„Nord Stream 2 und Brexit könnten EU-Energiesicherheit bedrohen“

Elizabeth Sherwood-Randall. [National Renewable Energy La]

EXKLUSIV / Das umstrittene russisch-deutsche Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“ wird die Energiesicherheit der EU schwächen, warnt eine hochrangige Vertreterin der Obama-Regierung. Ein Brexit liege nicht im gemeinsamen Interessen der USA, EU und Großbritanniens.

Im Interview diskutiert Elizabeth Sherwood-Randall, stellvertretende Energieministerin der USA, die EU-Energiepolitik sowie die Pläne ihres Landes, flüssiges Erdgas (LNG) zu exportieren. Sie betont auch, das jüngste Atomabkommen mit dem Iran sei kein Freifahrtschein in Sachen Menschenrechte. Dennoch sei sie von der Aussicht auf einen Putin zugewandten Präsidenten wie Donald Trump alles andere als begeistert.

Sie können sich die einzelnen Abschnitte des Interviews auf Englisch auch über die unterstehenden SoundCloud-Dateien anhören.

Inwiefern stellt Russland eine Bedrohung für die Energiesicherheit dar?

Wie Sie sicher bemerkt haben, macht Europa sehr vorsichtige Schritte in Richtung Energiesicherheit. Nach den Ereignissen in der Ukraine, die vor etwa zwei Jahren ihren Lauf genommen haben, sind die G7-Energieminister in Rom zusammengekommen. Dort haben sie eine Reihe von Prinzipien im Bereich Energiesicherheit festgelegt. Das verdeutlicht meiner Ansicht nach den gemeinsamen Standpunkt, dass kein Land in der Lage sein sollte, Energie als eine Waffe zu nutzen. Das ist schon einmal geschehen. Und es hat einige unserer Verbündeten und Partner schwer unter Druck gesetzt – vor allem in Mittel- und Osteuropa. Seit sich die Länder auf die Prinzipien geeinigt haben, versuchen sie verstärkt, auf unterschiedliche Energiezulieferer, Transportrouten und Brennstoffe gleichzeitig zu setzen.

Die geplante EU-Energieunion…

Ja, aber eigentlich geht es um viel mehr. Wir alle glauben doch, dass es wichtig ist, mehrere Energiequellen zu haben. Man sollte nicht von einem Zulieferer oder einem Brennstoff abhängig sein. Diese Entwicklung ist gut für die Energiesicherheit und für das Klima – gerade, wenn wir auch auf unterschiedliche Versorgungsrouten setzen. Das beinhaltet nämlich auch den Bau einer besser integrierten Infrastruktur für Europa.

Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich die Dinge so entwickeln würden. Jetzt befinden wir uns jedoch im achten Regierungsjahr unter Präsident Obama und sind bereit, Öl- und Gas zu exportieren. Das fördert die Energiesicherheit ganz ungemein. Unsere europäischen Verbündeten und Partner müssen jedoch in der Lage sein, diese Lieferungen dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht werden. Das wird zusätzliche Energieinfrastrukturen erfordern. Das gilt in Europa sowohl für Strom als auch für Gas.

Das bedeutet, die Länder müssen untereinander besser verbunden sein. Geschichtlich ist das bisher schwierig gewesen. Man denke dabei nur an Frankreich und die iberische Halbinsel.

Ich denke, dass man an dieser Front bald Fortschritte machen wird. Sehen Sie sich die ausgehandelten Prioritäten an, die auch die Kommission mittlerweile umzusetzen versucht. Ich glaube, die Länder werden diese Investitionen tätigen. Denn sie sind sich bewusst, wie dringend es ist, dass Europa hier handelt.

Die iberische Halbinsel ist ein Teil, vor allem was Strom und die Integration der erneuerbaren Energien von dort in das umfassendere europäische Netz angeht. Auch die Netzausrichtung der baltischen Staaten muss angepasst werden. Historisch bedingt, ist sie derzeit noch gen Osten gerichtet. Um bessere Verbindungen mit Westeuropa zu schaffen, muss man das Netz neu konfigurieren.

Das wird bald geschehen, glaube ich. Man muss sich nur vor Augen führen, wo Europa noch vor wenigen Jahren stand. Dann gab es das dritte Energiepaket im September 2009, schließlich die Energieunion und heute dieses Gesetzespaket, diesen wirklich wichtigen Rechtsrahmen. Es scheint also tatsächlich Schwung in die Energiepolitik gekommen zu sein, den man nun für die schwierigen, notwendigen Entscheidungen nutzen sollte, um für mehr Energiesicherheit in Europa zu sorgen.

