Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder werden die Europäische Kommission im Laufe dieses Monats auffordern, ein EU-weites öffentliches elektronisches Identifizierungssystem (e-ID) für den Zugang zu grenzüberschreitenden digitalen Diensten zu entwickeln. Das geht aus dem Entwurf der Schlussfolgerungen für den kommenden Gipfel hervor, den EURACTIV.com einsehen konnte.
Die Stärkung der „Autonomie und Souveränität“ Europas nach der Pandemie soll das Hauptthema des Europäischen Rates sein, der am 24. und 25. September in Brüssel stattfindet. Dabei dürften unter anderem Digital-Initiativen im Vordergrund stehen.
Als Teil ihrer Pläne fordern die 27 Staats- und Regierungschefs ein robustes und funktionsfähiges digitales Ökosystem für die Bürgerinnen und Bürger in der gesamten Union. Zu diesem Zweck wolle man die Entwicklung einer „EU-weiten sicheren öffentlichen elektronischen Identifizierung (e-ID) fordern, um den Menschen die Kontrolle über ihre Online-Identität und ihre Daten zu ermöglichen und den Zugang zu grenzüberschreitenden digitalen Diensten zu ermöglichen“, heißt es im Entwurf.
Man werde die Kommission auffordern, bis Mitte 2021 einen Vorschlag für eine „Europäische Initiative zur digitalen Identifizierung“ vorzulegen.
Die EU-Staaten hoffen, dass eine EU-weite e-ID besonders für grenzüberschreitende digitale Dienste genutzt werden kann – einem Teil der Digitalwirtschaft, dem besonders starkes Wachstum vorausgesagt wird.
In den vergangenen Jahren gab es in diesem Bereich einige Fortschritte auf technischer Ebene, um die gegenseitige Kompatibilität der jeweiligen nationalen e-ID-Systeme miteinander zu gewährleisten. So können die Bürgerinnen und Bürger seit September 2018 ihre nationale e-ID beispielsweise für den grenzüberschreitenden Zugang zu öffentlichen Diensten in anderen Mitgliedsstaaten nutzen.
In diesem Zusammenhang hat sich die Kommission vor kurzem bemüht, die Regeln für elektronische Identifizierungsvorgänge in der EU im Rahmen der eIDAS-Verordnung zu aktualisieren. So soll ein stärker harmonisierter und widerstandsfähigerer Markt für elektronische Identifizierungssysteme in der EU entstehen.
Zum Start der öffentlichen Konsultation der Kommission zu diesen Plänen im Sommer sagte die für Digitaltechnik zuständige Vizepräsidentin der Kommission, Margarethe Vestager, die Überarbeitung der eIDAS-Verordnung ziele darauf ab, „ihre Wirksamkeit zu verbessern, ihre Vorteile auf den privaten Sektor auszudehnen und vertrauenswürdige digitale Identitäten für alle Europäer zu fördern sowie eine sichere und interoperable europäische digitale Identität zu schaffen, die den Bürgern Kontrolle bietet.“
Die Konsultation läuft noch bis zum 2. Oktober. Weitere Einzelheiten über das Vorhaben der EU, den rechtlichen Rahmen für die elektronische Identifizierung möglicherweise zu erweitern, sollen außerdem im sogenannten Digital Services Act dargelegt werden, der Ende des Jahres von der Kommission vorgestellt werden soll.
Recovery Fund
Darüber hinaus werden die Staatschefs Ende dieses Monats im Hinblick auf die Erholung der EU von den wirtschaftlichen Nachbeben der Coronavirus-Pandemie wohl auch dazu aufrufen, einen „bedeutenden Teil“ des Recovery Fund – insbesondere der 672 Milliarden Euro, die der Aufbau- und Resilienzfazilität zugewiesen wurden – dem Digitalsektor zu widmen.
Schwerpunktbereiche sollen „Supercomputer“ und Quanteninformatik, Blockchain sowie Künstliche Intelligenz, Mikroprozessoren, Cybersicherheit, Digitalbildung und 5G sein.
Im Entwurf der Schlussfolgerungen werden die Mitgliedsstaaten darüber hinaus aufgefordert, ihre nationalen Pläne zur Einführung der 5G-Infrastruktur wie geplant bis Ende des Jahres vorzulegen.
Die Entwicklung der 5G-Infrastruktur in der EU hatte sich unter anderem im Zusammenhang mit dem Handelsstreit zwischen den USA und China sowie der Coronavirus-Pandemie verzögert. Zu den aktuellen Zielen in diesem Bereich gehören die grundlegende Einführung von 5G-Diensten in allen EU-Mitgliedstaaten bis spätestens Ende 2020 sowie ein rascher weiterer Aufbau der Infrastruktur, der eine „lückenlose 5G-Abdeckung“ für „alle städtischen Gebiete und die wichtigsten Landverkehrswege bis 2025“ gewährleisten soll, heißt es im 5G-Aktionsplan.
Überarbeitung der Wettbewerbsregeln
Die EU-Staatsführer wollen sich auch auf eine Überprüfung der EU-Wettbewerbsregeln konzentrieren. Man müsse besser mit den USA und China konkurrieren können.
Es dürfte eine heiße Debatte werden zwischen denjenigen Staaten, die eine umfassende Überarbeitung der Regeln wünschen – insbesondere Frankreich und Deutschland – und anderen Regierungen, die lediglich für kleinere Anpassungen plädieren.
Im Entwurf der Schlussfolgerungen wird dazu aufgerufen, „den europäischen Wettbewerbsrahmen anzupassen, um sicherzustellen, dass er den Herausforderungen des grünen Übergangs, der digitalen Transformation sowie dem globalen Kontext gerecht wird, Rechtssicherheit für die Wirtschaftsakteure bietet und Innovation, auch im Digitalbereich, unterstützt“.
Die Kommission wird die ersten Ergebnisse ihrer laufenden Überprüfung der Wettbewerbsregeln im kommenden Jahr veröffentlichen.
In der Industriepolitik werden die Staats- und Regierungschefs die Kommission auffordern, „strategische Abhängigkeiten“ zu identifizieren und Maßnahmen vorzuschlagen, um diese zu verringern. Ziel sei eine Diversifizierung der Produktions- und Lieferketten.
Der Textentwurf fordert außerdem die Entwicklung eines neuen „Important Project of Common European Interest“, für das EU-Fonds und Ressourcen der Mitgliedsstaaten kombiniert werden. Ähnliche Projekte gibt es aktuell bereits für Batterien, das Internet der Dinge und die Wasserstofftechnologie.
Grundsätzlich müsse die EU-Industriepolitik nach der Pandemie darauf abzielen, neue Industrieallianzen zu entwickeln, KMU zu unterstützen sowie die Bereiche Raumfahrt und Verteidigung zu stärken.
[Bearbeitet von Samuel Stolton und Tim Steins]