Die Debatte um das ungarische Mediengesetz hat den Start der ungarischen Ratspräsidentschaft erheblich belastet, sagt Klaus-Heiner Lehne (CDU), Vorsitzender des Rechtsausschusses im Europäischen Parlament. Im Vergleich zum Mediengesetz in Nordrhein-Westfalen seien die Formulierungen im ungarischen Gesetz aber geradezu liberal. Lehne verteidigt im Interview mit EURACTIV.de Viktor Orbán als Freiheitskämpfer und kann die Kritik am historischen Teppich nicht nachvollziehen. Die Sondersteuer für Unternehmen schätzt Lehne als diskriminierend ein.
Zur Person
Klaus-Heiner Lehne (CDU) ist Vorsitzender des Rechtsausschusses im Europäischen Parlament. Lehne ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und war zuvor, 1992 bis 1994, Mitglied des Deutschen Bundestages.
EURACTIV.de: Das ungarische Mediengesetz schlägt seit Ende Dezember große Wellen in der europäischen Presse. Auch aus dem Europäischen Parlament gab es heftige Kritik. Wie ist die Stimmung in Straßburg?
LEHNE: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán war gestern in der EVP-Fraktion. Er hat dort einhellige Unterstützung erfahren. Es gibt eine breite Solidarität in der EVP-Fraktion mit Viktor Orbán. Auch wenn ein paar Details nicht in Ordnung sein sollten, so ist Orbán doch ein Freiheitskämpfer, der sich immer für Freiheit und Demokratie eingesetzt hat. Diesem Mann zu unterstellen, er wolle die Meinungsfreiheit beschneiden, ist vollkommen daneben.
Die Lage ist klar. Die Kommission prüft den Gesetzestext. Falls auf Basis des Gutachtens Änderungsbedarf besteht, so wird die ungarische Regierung dem ungarischen Parlament entsprechende Änderungsvorschläge machen. Das hat Orbán schon zugesichert. Das ist ein Sturm im Wasserglas. Allerdings hat das den Start der ungarischen Ratspräsidentschaft erheblich belastet.
Ungarns liberales Mediengesetz
EURACTIV.de: Sie sehen also keinen Grund, dass es seit mehreren Wochen europaweit in den Medien und in den Parlamenten Kritik an diesem ungarischen Mediengesetz gibt?
LEHNE: Ich denke, dass 99 Prozent der Kritiker das Gesetz überhaupt nicht gelesen haben. Ich habe die kritisierten Aspekte zur Ausgewogenheit oder zur Zulassung von Medien im Gesetzestext auszugsweise gelesen. Im Vergleich zum Mediengesetz in Nordrhein-Westfalen für die privaten Rundfunkmedien sind die Formulierungen im ungarischen Mediengesetz geradezu liberal. Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen kann sogar ein Verbot von Rundfunksendungen verfügen, falls gegen den Grundsatz der Ausgewogenheit verstoßen wird. Das ist verknüpft mit der Rechtsaufsicht des Ministerpräsidenten, der Weisungen an die Landesanstalt geben kann. Das kann bis hin zu Bußgeldern und zum Entzug der Zulassung gehen.
Das deutsche Gesetz betrifft allerdings nur die privaten elektronischen Rundfunkmedien, das ungarische Gesetz bezieht auch Presse- und Internetveröffentlichungen ein. Die Inhalte, die Bestimmungen sind im ungarischen Gesetz aber nicht wesentlich anders als im Mediengesetz in Nordrhein-Westfalen.
EURACTIV.de: Sie sehen also keinen Grund für Beanstandungen?
LEHNE: Es gibt einige Punkt, die ich gefühlsmäßig für problematisch halte, so etwa dass die Printmedien mit in dieses Gesetz einbezogen werden. Allerdings gab es auch im vorhergehenden alten ungarischen Mediengesetz, das noch aus der kommunistischen Zeit rührt, z.B. die Registrierungspflicht. Das ist also offenbar nicht neu. Außerdem ist die Tatsache, dass es eine Registrierungspflicht gibt, auch nicht automatisch ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit.