+Nord-Stream+

Bremst das Nord-Stream-2-Projekt diesen Schwung?

Wir machen uns Sorgen um Nord Stream 2. Die Gründe dafür haben bereits viele unserer Verbündeten und Partner in Europa vorgebracht. Sie beziehen sich auf die Diversifizierungszusagen der G7-Staaten, die ich anfangs erwähnt habe. Bei Nord Stream 2 will man die Leitung eines Energiezulieferers verdoppeln, anstatt mehrere Routen unterschiedlicher Quellen über das Territorium zu spannen. So schafft man, denke ich, keine zusätzliche Energiesicherheit in Europa. Natürlich entzieht das Projekt der Ukraine auch einen Großteil der wichtigen Transiteinnahmen. Diese sind angesichts der ukrainischen Haushaltsprobleme aber dringend notwendig.

Hat Präsident Barack Obama mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits über Nord Stream 2 gesprochen?

Das weiß ich nicht.

Halten Sie es für wahrscheinlich?

Sie unterhalten seit Langem in einem offenen Dialog zu vielen Themen. Manchmal treffen Sie sich auch zu einem ehrlichen Gespräch unter vier Augen. Daher kann ich Ihnen nicht sagen, ob sie darüber schon gesprochen haben.

In der ersten Legislaturperiode dieser Regierung war ich verantwortlich für Europaangelegenheiten und habe den Präsidenten bei den Treffen mit seinen wichtigsten Kollegen beraten. Daher kann ich Ihnen folgendes mit Gewissheit sagen: Er schätzt den Dialog mit Bundeskanzlerin Merkel wirklich sehr.

Man hört seit Kurzem, dass die EU-Kommission Nord Stream 2 – wenn auch widerwillig – grünes Licht geben wird.

Ist das so?

Ich habe es nicht aus einem direkten Gespräch erfahren, aber von einem Kollegen mit exzellenten Kontakten.

Das ist interessant. Wahrscheinlich müssen sie das alles ganz genau und mit viel Bedacht untersuchen. Wir haben einen Gesetzesvorschlag, der einen bedeutenden Schritt nach vorn darstellen würde. Diesem zufolge müsste alle privaten Gespräche oder bilateralen Abkommensverhandlungen aus Sicht der EU-Energiesicherheit abgesegnet werden. Das muss dem Parlament vorgelegt werden.

Politisch dürfte das überaus schwierig werden.

Das ist Teil der Herausforderung, eine internationale Institution zu schaffen. Wenn aber unsere Energiesicherheit voneinander abhängt und sich das Verhalten des einen auf viele auswirken kann, sollte man natürlich überlegen, wie man die Diversifizierung der Energiequellen durchsetzen kann.

Aber der Gedanke, internationale und kommerzielle Energieverträge bei einer öffentlichen Behörde einzureichen….

Das ist eine Fallstudie zu der Frage: Wie schafft man eine Institution, die die gleiche Leistungsfähigkeit wie eine internationale Einrichtung zugunsten der Beitragenden bereitstellt? Gerade, wenn doch die Nationalstaaten wie auch die Wirtschaft gleichzeitig ihre Vorrechte bewahren wollen. Behalten Sie das im Auge. Ich glaube, das wird noch sehr interessant werden.

Könnten Sie sich rein hypothetisch eine Situation vorstellen, in der die USA ohne Vorbehalte ihre Energieverträge an eine internationale Behörde weiterreichen würde?

Diese Frage ist so hypothetisch, dass ich längere Zeit darüber nachdenken müsste. Aber Sie sehen doch, dass Europa eine sehr weit entwickelte Vertragsstruktur hat. Es muss ja nicht der erste Punkt auf der Agenda der europäischen Länder sein.

„Weit entwickelt“ ist sehr höflich ausgedrückt. Was Sie meinen ist „unglaublich kompliziert“, oder?

Nein, so habe ich das nicht gesagt. Das bringt uns zu unserem Anfangspunkt zurück. In der derzeitige Energiesituation könnte Europa in die Lage gebracht werden, dass Energie als Waffe gegen den Kontinent verwendet wird. Das sollte ein Weckruf für Europa sein. Die Versorgung muss breiter gefächert werden, ebenso wie die Versorgungsrouten, die Zulieferquellen und die Brennstoffe. Das ist für Europa unglaublich wichtig. Außerdem haben es bereits alle europäischen Staats- und Regierungschefs anerkannt, als sie die jüngsten Ratsbeschlüsse vorgetragen haben.

