Bretons Rücktritt könnte Wendepunkt für EU-Digitalpolitik sein

Euractiv geht davon aus, dass die derzeitigen Gespräche zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an einem Punkt angelangt sind, an dem Séjourné (Bild) den sehr begehrten Posten des Exekutiv-Vizepräsidenten erhalten würde. [Alexandros Michailidis / Shutterstock]

Der Rücktritt von Thierry Breton, dem ehemaligen Binnenmarktkommissar und Architekten der EU-Digitalagenda, am Montag (16. September) wird von einigen als Chance gesehen, die umstrittene Agenda neu zu gestalten.

Breton, der von 2019 bis 2024 für den Binnenmarkt zuständige französische Kommissar und Frankreichs erste Wahl für eine Rückkehr in die Kommission für weitere fünf Jahre, trat am Montag (16. September) zurück. Kurz darauf gab der Élysée-Palast den ehemaligen Europa- und Außenminister Stéphane Séjourné (Renew) als Frankreichs neue Wahl für das Kommissionskollegium bekannt.

Breton spielte eine Schlüsselrolle bei der Verhandlung mehrerer wegweisender EU-Digitalgesetze, darunter das Gesetz über digitale Dienste (DSA), das Gesetz über digitale Märkte (DMA), das Datengesetz (DGA und Data Act) sowie das Gesetz zur Regulierung künstlicher Intelligenz (AI Act). Zudem war er in der Kommission für die Bereiche Raumfahrt, Verteidigung und Sicherheit verantwortlich.

„Nach Nicolas Schmit nun Breton: Warum kommen all die politischen Schwergewichte offenbar nicht dazu, eine relevante Rolle im Vorschlag des Kommissionspräsidenten für ein neues Kollegium zu spielen?“, schrieb der SPD-Europaabgeordnete René Repasi (S&D), der frühere Berichterstatter für das Gesetz über das Recht auf Reparatur, auf X.

Wie auch Repasi stellen viele Experten inzwischen den Einfluss von Kommissionspräsidentin von der Leyen auf das nächste Kommissionskollegium infrage und wie sich dies auf die kommenden fünf Jahre in der EU-Digitalpolitik auswirken wird.

Die Prüfung durch das Europäische Parlament bestehen

Bretons Nachfolger wird sich zunächst den Anhörungen, die für Mitte Oktober erwartet werden, vor den neu gewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament stellen müssen.

„Ich hoffe, dass der Nachfolger [Bretons] nicht davor zurückschrecken wird, sich mit der Rechenschaftspflicht von Big Tech zu befassen“, schrieb der italienische Europaabgeordnete und ehemalige Mitberichterstatter des KI-Gesetzes Brando Benifei (PD/S&D) auf X. Er fügte hinzu, dass die Verpflichtungen der neu ernannten Kommissare auch während der Anhörungen überprüft werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will weiterhin am Zeitplan festhalten und die Zusammensetzung des Kommissionskollegiums und ihre Portfolios am Dienstag (17. September) bekannt geben, sagte eine Sprecherin der Kommission auf einer Pressekonferenz.

Die Kommissare werden anschließend an Anhörungen vor den Europaabgeordneten teilnehmen und sich einer Abstimmung stellen.

Umgestaltung der digitalen Agenda der EU

Repasi nannte Bretons Rücktritt „einen großen Verlust“, während der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky auf X schrieb, er sehe nicht, „wie diese Lücke gefüllt werden soll“.

Doch Bretons Amtszeit als Kommissar wurde auch heftig kritisiert.

Er „hat sich selbst gefördert und seine eigene Macht maximiert“, schrieb Rebecca Adler-Nissen, Professorin für internationale Beziehungen an der Universität Kopenhagen, auf X.

Breton „blockierte den technischen Fortschritt in Europa“ durch Regulierung, fügte der Leiter der KI-Abteilung des Schweizer Flüssigtransportunternehmens Georg Fischer auf LinkedIn hinzu.

Er bevorzuge die etablierten EU-Betreiber in der Telekommunikationsbranche, schrieb Benoit Felten, ein Partner der Telekommunikationsberatungsfirma Plum Consulting, auf LinkedIn.

Es ist davon auszugehen, dass die größten Telekommunikationsbetreiber der EU mit Bretons Rücktritt tatsächlich einen starken Fürsprecher für ihre Sache verlieren.

Da Breton jedoch während seiner Amtszeit trotz unermüdlicher Forderungen der größten Telekommunikationsunternehmen der EU und Kritik aus dem Sektor selbst kein neues Telekommunikationsgesetz vorlegen konnte, könnte eine neue Personalie ein Segen sein.

Die großen Tech-Unternehmen Meta, Google, Apple und die Lobbygruppe CCIA Europe lehnten es ab, den Rücktritt Bretons zu kommentieren und zu erläutern, was dies für sie in Bezug auf die Durchsetzung des DMA und des DSA bedeute.

Elon Musk’s X, das im Sommer durch seine öffentliche Fehde mit Breton über die Durchsetzung des DSA Schlagzeilen machte, reagierte nicht auf Euractivs Anfrage nach einem Kommentar.

Was den Kurs für die Zukunft der EU-Digitalpolitik ändern könnte, ist die bevorstehende Bekanntgabe des neuen Kommissionskollegiums, ihrer jeweiligen Portfolios und des Inhalts ihrer Aufgabenbeschreibungen, die laut Experten durch den Bericht von Mario Draghi von letzter Woche beeinflusst werden könnten.

Macrons Vertrauter Séjourné als neuer französischer EU-Kommissar nominiert

Stéphane Séjourné, einer der engsten Vertrauten von Präsident Emmanuel Macron, wurde als französischer EU-Kommissar nominiert. Inmitten der politischen Instabilität im eigenen Land ist die ein Zeichen, dass der französische Präsident die Kontrolle über die EU-Angelegenheiten behält.

Ein unklares Portfolio

Euractiv geht davon aus, dass die derzeitigen Gespräche zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an einem Punkt angelangt sind, an dem Séjourné den sehr begehrten Posten eines Exekutiv-Vizepräsidenten erhalten würde.

Dieser Posten könnte das gleiche Ressort für Binnenmarkt und Industrie umfassen, das Breton innehatte – allerdings mit einem breiteren Fokus auf Kapitalmarktunion, Währungspolitik, Wirtschaft, Finanzdienstleistungen sowie Forschung und Entwicklung.

Es ist allerdings noch unklar, ob Frankreich die Kontrolle über die für die Ausarbeitung digitaler Strategien zuständige Direktion der Kommission (GD CNECT) behalten wird.

„[Séjourné] hat nicht die Geschäftserfahrung von Breton“, sagte der Europaabgeordnete der CDU und ehemalige Berichterstatter für den DMA Andreas Schwab (EVP) gegenüber Euractiv.

Die finnische Kommissarkandidatin Henna Virkkunen (EVP), die Spanierin Teresa Ribera (S&D) und der Österreicher Magnus Brunner (EVP) sind ebenfalls wahrscheinliche Kandidaten für die Übernahme der Generaldirektion für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologie (DG CNECT).

Im Streit mit von der Leyen: EU-Kommissar Thierry Breton tritt zurück

Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Technologie sowie Verteidigung, kündigte am Montag (16. September) seinen Rücktritt aus der Europäischen Kommission an. Damit stellte er ein letztes Mal von der Leyens Führungsanspruch infrage.

[Bearbeitet von Daniel Eck/Kjeld Neubert]

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