Die EU wird 2021 ihre wirtschaftspolitischen Bemühungen intensivieren, um die COVID-19-Krise für einen „grünen“ und digitalen Wandel zu nutzen und derartige Transformationen zu beschleunigen. Dies soll durch den billionenschweren Haushalt und das Konjunkturprogramm, eine umfangreiche politische Agenda und neue Chancen in der Handelspolitik geschafft werden.
Im Jahr 2020 erlebte die EU einen ihrer schlimmsten Albträume: Die gefährlichste Pandemie seit einem Jahrhundert hat die Gesundheitssysteme in der gesamten Union vor harte Prüfungen gestellt und tut dies nach wie vor; tausende Unternehmen sind bereits bankrott gegangen; es war die bisher schwerste Rezession in der Geschichte der EU.
„Dies war der wohl bedeutendste Stresstest für die EU-Institutionen, und auch für unsere Botschaft ‚vereint sind wir besser'“, fasste der Sprecher des Europäischen Parlaments, Jaume Duch Guillot, Ende des vergangenen Jahres zusammen. Er fügte hinzu: „Das Ergebnis [bezüglich dieser Botschaft] ist sehr positiv ausgefallen.“
Seine Einschätzung wird von vielen hochrangigen Beamten im Rat und in der Europäischen Kommission geteilt – vor allem mit Blick auf die Einigung zum mehrjährigen Finanzrahmen in Höhe von 1,1 Billionen Euro sowie zum 750 Milliarden schweren Recovery Fund.
Die Unsicherheiten im Zuge der Pandemie und bezüglich der wirtschaftlichen Erholung sind jedoch nach wie vor groß.
Aus diesem Grund werden für die EU-Institutionen die schnelle Verbreitung des Coronavirus-Impfstoffs sowie die Umsetzung der nationalen Investitions- und Reformpläne zur Ausschöpfung der EU-Konjunkturmittel im Jahr 2021 oberste Priorität haben.
„Grüne und digitale Transformationen“
Nach einem Jahr, das von den durch das Virus verursachten Erschütterungen und Turbulenzen geprägt war, will die EU 2021 „die Krise als Beschleunigungsfaktor für den grünen und digitalen Wandel nutzen“, kündigte beispielsweise Kommissionssprecher Eric Mamer an.
„Unser nächster mehrjähriger Haushalt und der Recovery Fund bieten eine außergewöhnliche Gelegenheit, unsere Volkswirtschaften zu modernisieren und den grünen und digitalen Wandel voranzutreiben. Wir müssen diese Gelegenheit in vollem Umfang nutzen,“ fügte EU-Ratspräsident Charles Michel in seinem Newsletter, in dem er die Prioritäten für 2021 darlegt, hinzu.
Die Regierungen der Nationalstaaten müssen ihre Konjunkturprogramme bis April vorlegen. Zeitgleich werden die zuständigen Ministerien und das EU-Parlament in den kommenden Wochen viele der großen Haushaltspläne für die nächsten sieben Jahre verabschieden.
Klima-Ambitionen und Staatssubventionen
Die wirtschaftliche Erholung und die anstehenden Transformationen sollen 2021 durch eine breite Palette diverser politischer Initiativen unterstützt werden.
So wird die Kommission voraussichtlich im Juni ein Paket mit mehreren Vorschlägen vorlegen, um den Pfad für eine 55-prozentige Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 abzustecken. Die Milliarden an Euros, die für die Finanzierung dieses Übergangs benötigt werden, sollen auch aus dem privaten Sektor kommen. Dessen Beitrag wird über die sogenannte Taxonomie und neue Standards für grüne Anleihen gelenkt.
Derweil werden auch die massiven Investitionen und Subventionen der öffentlichen Hand mit der 2021 weiterhin andauernde Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts – der EU-Vorschriften zur Kontrolle der nationalen Defizite und Schuldenstände – unterstützt.
Die Kommission will im Frühjahr die derzeit geltende allgemeine Ausweichklausel zur Aussetzung der Haushaltsregeln prüfen. Parallel dazu arbeitet die EU-Exekutive an einer generellen Überarbeitung des Paktes, mit der die Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten zum Schuldenabbau auch langfristig gelockert werden könnten. Einen entsprechenden Vorschlag soll es ebenfalls 2021 geben – wobei das tatsächliche Datum von der weiteren Entwicklung der Pandemie und der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig sein dürfte.
Eine Stärkung der „sozialen Resilienz“ der Union wird indes das übergreifende Ziel der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte sein.
Die Regierung in Lissabon will unter anderem versuchen, der europäischen Sozialagenda einen deutlichen Schub zu geben. Zu diesem Zweck ist beispielsweise ein groß angelegter Gipfel am 7. und 8. Mai geplant.
Außenpolitik
Jenseits der europäischen Grenzen könnte das neue Jahr neue Chancen bezüglich der größten Handelspartner der EU bringen. Joe Bidens Präsidentschaft in den USA dürfte dazu beitragen, dass sich die transatlantischen Beziehungen wieder verbessern – wobei aber offenbar keine der beiden Seiten die Absicht hat, Gespräche über ein weitreichendes Freihandelsabkommen im Stile des gescheiterten TTIP wiederzubeleben.
Darüber dürfte sich die Zusammenarbeit zwischen der EU und China nach dem Abschluss ihres Investitionsabkommens verstärken. Mit der Einigung von Ende Dezember sollen einige der seit langem bestehenden Beschwerden der EU über Barrieren auf Chinas Markt, illegale Staatssubventionen und den erzwungenen Technologietransfer, der ausländischen Firmen auferlegt wird, angegangen werden.
Die Bemühungen, die EU-Position als globale Handelsmacht zu festigen, wird derweil durch die angestrebte Stärkung der internationalen Rolle des Euro unterstützt.
Ratspräsident Michel wird im März einen Euro-Gipfel einberufen, der sich mit diesem Thema befassen soll. Ein zweiter Euro-Gipfel wird im Juni stattfinden, um eine Bilanz der Fortschritte zu ziehen, die bei der Stärkung der Eurozone durch die Vollendung der Bankenunion gemacht wurden. Dabei geht es insbesondere um die Schaffung des europäischen Einlagensicherungssystems (EDIS), einer der großen noch zu schlagenden Schlachten innerhalb der Eurozone.
Quellen aus dem direkten Umfeld Michels betonten, diese beiden Euro-Gipfel würden seine Absicht unterstreichen, Fragen der Eurozone im Jahr 2021 „ganz oben auf der Agenda“ zu halten – zusammen mit dem Kampf gegen die Pandemie und der Umsetzung des großen EU-Konjunkturprogramms.
[Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins]