Margrethe Vestager hat am Dienstagabend nach einer Anhörung im EU-Parlament die Zustimmung der meisten Abgeordneten erhalten. In der Sitzung warb die Dänin für verbesserte Ansätze für die Digitalisierung in der EU.
„Vor fünf Jahren hat mich das Europäische Parlament als Wettbewerbskommissarin bestätigt. Das war einer der schönsten Momente meines Lebens,“ sagte Vestager in ihrer Eröffnungserklärung. „Ich habe mich immer für eine faire und gerechte Gesellschaft eingesetzt, in der die Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen und ihren eigenen Träumen folgen können, ohne andere zu beeinträchtigen,“ fügte sie hinzu und versprach, „Europa nicht wie China oder die USA, sondern vielmehr wie sich selbst zu gestalten“. Dazu zähle sie klare Grundwerte sowie Märkte, die für die Menschen arbeiten.
Nach der dreistündigen Anhörung setzten sich die Abgeordneten der Ausschüsse für Industrie, Binnenmarkt und Wirtschaft des Parlaments zusammen, um zu erörtern, ob Vestager für die Rolle, die ihr in der neuen Kommission als Vizepräsidentin angeboten wurde, geeignet ist: Europa „fit für das digitale Zeitalter“ zu machen.
Die Europaabgeordnete Christel Schaldemose teilte per Twitter bereits mit, dass „alle Fraktionen mit Ausnahme von Identität und Demokratie [Vestager] unterstützen“. Ein offizielles Bestätigungsschreiben wurde jedoch noch nicht verschickt.
Derweil erklärten auch Beamte des Parlaments gegenüber EURACTIV, dass Vestager „breite Unterstützung“ von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments erhalten habe.
Vestager wurde während der Anhörung am Dienstag zu einer Reihe von dringlichen Digital-Anliegen befragt, darunter zu den Rechten für sogenannte Plattformarbeitende, zur Künstlichen Intelligenz und deren ethischen Einsatz sowie zu Datenschutzstandards.
„Es gibt eine große Frustration bei denen, die auf oder für digitale Plattformen arbeiten,“ erklärte Vestager. Die Plattformarbeitenden sollten die Möglichkeit haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren, fügte sie hinzu und betonte, dass dies „eine gesamteuropäische Frage ist“.
Interessanterweise räumte Vestager in Bezug auf die Datenschutzstandards der EU ein, dass der recht harte Rechtsrahmen – den die EU normalerweise als Qualitätsmerkmal darstellt – die Entwicklung innovativer Technologien in Zukunft behindern könnte.
„Daten können als Innovationswert, aber auch als Zugangshürde wirken,“ antwortete Vestager auf eine Frage der griechischen Europaabgeordneten Eva Kaili. Die Dänin räumte ein, dass das Thema Datenschutz insbesondere für die Weiterentwicklung der KI „von entscheidender Bedeutung“ sein dürfte.
Der tschechische Abgeordnete Evžen Tošenovský von der konservativen EKR forderte von Vestager eine „ausgewogene“ Einführung innovativer Technologien in der gesamten EU.
„Das ist eins meiner Anliegen: Dass jede und jeder an diesen Entwicklungen teilhaben kann,“ versicherte sie. „Meine Kollegen in der Kommission haben dabei schon eine ganze Reihe guter Ideen. Eine davon ist ein Netzwerk aus Innovationszentren. So können Menschen aus ganz Europa an wissenschaftlichen Projekten teilnehmen.“
Digitalsteuer, Künstliche Intelligenz und Ethik
Darüber hinaus wird Vestager innerhalb der ersten 100 Tage des neuen Mandats der Kommission, das am 1. November beginnt, auch die Arbeiten an einem europäischen Ansatz für Künstliche Intelligenz einschließlich ihrer ethischen Auswirkungen koordinieren.
Gestern räumte Vestager ein, dass dieses Ziel sehr „ambitioniert“ sei. Wichtig sei vor allem, durch Zuhören und Dialog Vertrauen aufzubauen. Die Kommissarin mahnte, die EU müsse in Bezug auf die KI-Entwicklung nun „wirklich in Eile“ sein.
Die Dänin unterstrich auch, wie wichtig es sei, die europäischen Steuerregelungen zu reformieren. Man müsse sicherstellen, dass Großkonzerne aus der Digitalbranche ihren fairen Steuer-Anteil bezahlen. „Wenn bis Ende 2020 [auf internationaler Ebene] keine wirksame Einigung erzielt werden kann, sollte die EU bereit sein, allein zu handeln“ und eine eigene Digitalsteuer einzuführen, wiederholte sie einmal mehr.
Mit diesem schwierigen Aufgabenfeld „Digitalsteuer“ wäre Vestager ebenfalls beauftragt: Die zukünftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwartet, dass die Dänin bis zum Jahresende 2020 einen Konsens auf internationaler Ebene schmiedet oder andernfalls einen Entwurf für eine europäische Steuer vorschlägt. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe, wenn man bedenkt, dass sich eine Gruppe von EU-Mitgliedstaaten bereits zusammengeschlossen hatte, um die Pläne zu Beginn dieses Jahres zu blockieren. Eine Einigung im Rahmen der OECD gilt ebenfalls als eher unwahrscheinlich.
Darüber hinaus wird die Kommission im Jahr 2020 umfassende Reformen der veralteten Regeln für den elektronischen Geschäftsverkehr vorlegen. Diese Reformen sollen zu einem „Digital Services Act“ führen, einem weitreichenden und ehrgeizigen Rechtsrahmen, der das Online-System regeln soll.
Zu der umstrittenen Urheberrechtsrichtlinie, die von der EU dieses Jahres verabschiedet wurde, machte Vestager deutlich, sie wolle nicht, dass die EU-Institutionen die Debatte erneut eröffnen, obwohl sie anerkenne, dass es unterschiedliche Ansichten gebe.
Sie unterstütze auch Pläne zur Vorlage des Digital Services Act. Mit diesem könnten die Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen verbessert werden.
Auf Grundlage der Empfehlungen der Parlamentsausschüsse wird die sogenannte Konferenz der Präsidenten (in der die Vorsitzenden der im EU-Parlament vertretenen Fraktionen zusammenkommen) am 17. Oktober entscheiden, ob das Parlament ausreichende Informationen erhalten hat, um den Anhörungsprozess für abgeschlossen zu erklären.
Sollte die Konferenz der Präsidenten der Nominierung Vestagers zustimmen, findet während der Plenarsitzung des Parlaments am 23. Oktober in Straßburg dann eine finale Abstimmung statt.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]