Bei einem Punkt bin ich mir mit den sozialdemokratischen Kollegen einig: Es wäre in der Tat besser, wenn die Aufsichtsgremien nicht politisch, also vom Parlament, besetzt würden. Man könnte – ähnlich wie in Deutschland – gesellschaftlich relevante Gruppen definieren und ihnen ein Entsenderecht in die Aufsichtsgremien übertragen.
EURACTIV.de: Halten Sie diese Debatte für überflüssig?
LEHNE: Ich finde es gut, dass diese Debatte ganz grundsätzlich geführt wird. Falls es bei der Prüfung des ungarischen Mediengesetzes am Ende dazu kommen sollte, dass das Mediengesetz überarbeitet werden muss, dann wird es nicht das einzige Mediengesetz in Europa sein, das überarbeitet werden wird. Es gibt so manches Gesetz mancher deutschen Landesregierung, das dann auch komplett überarbeitet werden wird.
Diskriminierende Sondersteuer
EURACTIV.de: Der Start der ungarischen Ratspräsidentschaft wurde allerdings nicht nur von der Kritik am Mediengesetz belastet. Auch die Sondersteuer, die vorwiegend ausländische Unternehmen trifft, steht in der Kritik.
LEHNE: Dieses Gesetz halte ich für wesentlich problematischer. Das ist bereits in den Händen der Kommission als Hüterin der Verträge. Wenn diese Vorschriften diskriminierend sind, dann wird die Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn vorgehen. Im Grunde gilt die Sondersteuer ja für alle, aber ausländische Unternehmen sind aufgrund ihrer Größe in besonderem Maße betroffen. Das ist sehr grenzwertig. Ich würde eine solche Sondersteuer, die spezifisch für Großunternehmen geschaffen wird und die dann faktisch vorwiegend ausländische Unternehmen trifft, schon als diskriminierend ansehen.
EURACTIV.de: Konnten Sie in den vergangenen Tagen bereits den ebenfalls umstrittenen historischen Teppich im Ratsgebäude begutachten?
LEHNE: Nein, aber ich habe davon gehört und darüber gelesen. Es geht hier um einen historischen Teppich mit einer Karte von 1848. Es gibt auch in Deutschland eine Reihe von öffentlichen Gebäuden und Schulen, in denen sie historische Karten des Deutschen Reiches von 1937 finden werden. Das sollte man also nicht überbewerten. Und dass ungarisch-stämmige Ausländer aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in Ungarn einen Pass beantragen können, ist nicht ungewöhnlich. Entsprechende Bestimmungen gibt es auch im deutschen Recht. Aufgrund dieser Praxis haben wir in Deutschland über Jahre hinweg Volksdeutsche aus Russland, Kasachstan und aus anderen Gegenden nach Deutschland gelassen.
Ungarischer Fehlstart
EURACTIV.de: Wie beeinflusst die anhaltende Kritik die ungarische Ratspräsidentschaft?
LEHNE: Der Start ist schlecht. Es muss nun darum gehen, die Debatte zu versachlichen. Die Kommission prüft die beanstandeten Gesetze und die ungarische Regierung wird sie bei Bedarf korrigieren. Orbán hat in der EVP-Fraktion gestern zugestanden, dass das Timing der Gesetze ein Fehler war. Es wäre besser gewesen, die Reformen der neuen ungarischen Regierung nicht im unmittelbaren Vorfeld der ungarischen Ratspräsidentschaft vorzunehmen. Um nicht weitere Diskussionen zu bewirken, besteht nun offenbar die Absicht, die große Verfassungsänderung – bisher gilt in Ungarn noch die alte sozialistische Verfassung, erst zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen.
Interview: Michael Kaczmarek
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