+Brexit+

In Sachen Energieunion stehen wir im Prinzip geeint gegen Putin. Was passiert, wenn Großbritannien aus der EU austritt? Machen Sie sich darüber Sorgen?

Dieses Thema geht über meinen Verantwortungsbereich als stellvertretende Energieministerin hinaus. Was ich jedoch sagen werde ist Folgendes: Der US-Politik nach ist es in unserem Interesse, wenn es ein starkes Großbritannien innerhalb einer starken EU mitwirkt. Es wäre ein herber Rückschlag für all unsere gemeinsamen Interessen, sollte die das Vereinigte Königreich gegen die EU-Mitgliedschaft entscheiden.

Innerhalb des Vereinigten Königreichs gibt es in der energiepolitischen Debatte die Idee, Großbritannien könnte zu einer Art Norwegen werden – eine Handelsinsel, mit der wir eigene Energieabkommen aufsetzen. Ist das glaubhaft?

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die britische Wirtschaft enorm von der Integration und dem damaligen Beitritt profitiert hat. So konnte in den 70er und 80er Jahren eine Möglichkeit zur gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das von Ihnen beschriebene Szenario ideal für Großbritannien wäre.

+Klima+

Die USA sind bereit, LNG zu exportieren.

Ja, das sind wir. Die ersten LNG-Lieferungen sind sogar schon per Schiff unterwegs nach Lateinamerika, soweit ich weiß.

Viele haben diesem ganzen Prozess gegenüber Vorbehalte: Beim Fracking werden Methanemissionen frei; die Schifffahrt ist nicht Teil des Pariser Abkommens; die Gasnachfrage in Europa soll den Erwartungen nach sinken. Die Sorge ist also, dass wir diese ganze Infrastruktur völlig umsonst aufbauen.

Von dieser Sorge habe ich bisher noch nichts gehört. Ich glaube aber, dass wir jetzt die Chance ergreifen sollten, alternative Routen zu schaffen und alternative Quellen zu nutzen. Dann wären wir weitaus weniger abhängig von Kohle und Öl. Wir könnten mehr Gas importieren und mehr Erdgasquellen nutzen, wenn es die geologischen Umstände zulassen. Und schließlich könnten wir auch mehr nicht-fossile Brennstoffe in den Energiemix integrieren. Das ist der Weg in Europas Zukunft.

Gas zählt doch aber auch zu den fossilen Brennstoffen.

Das stimmt, aber es ist weniger klimaschädlich als Kohle.

Das ist also wie beim Vergleich meiner E-Zigarette mit einer ganz normalen Zigarette?

Genau. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg. Der Übergang dauert sehr lange. Selbst die überzeugtesten Verfechter unserer Klimaziele wie Präsident Obama sagen, dass fossile Brennstoffe noch bis in die ferne Zukunft Teil unseres Energiemixes sein werden. Wir müssen nun Technologien dafür entwickeln, diese fossilen Energiequellen möglichst umweltschonend zu nutzen.

Nur einen Tag nach der COP21 hat unser Präsident mit 19 anderen weltweiten Spitzenpolitikern – darunter David Cameron – das Projekt Mission Innovation gestartet. Ziel ist es, in den nächsten fünf Jahren die Forschung und Entwicklung im Bereich sauberer Energien zu verdoppeln. Damit ist es uns sehr ernst.

Innerhalb der US-Regierung leitet unser Ministerium die Erarbeitung eines Umsetzungsplans. Hier geht es darum, erhebliche Investitionen in saubere alternative Energien zu mobilisieren und umweltfreundlichere Nutzungsarten für fossile Energieträger zu finden. Das beinhaltet auch mehr Forschung im Bereich umweltschonender Fracking-Methoden. Wir wollen die Nutzung von Speichertechnologien und der Kohlendioxidabscheidung genauer untersuchen – also das ganze Spektrum abdecken, nicht nur die erneuerbaren Energiequellen.

Aber die Kohlendioxidabscheidung- und Speicherung ist viel zu kostspielig, nicht wahr? Hier hat es mal einen Aktionsplan dazu gegeben, der jedoch nie umgesetzt wurde.

