Neubauer: “Riesengroße Sorgen” um EU-Umweltgesetz

Dass es nun Stimmen gebe, die das Gesetz versuchten “in letzter Minute zu unterminieren” sei “hochgradig gefährlich.” [EPA-EFE/Clemens Bilan]

Das EU-Renaturierungsgesetz wird aus Sicht von Luisa Neubauer “offensichtlich gebraucht” und darf vom EU-Parlament nicht blockiert werden. Im Interview mit EURACTIV warnt die Klimaaktivistin auch vor den Folgen der anstehenden EU-Wahl für den Klimaschutz.

Im Vorfeld der Plenarabstimmung am Mittwoch (12. Juli) ist das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zum Brennpunkt der europäischen Debatte über Umwelt- und Klimamaßnahmen geworden.

Von mehreren Ausschüssen im EU-Parlament wurde das Gesetz, das verbindliche Ziele zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme an Land und im Meer festschreiben soll, bereits abgelehnt.

“Wir machen uns riesengroße Sorgen um die Abstimmung”, sagte Neubauer gegenüber EURACTIV.

Bei der entscheidenden Plenarabstimmung, die nun ansteht, steht der Vorschlag auf der Kippe, vor allem durch den Widerstand der Europäischen Volkspartei (EVP), der europäischen Parteiengruppe von CDU und CSU, die seit mehreren Monaten fleißig Stimmung gegen das Gesetz macht.

“Das Gesetz sollte in Anführungszeichen ein Selbstläufer sein, weil es so offensichtlich ist, warum es gebraucht wird”, betonte die Fridays-for-Future-Aktivistin und verwies unter anderem auf die internationalen Verpflichtungen der EU in Sachen Natur- und Artenschutz.

Dass es nun Stimmen gebe, die das Gesetz versuchten “in letzter Minute zu unterminieren” sei “hochgradig gefährlich.”

Letzte Chance für EU-Umweltmaßnahmen

Gleichzeitig könnte sich aus Neubauers Sicht das Gelegenheitsfenster für ambitionierte Klima- und Umweltmaßnahmen auf EU-Ebene bald schließen, wenn sich nach den europäischen Wahlen im kommenden Jahr die Machtverhältnisse nach rechts verschieben.

“Die europäischen Wahlen sind schon um die Ecke und es geht jetzt darum, noch einmal wichtige Schritte zu gehen, Versprechen einzuhalten und als EU zu beweisen, dass das große Versprechen von einem grünen Europa, das vor vier Jahren entstand, Substanz hat”, betonte sie.

Nachdem bei den EU-Wahlen 2019 die grünen Parteien, gerade auch in Deutschland, großen Zuwachs verzeichnet hatten, hatte das damals neu ernannte EU-Kommissionskollegium unter Ursula von der Leyen den Green Deal lanciert, um den Klima- und Umweltschutz voranzutreiben. Zu den wichtigsten Gesetzen des Pakets gehört auch das Renaturierungsgesetz.

Doch “es ist offensichtlich, dass die nächste EU-Wahl droht, ganz andere Ergebnisse zu bringen”, betonte die Aktivistin. Jüngsten Umfragen zufolge könnten die Grünen im nächsten EU-Parlament deutlich schwächer vertreten sein als aktuell, während die Parteien rechts der Mitte Gewinne verzeichnen.

“Das wäre dann keine vergleichbare Arbeitsgrundlage”, so Neubauer. Umso wichtiger sei es also, das Renaturierungsgesetz jetzt zu verabschieden.

Ampel in „vertrackter Lage“

Zudem hätte aus Sicht der Aktivistin gerade beim Thema Klima- und Umweltschutz ein Wandel aufseiten der Christdemokraten vollzogen.

Während sich die CDU-Politikerin von der Leyen als Kommissionspräsidentin bemüht habe, “Konservatismus und Ökologie wieder zu versöhnen”, sei zuletzt auf europäischer wie deutscher Ebene zu beobachten gewesen, “was passiert, wenn man als Konservative zum größten und dringendsten Problem der Welt – dem ökologischen Kollaps – keinen politischen Zugang hat.”

Gleichzeitig setzt sich auch die deutsche Bundesregierung aus Neubauers Sicht zu wenig für das Renaturierungsgesetz ein.

Renaturierungsgesetz: EU-Abgeordnete wollen Widerstand durchbrechen

Die Fraktionen im Europäischen Parlament bereiten sich vor der entscheidenden Abstimmung am Mittwoch (12. Juli) auf ihren letzten Vorstoß in Bezug auf das umstrittene EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vor.

Während die Ampel der abgeschwächten Kompromissversion des Gesetzes im Ministerrat zugestimmt hatte, ist die Bundesregierung über das drohende Scheitern des Vorschlags im EU-Parlament weitgehend still geblieben. Die Europaabgeordneten der FDP stimmten in den Ausschüssen  – teils entgegen ihrer eigenen EU-Fraktion – gegen das Gesetz.

“Die Ampel ist natürlich in einer vertrackten Lage: Wenn zwei von drei Parteien das Gefühl haben, sie verlieren in dem Augenblick, in dem sie guten Klimaschutz machen, weil es auf das Konto der Grünen einzahlen würde, und wenn man mehr Angst vor möglichen Beliebtheitswerten Robert Habecks hat, als vor dem ökologischen Kollaps, dann stehe ich als Olaf Scholz und Christian Lindner ein bisschen dumm da”, betonte sie.

Artenschutz kein Gegensatz zu landwirtschaftlicher Produktion

Derweil wies Neubauer auch zentrale Kritikpunkte der EVP am Renaturierungsgesetz zurück – darunter das Argument, die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme gehe auf Kosten der landwirtschaftlichen Produktion und gefährde so die Wirtschaftlichkeit des Agrarsektors.

“Es ist völlig klar, dass es eine Riesenpriorität auf dem Kontinent sein muss, dass die Integrität und Souveränität der landwirtschaftlichen Erzeuger*innen gewahrt bleibt”, betonte sie. Doch das Gesetz sei schließlich nicht ohne die Beteiligung von Landwirt*innen entstanden, vielmehr beruhe es auf einer “breiten Konsultation.”

Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, wie groß umgekehrt die Abhängigkeit landwirtschaftlicher Betriebe von intakten Naturräumen sei.

“Die landwirtschaftlichen Betriebe als Ausrede zu nutzen und damit die Grundlagen jeder landwirtschaftlichen Erzeugung, nämlich Natur und Artenvielfalt zu zerstören – das ist verlogen”, betonte sie.

EU-Klimachef: Können Klimaziele nur mit Renaturierungsgesetz erreichen

Es werde „fast unmöglich“ sein, die Klimaziele der EU ohne das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu erreichen, erklärte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung über das Gesetz.

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