen zum Ziel gemacht, den Wandel auch außerhalb ihrer eigenen Geschäftstätigkeit voranzutreiben, indem sie die Regierungen aufrufen, entsprechende Gesetze für Netto-Null-Emissionen zu erlassen.
So forderte erst vergangenen Monat ein Bündnis von 128 britischen Unternehmen, Industrienetzwerken und Investoren in einem Schreiben an die zuständigen Ministerinnen und Minister, ein Netto-Null-Ziel für 2050 müsse „sofort“ gesetzlich festgelegt werden. Politische Maßnahmen sollten „in einem Zeitrahmen erfolgen, der die Dringlichkeit des Themas widerspiegelt“.
Der britische Minister für Wirtschaft, Energie und Industrie, Greg Clark, kommentierte die Einführung des rechtsverbindlichen Ziels: „Wir wollen unsere globale Führungsrolle behaupten. Und deshalb führen wir ein rechtsverbindliches Netto-Null-Ziel ein, um den Beitrag des Vereinigten Königreichs zur globalen Erwärmung bis 2050 vollständig zu beenden.“
Er erinnerte daran, dass die Grundlagen für dieses Ziel bereits gegeben seien. Die weiteren Investitionen seien sowohl notwendig als auch realisierbar: „Fast 400.000 Menschen sind bereits im Low-Carbon-Sektor und seinen Lieferketten im ganzen Land beschäftigt.“
Clark zeigte sich optimistisch: „Mit unserer modernen Industriestrategie investieren wir in sauberes Wachstum und werden sicherstellen, dass wir die Früchte ernten und bis 2030 zwei Millionen zusätzliche hochwertige Arbeitsplätze geschaffen haben.“
[Bearbeitet von Tim Steins]