Man kann nicht sagen, ob es zu teuer ist, wenn man sich noch in der Pilotprojektphase befindet. Wir versuchen, die ersten Projekte anzutreiben. Denn wir wollen sehen, ob sie nachweislich funktionieren können.

+Trump und der Iran+

Sie sind also der Meinung, dass Russland seine Energielieferungen als Waffe beziehungsweise als Druckmittel nutzt. Donald Trump spricht öffentlich sehr positiv über Russland. Das sorgt in Europa vielerorts für Bedenken. Sind Sie auch besorgt?

Ich werde mich nicht zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen äußern. Ich selbst habe Jahre lang an den Russlandbeziehungen mitgearbeitet. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat unsere Arbeit die Sicherheitsdynamik gewandelt. Wir hatten dabei natürlich unsere Höhen und Tiefen.

Was die nukleare Sicherheit angeht, liegt es seit Langem in unserem gemeinsamen Interesse, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und spaltbaren Stoffen zu verhindern. Dieses Jahr gab es bereits ein Treffen der P5+1 [der permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland]. Hier haben wir sehr gut mit Russland, China, der EU und unseren anderen Partnern zusammengearbeitet, um ein Abkommen mit dem Iran zu erreichen, das die nuklearen Ambitionen des Landes merklich einschränkt. Das zeigt sehr gut, was wir gemeinsam erreichen können, wenn wir uns einig sind. Ich denke, wir werden auch weiterhin versuchen, eine konstruktive Beziehung zu Russland aufzubauen. Leider hat das Land in der Ukraine jedoch gegen die Souveränität eines anderen Staates verstoßen. Und wie Sie wissen, hat Russland auch seine natürlichen Ressourcen als Druckmittel gegen seine Nachbarn eingesetzt.

Sehen wir uns Litauen an. Das ist überaus wichtig. Dort hat man in Klaipėda eine LNG-Einheit aufgebaut, die dem Land selbst eine gewisse Verhandlungsstärke gebracht hat.. Das ist ein gutes Beispiel dafür, was in Europa geschehen könnte, wenn ein Land neue Infrastrukturen schafft und dann auf Alternativen und Importoptionen unterschiedlicher Quellen setzt.

Im Iran hängt man noch immer Homosexuelle an Kränen auf. Jetzt sagt die EU, wir sollen Energie-Deals mit ihnen aushandeln. Das ist doch ziemlich geschmacklos, finden Sie nicht?

Um Gottes Willen, das ist eine sehr philosophische Frage, die in einer langen Diskussion enden könnte. Wir haben eine sehr klare Aufgabe verfolgt: tiefgreifende Veränderungen im Atomwaffenprogramm durchzusetzen. Das ist uns gelungen. Wir haben sie bei den ballistischen Flugkörpern, dem Terrorismus und den Menschenrechten nicht aus der Verantwortung genommen. Nur weil es ein Nuklearabkommen gibt, heißt das nicht, dass der Iran aus dem Schneider ist.

Im Inneren kämpft der Iran gerade mit seiner Identität. Wir können das Ergebnis beeinflussen, wenn wir uns einbringen. Die Herausforderung besteht darin, uns so zu engagieren, dass wir die Reformstimmen stärken, die Menschenrechtsfront. Gleichzeitig dürfen wir nicht diejenigen fördern, die unsere Werte mit Füßen treten. Wir wissen nicht, wohin unser Weg uns führen wird. Wir wissen nur, dass es in unserem Interesse liegt – im Interesse der USA, unserer Bündnispartner in Europa und der anderen Verhandlungsteilnehmer – das Atomprogramm des Irans zu beenden. Wir wollten ihnen sowohl die Uran- als auch die Plutoniumoptionen entziehen. Das war ein großer Sieg für die Welt. Bei den anderen Themen – Terror, ballistische Raketen, Menschenrechte – sind sie noch immer Rechenschaft schuldig.

Wenn man aber die Diversifizierung der Versorgung genauer betrachtet, entdeckt man womöglich, dass es zahlreiche kleine, korrupte Regierungen gibt, die über große Ölmengen oder andere Energievorkommen verfügen. Was, wenn wir so verzweifelt unabhängig von Russland werden wollen, dass wir letzten Endes korrupte Regierungen stärken?

[Stille]

Das scheint ein guter Moment zu sein, das Gespräch zu beenden.

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